Für die Liebe nach Berga Ableitung aus dem Wendischen: Was bedeutet der Name „Im Kiedel“?
Mit Plüschtieren auf der Terrasse lebt Harry Schnabel seit über 50 Jahren in der Straße. Was der passionierte Kneipier und Schiedsrichter aus seinem Leben „im Kiedel“ zu berichten hat.

Berga/MZ - Es gibt Straßennamen, bei deren Namen kommt man ins Stutzen. „Im Kiedel“ in Berga ist so ein Name, bei dem die wenigsten Leute auch nur eine Vermutung hätten, woher er kommt.
Harry Schnabel hat diese auch nicht - und das, obwohl er schon seit über 50 Jahren in der Straße wohnt. An der Stelle, an der er heute wohnt, stand ganz früher das Elternhaus seiner Frau. Als er allerdings mit ihr nach Berga zog, habe er das weggerissen und ein neues Haus gebaut. Dort lebt er immer noch, auch drei Jahre nach dem Tod seiner geliebten Hildrut. „,Im Kiedel’ wohnt es sich ruhig“, sagt der 82-Jährige, der an diesem heißen Tag mit seiner Tochter unter dem Vordach seines Hauses im Schatten sitzt.

Neben den beiden sitzt ein großer, weißer Plüschteddy, weiter in Richtung Gartenzaun ein weißer Plüschtiger. Seiner Frau habe das so gefallen, sagt Schnabel. „Im Kiedel“ ist kaum etwas los, einige Hunde begleiten die Passanten. Es sei beinahe eine Straße der Witwer, erzählt Schnabel mit einem Schmunzeln, dann zählt er zwei, drei Männer auf, die ohne ihre langjährigen Ehefrauen auskommen müssen.
„Kiedel“ ist wendisch
Wer nun wissen möchte, woher der Name der Straße kommt, muss etwas recherchieren. „Kiedel“, „Kietel“ oder auch „Keutel“ stammt aus dem wendischen beziehungsweise slawischen Wortschatz, so Friedrich Schmidt in seinen Forschungen und Veröffentlichungen über die regionalen Flurnamen in der Goldenen Aue. Das Wort ist ein Hinweis, dass hier die Straße oder das Viertel „zu Ende“ ist, es bildet eben einen „Zipfel“, was auch die wortwörtliche Übersetzung ist, die dem „Kiedel“ am nächsten kommt.
Der Kiedel liegt im heutigen Berga am südlichen Ortsende und bildet tatsächlich eine Art Zipfel, indem er an drei Seiten verläuft, eingeschlossen im Westen von der Thyra und im Süden sowie Osten vom Schlagesgraben, einem Relikt der einstigen Dorfbefestigung im Mittelalter. Ursprünglich gehörte der Kiedel zu der Siedlung Topfstedt, mit einer eigenen Kirche St. Wigbert und Friedhof.

Wann der Zusammenschluss mit Berga erfolgte, ist nicht überliefert. Möglich erscheint so auch eine Gründung durch die Slawen. Diese besiedelten anfangs ab der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts auch Teile der Goldenen Aue, die noch nicht erschlossen, also „angebaut“, waren. Diese Phase wiederholte sich im 10. Jahrhundert unter der ottonischen Herrschaft, vor allem durch Heinrich I. und Otto I. Jene eroberten deren Gebiete und brachten die Bevölkerung als Gefangene mit und siedelten sie in ihren Stammgebieten auf den Königshöfen an. Ein solcher Königshof bestand auch in Berga.
Der Bergaer Chronist Friedrich Mansfeld schreibt in seinen Aufzeichnungen, dass im Grundstück Kiedel 14 Eduard Kleemann 1858 eine „Spritbrennerei“ (Schnapsbrennerei) einrichtete. Vermutlich wurde hier der gute Korn aus der Goldenen Aue gebrannt. Sie hatte aber keinen langen Bestand und musste bereits nach zehn Jahren wieder schließen. Das Gebäude steht heute noch. Bis 1903 hatte der Kiedel auch eine eigene Gaststätte, „Zur goldenen Sonne“.

Hochzeit nach vier Wochen
Und wie es der Zufall so will, spielen Gaststätten auch im Leben des Harry Schnabel eine gewichtige Rolle. Nach seiner Ausbildung zum Traktoristen war er zunächst zur Armee gegangen, ehe er eine Anstellung im Strafvollzug in Altenburg als Schließer erhielt. „Dort habe ich auch meine Frau, die auch dort arbeitete, kennengelernt“, erzählt er. Vier Wochen danach hätten sie schon geheiratet. „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ So führte ihn also sein Lebensweg in den „Kiedel“.
Dort angekommen, betrieb er fünf Jahre lang die Bergaer Gaststätte „Goldener Löwe“, ehe er nach Nordhausen ging, um dort Abschnittsbevollmächtigter zu werden. Lange hielt es Schnabel dort aber nicht, und so betrieben die beiden Eheleute in Kelbra rund 25 Jahre lang die Bahnhofsgaststätte. „Das hilft mir noch heute, ich kann kochen und putzen und bin auf keine Hilfe angewiesen“, sagt Schnabel nicht ohne Stolz. Und an den Wochenenden zieht es den ehemaligen Kreisliga-Schiedsrichter noch immer auf die Sportplätze der Umgebung. „Besonders gerne bin ich bei Olympia Berga.“