1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Sangerhausen
  6. >
  7. Abiturient mit grauen Schläfen

Abiturient mit grauen Schläfen

Von Beate Lindner 10.06.2005, 18:08

Hackpfüffel/MZ. - Und den hat sie ebenfalls in diese Bewertung geschrieben: "50 Jahre jünger, Schüler meiner 13 D - ich hätte mich sicher zwei Jahre über Ihre fundierten mathematischen Kenntnisse und Ihre geistige Beweglichkeit gefreut und wäre jetzt mit Stolz erfüllt, um Ihnen 15 Punkte zu erteilen." Denn jener Abiturient, der in diesem Jahr ein so herausragendes Matheabitur geschrieben hat, heißt Erich Litzenberg und ist 68 Jahre.

Eines ist gewiss: Als jener Erich Litzenberg vor 50 Jahren schon einmal über dem Matheabitur geschwitzt hat - über dem aus damaliger Sicht wichtigeren seines Lebens -, hätte er vermutlich einen Mittsechziger, der sich das antut, für ein bisschen verrückt erklärt. Möglicherweise haben das einige Abiturienten des Jahrgangs 2005 mit ihm auch getan.

Der junge Litzenberg verbrachte die ersten Jahre seiner Kindheit in Grillenberg und Heygendorf. Als Zehnjähriger zog er mit seinen Eltern nach Hackpfüffel. Lernte nach der Grundschule an einer Zentralschule, um dann im September 1951 in die Geschwister-Scholl-Oberschule zu wechseln, wo er 1955 seine Reifeprüfung erfolgreich ablegte. An die wurden in diesen Tagen bei Erich Litzenberg ganz besondere Erinnerungen geweckt.

Als er jetzt wieder zwischen den Prüflingen saß, "war es ein bisschen wie damals. Die Sitzordnung war ganz ähnlich, nur dass ich mein Abitur damals aus Platzgründen in der Goetheschule geschrieben habe." Und noch etwas ist dem Hackpfüffler beim Abitur anno 2005 aufgefallen: "Es hat mir sehr gut gefallen, wie miteinander umgegangen wird. Und was die Disziplin angeht, so habe ich auch keine gravierenden Unterschiede zu meiner Zeit festgestellt. Im Gegenteil. Das war alles sehr vorbildlich." Erich Litzenberg wagt dieses Urteil nicht von ungefähr.

Jahrelang hat er selbst im Schuldienst an der Ingenieursschule Eisleben gearbeitet. Und seit seinem Ausscheiden 1992 hat er eine Nebentätigkeit beim Studienkreis begonnen. Er kann's eben bis heute nicht lassen. Die Ursachen sind wohl in seinen jungen Jahren zu suchen. Sein Dorfschullehrer in Hackpfüffel, Paul Conrad, war "ein ausgezeichneter Lehrer", der - wie das Leben manchmal so spielt - später auch noch sein Schwiegervater wurde. Wie auch immer - er hat ihn geprägt. Den Sohn eines Landwirts und einer Hausfrau. Natürlich hat Erich Litzenberg in seinen Kindheits- und Jugendtagen das getan, was viele Gleichaltrige taten: Nach der Schule warteten Pflichten in Haus und Hof. Nicht selten spielte die Schule in solchen Zeiten die zweite Geige. Trotzdem: Erich Litzenberg ist dran geblieben - genau genommen bis heute: nach der Oberschule in der Lehre zum Maschinenschlosser in der Kyffhäuserhütte Artern; anschließend an der TU Dresden, von der er als Diplomingenieur für Elektrotechnik entlassen wurde; im Mansfeld-Kombinat, wo er als Elektroingenieur und stellvertretender Obermechaniker gearbeitet hat; dann ab 1967 an der Ingenieursschule Eisleben und beim Fernstudium.

Sozusagen ein Werdegang mit Folgen, die nun darin gipfelten, dass es der Hackpfüffler für sich noch einmal wissen wollte. Deshalb nahm er Kontakt mit dem Schulleiter am Schollgymnasium auf und fand in Jens Peter einen Partner, der sich für die Idee, 50 Jahre nach der eigenen Reifeprüfung das Matheabitur noch einmal zu schreiben, begeistern konnte.

Der Rest der Abiturgeschichte ist schnell erzählt: Erich Litzenberg erhielt - wie alle Abiturienten - die Prüfungsschwerpunkte, auch wissend, dass Dinge von ihm abverlangt werden, die zu seiner Zeit noch gar nicht unterrichtet wurden, bereitete sich gründlich vor, setzte sich Anfang Mai für 330 Minuten in das schriftliche Mathematikabitur und tauchte ein in die Welt der analytischen Geometrie und der Stochastik, löste alle Aufgaben, sogar noch eine zusätzlich und "verbesserte" seine Note im schriftlichen Matheabi von 2 - aus dem Jahr 1955 - auf 1. Aber ganz zum Schluss sagt Erich Litzenberg das: "Ich habe mich natürlich darüber gefreut. Aber noch mehr freut mich die Tatsache, dass alle meine 13 Abiturienten, die bei mir Förderunterricht nahmen, ihr Matheabitur geschafft haben." Auch davor: Hut ab.