Gefährliches Pflaster Gefährliches Pflaster: Wie barrierefrei ist Sangerhausen?

Sangerhausen - Treppen, zu schmale Türen und holpriger Straßenbelag - das sind Dinge, die Torsten Deckner ausbremsen können. Der 57-Jährige ist seit drei Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Spastische Lähmungen machen es ihm fast unmöglich sich auf seinen Beinen zu halten. Der Rollstuhl macht ihn wieder mobil.
Diesmal ist es historisches Pflaster, das ihn rabiat ausbremst. Auf dem Innenhof des Sangerhäuser Amtsgerichts verkeilt sich das linke Vorderrad seines Rollstuhls so sehr in den Pflastersteinen, dass es einfach abbricht.
Deckner wird regelrecht aus seinem Rollstuhl geschleudert. Er sammelt sich kurz und besieht den Schaden. Seine Begleiter sind in weitaus größerer Aufregung als er. Deckner ist an diesem Tag nämlich mit einer ganzen Gruppe unterwegs, die während der Aktionswochen „Gemeinsam für Inklusion in Mansfeld-Südharz“ einen Teil der Sangerhäuser Innenstadt auf Barrierefreiheit testen will.
Außer Deckner ist mit dem 26-jährigen Daniel Wehrstedt noch ein zweiter Rollstuhlfahrer mit unterwegs. Und ob sich auch ein blinder Mensch gut in Sangerhausen zurechtfinden kann, das testete Andreas Grobe.
Der 47-jährige Sangerhäuser ist seit 1991 vollständig erblindet. Gemeinsam mit Sozialamtsleiterin Christiane Fleischer und Teilhabemanagerin Susann Müller haben sich auch zwei Schülerinnen des Sangerhäuser Schollgymnasiums und Mitarbeiterinnen des Christlichen Jugenddorfs Sangerhausen auf Tour durch die Innenstadt begeben.
Barrierefreies Sangerhausen als Vision
Sie startet auf dem Kauflandparkplatz und führt durch die Kylische Straße über den Markt bis zum Göpenstraße bis zum Amtsgericht. Ein Ist-Zustand solle erfasst und auf einem bundesweiten Onlineportal eingepflegt werden, erklärt die Sozialamtsleiterin.
Und vielleicht gelinge es nach und nach, ein barrierefreies Sangerhausen zu schaffen. Wie nah man diesem Ziel ist oder wie weit noch davon entfernt, zeigen schon die Stichproben an diesem Tag.
Die erste Station, die eine echte Hürde nicht nur für Rollstuhlfahrer, sondern auch für Gehbeeinträchtigte allgemein darstellt, ist ausgerechnet die Praxis eines Orthopäden. Dort kann man zwar über eine schiefe Ebene bis zur Praxis rollen, aber dann ist Schluss. Zur Praxis gelangt man nur über eine Treppe.
Auch über einen zweiten Eingang kann ein Rollstuhlfahrer nicht aus eigener Kraft in die Praxis gelangen. Wie man dies in der Arztpraxis handhabt, will Teilhabemanagerin Müller wissen und erfährt, dass man dort auf technische Hilfsmittel wie Spezialrollstühle setzt, die auch Treppen überwinden können oder auch auf Muskelkraft.
Ergebnisse auf Online-Plattform "Wheelmap" einsehbar
Die Patienten werden nämlich teilweise samt ihrer Rollstühle getragen. Die beiden Gymnasiastinnen Emily Voigt und Leonie Müller protokollieren, was sie sehen und hören. Die Daten, die sie zusammentragen, wird man später auf dem Onlineportal Wheelmap.org nachlesen können.
Jeder der möchte, kann dabei helfen, rollstuhlgerechte Orte auf einer Karte zu markieren, über ein Ampelsystem bewerten und beschreiben. Der Berliner Verein Sozialhelden engagiert sich dafür, Rollstuhlfahrern auf diese Weise Orientierung zu geben.
Grün markiert sein werden das Fitnessstudio und das Neue Rathaus ebenso wie der Drogeriemarkt in der Kylischen Straße. Allerdings sollten Rollifahrer beim Einkauf von vornherein daran denken, Geld einzustecken.
Stufen als unüberwindbares Hindernis
Denn mal schnell zum Automaten geht dort in der Sparkassenaußenstelle nicht. Eine Stufe und eine sehr schmale Tür sind unüberwindbares Hindernis für Rollstuhlfahrer. Eine zweite Gruppe testet eine weitere Route vom Bahnhof durch die Göpenstraße zum Markt.
Dort sind es insbesondere die Aufsteller und jede Menge Werbung, die eine Barriere für Rollstuhlfahrer und sehbehinderte Menschen darstellen, wie Kerstin Radke, die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises zusammenfasst.
Obwohl das Amtsgerichtsgebäude als solches barrierefrei ist, weil ein Fahrstuhl angebaut wurde, wird es wohl bestenfalls eine gelbe Markierung auf der Karte erhalten - denn Deckners Unfall während der Tour zeigt, dass es auf mehr zu achten gilt, als nur auf Treppenstufen.
In der Zwischenzeit hat sich der Rollstuhlfahrer selbst Hilfe organisiert. Das Sanitätshaus ist informiert und wird für einen Ersatzrollstuhl sorgen. Und mit einem Bus aus dem Jugenddorf kann er mit seinem kaputten Rolli nach Hause fahren. Sobald er wieder auf eigenen Rädern durch Sangerhausen rollt, werde er weiter an der Vervollständigung der Karte im Internet sorgen, kündigte er an. (mz)
