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Verhandlung am Amtsgericht Quedlinburg Verhandlung am Amtsgericht Quedlinburg: Messerstich bleibt straffrei

Von petra korn 28.07.2015, 17:47
Justitia.
Justitia. Symbol/DPA Lizenz

Quedlinburg - Die Zuhörer im Saal 114 des Amtsgerichts Quedlinburg zeigen sich über den Verlauf der Verhandlung wenig zufrieden. Ein 55-Jähriger aus Harzgerode, der im Juli vergangenen Jahres bei einer Rangelei einen 30-Jährigen durch einen Messerstich verletzt hat und sich jetzt wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht Quedlinburg verantworten musste (die MZ berichtete), wurde jetzt freigesprochen. Er ist nach Einschätzung eines Gutachters nicht schuldfähig.

Die Vernehmung des Zeugen, der am ersten Verhandlungstag nicht erschienen war, bestätigte, was weitere Beteiligte zuvor schon geschildert hatten: Auf dem Heimweg waren der 30-Jährige und ein Freund am Haus des 55-Jährigen vorbeigekommen. Dieser stand vor der Haustür, war laut und aggressiv. Als der 30-Jährige ihn beruhigen wollte, kam es zu einer Rangelei. Dabei stach der 55-Jährige dem 30-Jährigen mit einem Messer seitlich in den Brustkorb, wobei eine Rippe und die Lunge verletzt wurden. Der Angeklagte selbst hatte von zwei Unbekannten berichtet, die in sein Haus hätten einbrechen wollen. Einer der beiden Unbekannten sei durch einen hinzukommenden Dritten mit einem Messer verletzt worden. Aber keiner der drei Männer sei der 30-Jährige gewesen, hatte der Angeklagte am ersten Verhandlungstag erklärt. Den 30-Jährigen habe er „noch nie gesehen“.

Laut Anklage kam auch die Einweisung des 55-Jährigen in eine Erziehungsanstalt in Betracht, weshalb dieser begutachtet wurde. Wie der Gutachter sagte, hat der Angeklagte Trugwahrnehmungen, bei denen er sich selbst bedroht fühlt; er zeigt schon länger Auffälligkeiten. Der Gutachter sah bei dem Angeklagten eine Alkoholabhängigkeit mit gleichzeitiger Alkoholdemenz und Hinweise auf eine krankhafte seelische Störung. Das sei „eine schwere Erkrankungssituation“, aufgrund derer die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten in das, was ihm vorgeworfen werde, nicht vorhanden sei. Zudem war der 55-Jährige zur Tatzeit alkoholisiert.

Das Risiko, dass der Angeklagte erneut Straftaten begeht, schätzte der Gutachter mittelfristig als nicht sehr hoch ein. Dafür spreche auch, dass es seit Juli vergangenen Jahres keine Vorfälle mehr gegeben habe, während der Mann Nachbarn im Vorfeld öfter aufgefallen sei, weil er zum Beispiel lautstark gestritten, geschimpft und herumgeschrien habe, obwohl er allein gewesen sei. Langfristig, so der Gutachter weiter, ist das Risiko, dass es zu ähnlichen Konflikten wie dem mit dem 30-Jährigen kommen könnte, aber möglicherweise erhöht.

Letztlich beantragte Oberstaatsanwältin Eva Vogel den Freispruch des Angeklagten. „Wer schuldunfähig ist, kann für eine Tat, die er begangen hat, nicht bestraft werden“, begründete sie. Vom Tisch war für sie auch die Frage einer Einweisung in eine Erziehungsanstalt. „Da der Angeklagte nicht als für die Allgemeinheit gefährlich gilt, gibt es keine Möglichkeit, ihn in einer Entziehungsanstalt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, obwohl die meisten im Saal der Ansicht sind, dass dies notwendig wäre“, so die Oberstaatsanwältin. Auch Verteidigerin Dagmar Wagner beantragte einen Freispruch wegen Schuldunfähigkeit.

Das Gericht folgte den Anträgen. „Dass das kein befriedigendes Ergebnis ist, das ist uns allen klar“, sagte Richterin Antje Schlüter. Sie machte aber auch deutlich: „Es gibt Möglichkeiten, auf den Angeklagten einzuwirken. Die sind aber nicht strafrechtlicher Art.“ Die Richterin kündigte an, sich mit der Betreuungsbehörde in Verbindung zu setzen. „Passieren muss etwas, das ist ganz klar.“ (mz)