1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Quedlinburg
  6. >
  7. Wie barrierefrei ist Quedlinburg wirklich?

Auf dem Prüfstand Wie barrierefrei ist Quedlinburg wirklich?

Bei einem Rundgang nehmen Betroffene und Mitarbeiter der Stadtverwaltung Nikolaikirche, Steinweg und Weberstraße unter die Lupe.

Von Susanne Thon Aktualisiert: 16.10.2021, 15:13
Pflastersteine, breite Fugen und Unebenheiten ohne Ende. Der Weg zur Nikolaikirche birgt seine Tücken.
Pflastersteine, breite Fugen und Unebenheiten ohne Ende. Der Weg zur Nikolaikirche birgt seine Tücken. Fotos: Susanne Thon

Quedlinburg/MZ - Nikolaikirche. Mathildenbrunnen. Die Bushaltestelle in der Weberstraße. Nach anderthalb Stunden hat Samantha Mantel, die Beauftragte für Gleichstellung, Seniorenangelegenheiten, Barrierefreiheit der Stadt Quedlinburg, drei Stellen ausgemacht, die Eingang in die Wheelmap finden müssen.

Online-Karte für mehr Barrierefreiheit in Quedlinburg

In der Online-Karte sind rollstuhlgerechte Orte verzeichnet - und solche, die es eben nicht sind. Die Bewertung erfolgt nach einem Ampelsystem; jeder kann Eintragungen vornehmen. Das macht Mantel. Im Namen jener, die sich am Donnerstag auf den Weg gemacht haben, um die Barrierefreiheit in Quedlinburg einmal mehr auf den Prüfstand zu stellen.

Einmal im Jahr gibt es einen solchen Rundgang, an dem sich unmittelbar Betroffene wie Rollstuhlfahrer und Sehbehinderte beteiligen, jene, die sich für Barrierefreiheit stark machen - zu ihnen gehört die Arbeitsgruppe „Design für alle“ - und die Verantwortlichen aus dem Rathaus um Oberbürgermeister Frank Ruch (CDU), die Projekte planen und Bauvorhaben umsetzen. Die Strecke, die sie nehmen, ist jedes Jahr eine andere; auch in der Süderstadt und auf dem Kleers waren sie schon. Ruch bezeichnet den gemeinsamen Rundgang deshalb schon als „gute Tradition“, auch wenn sich nicht jede Schwachstelle beseitigen lasse.

Weg zur Kirche hat Tücken für Rollstihlfahrer und Rollator-Nutzer

Diesmal trifft sich die Gruppe an der Kirche St. Nikolai, dem „Wohnzimmer“ der Evangelischen Kirchengemeinde, wie sie Pfarrerin Franziska Junge nennt. Aber nicht nur die Gemeindemitglieder sehen sich hier regelmäßig: Auch gut 40.000 Touristen kämen, so Junge, im Jahr vorbei. „Und die Leute haben es hier nicht leicht, es gibt viele Stolperfallen“, sagt sie.

Da ist der Weg zur Kirche, eine gepflasterte Buckelpiste, die in nicht all zu ferner Zukunft verschwinden soll. „Wir haben eine Idee, wie wir den Weg gestalten können“, eine Kombination aus altem und neuem Pflaster, schweben ihr und dem Architekten vor. Doch auch der Weg in die Kirche birgt seine Tücken. Er erfolgt über den Seiteneingang; für Rollstuhlfahrer, Leute, die mit Rollator oder Kinderwagen unterwegs sind, liegen hölzerne Rampen an. Rampen, weil es auch Innen eine Stufe zu überwinden gilt. Portable Rampen zu haben, wie es sie in der Marktkirche gebe, „das wäre unser Wunsch“, sagt Junge.

Barriere Bordsteinkante am Mathildenbrunnen.
Barriere Bordsteinkante am Mathildenbrunnen.
Thon

Steinweg soll schon bald saniert werden und einen ganz anderen Charakter bekommen

Von der Nikolaikirche geht es anschließend über die Pölkenstraße zum Mathildenbrunnen. Und auch da lauert eine Hürde. Barriere Bordstein. Der müsste abgesenkt, die Bank versetzt werden. Landet im Hausaufgabenheft. Man wolle gucken, was sich umsetzen lasse, so Ruch. Handlungsbedarf, und da sind sich alle einig, besteht auch im Steinweg. Die Überquerung zur Weberstraße: kreuzgefährlich.

Mit dem Rollstuhl ist sie, vom Mathildenbrunnen kommend, eigentlich nur diagonal möglich. Hier aber ist Hilfe in Aussicht. Der Steinweg soll schon bald saniert werden und auf seinen letzten Metern einen ganz anderen Charakter bekommen. Ruch spricht von einer „Erlebniszone“, die hier entstehen soll, von gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern und einer möglichen Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 auf 10 Kilometer pro Stunde.

Barrierefreiheit müsse nicht zwingend riesige baulichen Veränderungen bedeuten

Demnächst, sagt er, würden die ersten Entwürfe vorliegen. Drüben in der Weberstraße ist die Bushaltestelle – unmittelbar vor dem Zugang zur Neustädter Grundschule – ein großes Thema. Sie soll perspektivisch ein paar Meter in Richtung Augustinern verlegt, der Gehweg angehoben werden, damit ein barrierefreies Einsteigen möglich ist.

In dem Fall geht es nicht anders, aber Barrierefreiheit müsse nicht zwingend riesige baulichen Veränderungen bedeuten, das macht Astrid Staudenraus von der Arbeitsgruppe „Design für alle“ klar. Manchmal, da reiche es, kleine Dinge zu verändern, sei es, eine Rampe anzulegen oder - an einem Ladengeschäft - eine Klingel anzubringen. So könne jemand, der Hilfe brauche, auf sich aufmerksam machen. „Es geht auch um Einfachheit“, unterstreicht sie.

Und noch etwas ist ihr wichtig: „Es geht nicht nur um Menschen mit Behinderung.“ Staudenraus hat dabei die Mutter mit Kinderwagen genauso im Blick wie all jene, die vorübergehend in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, etwa durch einen Beinbruch. „Wir möchten, dass jeder Nutznießer ist“, sagt sie.