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Amiga Zeitreise im Quedlinburger Museum

„Zeit die nie vergeht“: Wo die fast 75-jährige Geschichte des ältesten deutschen Plattenlabels dargestellt wird.

Von Ingo Kugenbuch Aktualisiert: 10.01.2022, 11:57
Projektkoordinator  Gerald Tornow mit einer Gitarre, auf der „Die roten Gitarren“ aus Polen gespielt haben sollen.
Projektkoordinator Gerald Tornow mit einer Gitarre, auf der „Die roten Gitarren“ aus Polen gespielt haben sollen. Fotos: Ingo Kugenbuch

Quedlinburg/MZ - Lange, ganz lange vor den Fanta 4 gab es schon Team 4. Die Band wurde 1964 in der DDR gegründet, firmierte später unter dem Namen „Thomas Natschinski und seine Gruppe“ und hat die Entwicklung der Rockmusik im Arbeiter- und Bauernstaat wesentlich beeinflusst. Team 4 ist heute nur noch wenigen bekannt. Aber auch diese Band ist Teil der fast 75-jährigen Geschichte des legendären DDR-Plattenlabels Amiga - schließlich veröffentlichte sie hier zwischen 1968 und 1972 drei LPs.

Namensgeber der Amiga-Ausstellung, die seit einigen Tagen im Eisenbahn- und Spielzeugmuseum in Quedlinburg zu sehen ist, ist jedoch Michael Barakowski. Nach seinem Titel „Zeit die nie vergeht“, dessen aus grobkörnigen Schwarzweißfotos zusammengezimmertes Video auf Youtube mehr als 4,4 Millionen Mal geklickt wurde, hat Gerald Tornow die Schau benannt. Der Bernburger ist im Harz vor allem mit seinen Immobilienprojekten - unter anderem den Plänen für eine Skisprunghalle in Wernigerode - bekannt. In der früheren DDR war er aber im Musikgeschäft unterwegs. So managte er zwölf Jahre die Modern Soul Band. „Es war die schönste Zeit meines Lebens“, sagt Tornow. In Quedlinburg hat er sie wieder ein bisschen auferstehen lassen.

Erstes deutsches Plattenlabel

Die Schau basiert auf dem Material der Ausstellung „70 Jahre Amiga“ im Schloss Bernburg, das die Bernburger Freizeit GmbH zur Verfügung gestellt hat. Sie präsentiert Hits, Kurioses und Vergessenes rund um das erste deutsche Schallplattenlabel, das im März 1947 vom bekannten Sänger und Schauspieler Ernst Busch im Auftrag der Sowjetischen Militäradministration gegründet wurde.

„Musik in der DDR - das waren die Puhdys, Silly, City, Karat und Ute Freudenberg - die Anderen fielen hinten runter“, sagt Tornow. „Und nach der Wende fanden wieder nur die Üblichen statt.“ Mehr als 30 Jahre danach sei es nun an der Zeit, auch den weniger bekannten Bands Aufmerksamkeit zu widmen: der Gruppe Magdeburg, Bayon oder Renft zum Beispiel. Das, sagt Tornow, sei sein Antrieb für diese Ausstellung gewesen.

Die ersten Amiga-Platten enthielten sowjetische Militärmusik.
Die ersten Amiga-Platten enthielten sowjetische Militärmusik.
Foto: Ingo Kugenbuch

Sie führt den Besucher durch die (ost-)deutsche Schallplattengeschichte: von der Erfindung der LP vor über 130 Jahren und der Herausgabe der ersten Amiga-Scheibe vor 75 Jahren - damals noch aus Schellack, dem Vorläufer der bekannten Vinyl-LP. 28 Schautafeln zeichnen die Historie des Labels nach, bei dem jede Platte ausnahmslos 16,10 Mark gekostet hat.

Die Wände des Museums schmücken bekannte Plattencover vom „Blauen Planet“ von Karat über Märchenschallplatten bis zur meistverkauften Amiga-Scheibe „Weihnachten in Familie“ von Frank Schöbel, die - je nach Quelle - bis zu 1,6 Millionen Mal über die Ladentische ging. Dahinter folgten „Rock ’n’ Roll Music“ von den Puhdys mit rund 1,1 Millionen Exemplaren und „Der blaue Planet“ von Karat mit rund 1 Million. „Das schönste Cover“, sagt Tornow, „hatte der ‚Blaue Planet‘.“ Und das wiederum war in Ost- und Westdeutschland komplett verschieden.

