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Wanderstempeln im Harz Wanderstempeln im Harz: Wo sich König und Kaiser treffen

Von Susanne Thon 12.10.2020, 09:04
So sehen Wanderkaiser aus: Sabine und Edmund Plengemeyer haben es geschafft. Sechs Jahre brauchten die Stralsunder.
So sehen Wanderkaiser aus: Sabine und Edmund Plengemeyer haben es geschafft. Sechs Jahre brauchten die Stralsunder. Susanne Thon

Harz - ie Tinte im Stempelheft ist noch nicht trocken, als Sabine Plengemeyer Thomas Engel fragt, ob er sie und ihren Mann Edmund fotografieren könne, hier an der Stempelstelle 197 der Harzer Wandernadel, der Burgruine Anhalt.

„Wir sind gerade Wanderkaiser geworden“, schiebt sie hinterher. Ein emotionaler Moment. 222 Stempel haben die Stralsunder in den vergangenen sechs Jahren gesammelt; allein 41 waren es nun noch mal in ihrem 14-tägigen Urlaub. Auf 222 Stempel arbeitet auch Engel hin.

Ein Jahr gibt er sich dafür. „Das müsste machbar sein“, sagt der Nachterstedter. Und er ist auf einem guten Weg. Nachdem er die Fotobitte erfüllt hat, drückt er selbst seinen 50. Stempel ins Heft. Der macht den Polizisten, ein paar Stunden, bevor er zur Nachtschicht muss, zum Wanderkönig.

Corona macht der Reiselust einen Strich durch die Rechnung

Dabei hatte er eigentlich andere Pläne. Statt auf dem Hausberg zwischen Harzgerode und Ballenstedt wollte der 47-Jährige auf Rundreise in Botswana und Simbabwe sein. Er liebt es zu reisen, ferne Länder zu erkunden.

Doch Corona hat ihm die Reiselust verhagelt. Es sei nicht die Angst vorm Virus, die ihn davon abhalte, durch die Welt zu tingeln, „aber das Drumherum“, pandemiebedingte Einschränkungen, Quarantäneauflagen. Die Ungewissheit sei zu groß, erklärt er. Also keine Safari, sondern Stempeljagd.

Hinzukommt, dass ihn die Pandemie auch im Ehrenamt ausgebremst hat. Engel engagiert sich im Verein Aktion Knochenmarkspende Sachsen-Anhalt, organisiert Typisierungsaktionen - „das läuft jetzt wieder an“ - und sammelt Spenden, die helfen, Typisierungen zu finanzieren.

Dem Engagement liegt sein persönliches Schicksal zugrunde: Seine Frau war an Lymphknotenkrebs erkrankt - und hat den Kampf verloren. Nur eine Stammzellspende hätte sie retten können. Doch die Chance, einen genetischen Zwilling zu finden, ist äußerst gering.

Deshalb ist es wichtig, dass sich möglichst viele Menschen als potenzielle Stammzellspender registrieren lassen. Engel wirbt dafür, wann und wo immer er kann. Selbst wenn er mit seinem Auto - wie jetzt im Harz - unterwegs ist. Ein Aufkleber - www.knochenmarkspende-magdeburg.de - unterstreicht sein Anliegen.

Im Harz war Engel schon immer gern. „Früher bin ich nur einfach drauf losgegangen“, sagt er. Und früher war noch bis vor kurzem: bis ihm sein Nachbar ein Stempelheft in die Hand drückte – mit den Worten: „Bist doch eh ständig unterwegs“.

Das Stempelwandern im Harz gibt es seit 15 Jahren. Seit 2007 besteht das Netz aus 222 regulären Stempelstellen; sie befinden sich an Aussichtspunkten, bei geologischen Besonderheiten und historischen Stätten, an Waldgaststätten und Schutzhütten. Auf dem Weg zum Harzer Wanderkaiser gibt es mehrere Leistungsabzeichen: die Wandernadeln in Bronze, Silber und Gold für 8, 16 beziehungsweise 24 Stempel und den Harzer Wanderkönig für 50.

