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Jeden Tag Zuckerwatte? Allstedter Lindenmarkt: Nicht jeden Tag Zuckerwatte

Von Lucas Wölbing 03.07.2016, 08:43
Jemand muss die Wagen des Autoscooter überprüfen.
Jemand muss die Wagen des Autoscooter überprüfen. Schumann

Allstedt - So langsam ertönen die ersten Stimmen unter den alten Linden. Am Morgen hat es geregnet. Das Wasser tropft noch von den Dächern der Fahrgeschäfte, als Mario Schmökel seinen Wohnwagen verlässt.

Es war eine kurze Nacht für den Betreiber eines Autoscooters. Solange auf dem Lindenmarkt noch die Lichter brennen, bekommt er kein Auge zu, sagt er mit einem Lächeln: „Und die Allstedter gehen oft nicht vor um vier nach Hause“, fügt er hinzu.

„Die feiern gern bis in den Morgen.“ Noch gut zwei Stunden hat er bis zum großen Anpfiff. Der Himmel ist grau, ab und zu nieselt es. Ob die Besucher kommen werden? „Vielleicht nicht sofort, aber am Nachmittag auf jeden Fall“, ist der Schausteller optimistisch. Nach mehr als zwanzig Jahren im Geschäft und 17 Jahren Lindenmarkt, hat er das einfach im Gefühl.

Drei Tage am Ladentisch

Es gibt viel zu tun für ihn und seine Familie: Jemand muss die Wagen des Autoscooters überprüfen und der Imbissstand will bestückt werden. Pizza und Champignons wandern hier an drei Festtagen über den Ladentisch. Doch Mario Schmökel lässt die Finger von den eigenen Leckereien: „Viele Leute glauben ja, wir Schausteller ernähren uns nur von Zuckerwatte“, erzählt er. „Ich nicht. Für die Gäste ist das ja gut und schön, aber nach so vielen Jahren Rummel kocht man doch lieber selbst.“

Es ist nicht eng in dem Wohnwagen, in dem das Leben der Schaustellerfamilie Schmökel stattfindet. Vater, Mutter und Sohn Charly verbringen ihre Tage hier auf gut vierzig Quadratmetern: Bad, Küche, Wohnzimmer und Kassenhäuschen inklusive.

„Eigentlich ja gut bürgerlich“, findet das Familienoberhaupt. Die Schmökels kommen aus der Nähe von Eisenach, wo sie - wenn sie nicht gerade Rummelsaison haben - ein Haus bewohnen. „Im Herbst und Winter versuchen wir, in der Heimat unterwegs zu sein“, erklärt Mario Schmökel.

Ständig auf Achse, ständig auf dem Rummel: Charly Schmökel will Schausteller werden wie sein Papa, sagt er. Was dazu nötig ist, habe er ja längst gelernt. Und trotzdem muss der Zehnjährige wie jedes andere Kind auch zur Schule gehen.

Er lernt immer dort, wo gerade ein Volksfest stattfindet - meist nur für wenige Tage. Die Schule kann Charly - wenn es hoch kommt - bis zu zehnmal im Jahr wechseln. Eingeschult wurde er allerdings in der Nähe von Eisenach. 

Dort befindet sich seine „Stammschule“, die er im Winter besucht und die ihm sein Zeugnis ausstellt. Die Noten, die er anderswo bekommt, werden nämlich in einem Tagebuch vermerkt. Und Charly ist ein fleißiger Schüler, wie sein gutes Zeugnis belegt.

Ein bisschen traurig ist der Viertklässler nur, weil der diesjährige Lindenmarkt in den Ferien stattfindet. „Die Allstedter Grundschule habe ich immer sehr gern besucht“, erzählt er.  (lwö)

Hauptsaison sei allerdings immer noch der Sommer und Allstedt gehört zu den vielen, fest eingeplanten Stationen im Kalender der Schausteller-Familie. 17 Jahre Lindenmarkt sind nicht spurlos an ihnen vorüber gegangen. Irgendwie heimisch fühlen sie sich, das erste Juli-Wochenende sei wie ein großes Wiedersehen, sagen sie.

Der Zehnjährige Charly kennt den Platz unter den Linden, seit er noch ganz klein war, und sein Papa kennt die vielen Allstedter Kinder, die immer wieder zum Autoscooter kommen. „Manchmal bin ich erstaunt, wenn unsere kleinen Fahrgäste von damals plötzlich selbst mit Kind auf dem Arm bei mir am Schalter stehen“, so Vater Schmökel.

189. Allstedter Lindenmarkt

Mittlerweile ist es Abend geworden und der Schausteller gönnt sich eine kurze Pause. Der Junior hat die Lage an der Kasse fest im Griff, draußen kümmern sich Mitarbeiter um die Sicherheit der Wagen. Charly liebt den Rummel. Daraus macht er kein Geheimnis.

Und auch wenn sein Vater noch gar nicht an die Zukunft denkt, steht fast schon fest, welchen Weg der Junge einschlagen wird: Auf dem Wohnwagentisch stehen seine Bauten aus Legosteinen, fast ausnahmslos Karusselle. „Ich will den Autoscooter gern übernehmen“, kündigt er bereits stolz an. Und vor allem nach Allstedt will er immer wieder kommen.

Denn gerade so ein kleines, aber altes Volksfest liegt den Schmökels am Herzen. Zum 189. Mal feierten die Allstedter jetzt ihren Lindenmarkt. Und auch wenn einige Gäste über nachlassenden Besucherverkehr meckern, kann Mario Schmökel das nicht bestätigen: „Das ist eine echte Traditionsveranstaltung und so etwas lässt niemand sterben. Die Leute kommen und sie feiern bis in die Nacht.“ (mz)

Leben, wo andere Kinder Karussell fahren.
Leben, wo andere Kinder Karussell fahren.
Schumann
Charly Schmökel im  Büro  vom Autoscooter zum Lindenmarkt.
Charly Schmökel im  Büro  vom Autoscooter zum Lindenmarkt.
Schumann