Wenn man Jörg Stempel, 66, fragt, welches seine Lieblingsband bei Amiga ist, dann ist das eigentlich ziemlich dämlich. Da könnte man auch einen französischen Sommelier fragen, welchen Wein er am liebsten trinkt - und bekommt dann einen zweistündigen Vortrag. Stempel hat in den 1980ern als Musikredakteur bei Amiga gearbeitet, später zwei Jahre die Puhdys gemanagt und ist jetzt - seitdem Amiga unter dem Dach von Sony Music ist - für die Marke zuständig. „Ich kenne den Markt, das Haus, die Leute“, sagt er und gibt auf die ungeschickte Frage nach seiner Lieblingsband gleich mehrere Antworten.

Als Plattenverkäufer sagt Stempel: „Die Puhdys sind umsatzstärker als Silly. Ute Freudenberg setzt mehr Tonträger als Angelika Mann ab, und Frank Schöbel hat zu DDR-Zeiten sicher mehr verkauft als heute.“ Privat höre er dagegen eher Silly und die „Lütte“ - Angelika Mann. Stempel: „Ich bin trotzdem mit Maschine von den Puhdys eng befreundet, ebenso mit Frank Schöbel, nicht zuletzt deshalb, weil wir beide ‚Schützen‘ sind und er und mein Vater am selben Tag Geburtstag haben - wenn auch in unterschiedlichen Jahrgängen.“

Für die Amiga-Ausstellung in Quedlinburg kann sich Stempel eine Reihe von Veranstaltungen vorstellen: Talks mit Künstlern, aber auch Auftritte. Durch die Corona-Pandemie gab es allerdings keine große offizielle Eröffnung der Schau, und auch andere Veranstaltungen waren bisher unmöglich. „Wer kommen wird, weiß ich noch nicht“, sagt Stempel. „Aber ich habe schon ein paar Leute auf meiner Liste.“ Er denkt dabei an City, Silly und Maschine - ostdeutsche Rocklegenden eben.

„Wie Bolle gefreut“

Auch wenn Amiga im Konzert der drei Großen - Universal Music, Sony Music Entertainment und Warner Music Group - als Sony-Tochter nur eine Nebenrolle spielt, soll das ostdeutsche Label im nächsten Jahr mit erhobenem Kopf seinen 75. Geburtstag feiern können. „Ich versuche immer noch, mit neuen Ideen Märkte zu erschließen“, sagt Jörg Stempel. Und er habe sich „wie Bolle gefreut“, als 2018 Andreas Dresens Gundermann-Film herauskam. Auch der „singende Baggerfahrer aus der Lausitz“ ließ seine Alben auf Amiga-Vinyl pressen.

Michael Barakowski gab der Ausstellung den Namen.
Michael Barakowski gab der Ausstellung den Namen.
Foto: Ingo Kugenbuch

Wie sieht Stempel die Zukunft des altehrwürdigen Labels? Schwierig. Unter dem Namen „Amiga“ entstehe kaum noch etwas Neues. Aber es gebe auch Lichtblicke, sagt er. Unter den Zuschauern von Sendungen, die sich mit ostdeutscher Musik befassen, seien die 30- bis 49-Jährigen am häufigsten vertreten. „Die Kinder der Ur-Fans“, sagt Stempel, „haben Interesse an Musik aus dem Osten.“

Dieses Interesse ist bei Gerald Tornow Leidenschaft und Lebensinhalt. Er habe 1974 als DJ begonnen, sich mit Musik zu befassen, und besitze noch heute 500 Amiga-Platten, sagt er. „Ich habe mein Leben mit Musik begonnen, ich möchte es gern auch mit Musik beenden“, sagt Gerald Tornow. Das hat aber noch Zeit: Er ist 68 Jahre alt.

Die Ausstellung hat Montag bis Samstag von 10 bis 16 und an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 16 Uhr geöffnet.