Dann werden die Abstände größer: Für den Harzer Steiger braucht es 111 Stempel, darunter 23 Pflicht-Stempel mit bergbaulichem Bezug, für den Harzer Kaiserschuh 150 - und für den Kaisertitel alle 222. Den haben sich nach Angaben des Trägervereins „Gesund älter werden im Harz“ inzwischen rund 7.100 Menschen erwandert.

„Viele wohnen im Harz, in Niedersachsen, kommen aus Richtung Hamburg. Wir haben aber auch amerikanische Wanderkaiser, welche aus den Niederlanden und Dänemark“, sagt Tanja Fiedler vom Service-Büro der Harzer Wandernadel in Blankenburg.

Unter den Kaisern finden sich etliche Wiederholungstäter: Das Ranking führt der Blankenburger Curt Hellmuth an – Curt I. Mit 42 Nadeln ist er der aktivste Wanderkaiser, gefolgt von Uwe Bartsch – Uwe VIII. – aus Hettstedt (41) und Helmut Engelmann – Helmut III. – aus Dahlenwarsleben (39).
Engel stempelt seit Juli. Am 5. landete der erste Stempel in seinem Heft - an der Burgruine Scharzfels nahe Barbis bei Bad Lauterberg. Inzwischen sind es mehr als 60.

Dem Zufall überlässt er dabei nichts: Die Routen plant Engel systematisch am Computer, schaut, welche Stempelstellen sich wie verbinden lassen, ermittelt Streckenlängen und die zu bewältigenden Höhenmeter.

Vier, fünf Touren lägen immer ausgearbeitet vor, sagt er. Dann kann er wählen, je nachdem, wie viel Zeit er hat, und entsprechend der Witterung. Das Wetter hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, als er zwischen Ilsenburg und Bad Harzburg 13 Stempel auf einer 35 Kilometer langen Wanderung einsacken wollte. Sonst wären die 50 schon eher voll gewesen.

Dass der Erfolg organisiert werden muss, wissen auch die Plengemeyers. Wertvolle Tipps bekamen sie einst von einer der Majestäten persönlich, von Helmut III., seines Zeichens nicht nur Mehrfach-, sondern auch Turbokaiser. Sein Rekord liegt bei 13 (!) Tagen für 222 Stempel.

Das habe er akribisch geplant und die Unterkünfte entsprechend gebucht, erklärt Tanja Fiedler. Frühmorgens marschierte er los, kam erst spätabends zurück. „Für normale Wanderer ist das kein Maßstab“, sagt sie. Sie brauchen in der Regel mehrere Jahre dafür. Wie die Plengemeyers.

Angefangen hätten sie ziemlich unkoordiniert, räumt auch Sabine Plengemeyer ein, die in früheren Jahren schon einige Stempel mit ihrer Schwester gesammelt hatte – allerdings in Notizheften; das gilt nicht. Mit ihrem Mann ging sie die Sache dann strukturierter an.

Beide arbeiteten sich regelrecht durch den Harz – Urlaub für Urlaub – und nahmen nach einem Zwölf-Stunden-Marsch auch an der „24h Trophy“, einer Langzeitwanderung, teil. Doch bei allem Ehrgeiz: „Wir sind keine Hypes mit Trinksystem“, sagt Edmund Plengemeyer. Es geht um den Spaß an der Sache, darum, Flora und Fauna zu entdecken, und erholen will sich das Ehepaar. „Der Harz ist der schnellste Weg zur Erholung.“


Erholung findet auch Engel dort - und mehr: Denn so manche Stelle hätte er ohne das Stempelwandern nie ausgemacht, wie den Hohen Kleef bei Rübeland, einen Aussichtspunkt.

Interessantes erfährt er unterwegs, bekam in Straßberg beispielsweise mit, wie das Lindenberger Bahnhofsbräu gebraut wird. Und auch Zufallsbegegnungen wie die mit den beiden Wanderkaisern an der Burgruine Anhalt machen seine Touren aus. (mz)