Spendenaktion für Kinder mit Muskelschwäche Spendenaktion für Kinder mit Muskelschwäche: Familie bekommt behindertengerechtes Auto

Hedersleben/MZ - Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis es Kathrin Mester begreift. „Das ist für mich alles wie ein Traum“, beschreibt die 46-Jährige vor allem die letzten Tage mit Tränen voller Dankbarkeit in den Augen. Der Blick auf das Fahrzeug auf dem Hof verrät: Das Leben der Familie hat sich zum Guten verändert. Der alte Kleinwagen fehlt, in den sie ihren behinderten Sohn Steven schon lange nicht mehr hinein hieven konnte. Mester: „Ich hatte ständig Angst, dass er mir aus den Armen gleitet.“ Seit einigen Wochen steht ein Kleinbus „Vivaro“ vor der Tür, mit Lift und zwei Rollstuhlplätzen.
Die erste große Ausfahrt führte die Familie gleich zu einer Stiftung nach Rheda-Wiedenbrück sowie weiter nach Dortmund. „Ich muss noch etwas üben, bis ich das größere Fahrzeug beherrsche“, bekennt Kathrin Mester. Deshalb übernahm Neffe David Bergemann das Steuer auf der langen Tour. Unterwegs blieb genug Zeit, auf die spannenden vergangenen Monate zurückzuschauen.
Aufruf in der Zeitung
Die alleinstehende Mutter mit zwei Söhnen, die beide an einer unheilbaren Muskelschwäche leiden, fühlte sich von vielen allein gelassen. Hilfe von der Krankenkasse oder dem Sozialamt blieb in ihrer schwierigen Situation aus. Ein Antrag auf Umbau des Fahrzeuges wurde abgelehnt, der Widerspruch ist nach einem halben Jahr bis heute nicht beschieden, bestätigte die Pressestelle des Landkreises Harz. Ein weiterer Antrag liegt fast ebenso lange bei der Sozialagentur Sachsen-Anhalt und harrt noch immer seiner Dinge.
Hederslebens Bürgermeisterin Kornelia Bodenstein aber half. Nach der Vermittlung einer geeigneten Wohnung startete sie im Herbst 2013 die Initiative für ein behindertengerechtes Fahrzeug. Nach dem Aufruf in der Mitteldeutschen Zeitung setzte eine Welle der Hilfsbereitschaft ein. Fast 100 Menschen und Firmen füllten mit kleineren oder größeren Beträgen das von Bodenstein initiierte Spendenkonto. In der Grundschule und im Sportverein im Ort wurde ebenso für das Auto gesammelt wie bei der Feuerwehr.
Der Start war gelungen, doch dann folgten manche Rückschläge.
„Angeschriebene Firmen, Stiftungen oder Kommunalpolitiker verweigerten Spenden oder meldeten sich gar nicht“, erinnert sich Kathrin Mester an schmerzliche Erfahrungen. Erst mit höheren Summen der Franz-Beckenbauer-Stiftung sowie von „Ein Herz für Kinder“ von „Bild hilft“ stiegen die Chancen auf einen Erfolg wieder an.
Parallel zur Spendenaktion für das Auto kontaktierte der Hederslebener Fußballer Daniel Kuhn die BVB-Stiftung „Leuchte auf“, um den Wunsch des 22-jährigen Steven zu erfüllen, einmal seinen Lieblingsverein direkt im Dortmunder Stadion zu erleben. Über die Verbindung zu den Fußballern konnte die MZ sogar deren Hauptsponsor, die Adam Opel AG, für die Hilfsaktion gewinnen.
Hauptsponsor steigt ein
„Wir waren vom Schicksal der Familie im Vorharz sehr gerührt“, erklärte Opel-Pressesprecherin Lisa Will. Das Unternehmen stellte deshalb einen wenig gebrauchten „Vivaro“ inklusive des notwendigen Umbaus zu einem deutlich reduzierten Preis zur Verfügung. „Wir wollten einfach dazu beitragen, dass Steven und seine Familie am öffentlichen Leben teilhaben kann“, begründete Will das Engagement. Zum Jahreswechsel fehlte noch ein größerer Betrag, um das Auto bezahlen zu können, aber die Hoffnung stieg.
Im September 2004 initiierten Messerproduzent Wilhelm Leuze (F. Dick GmbH) sowie die Fleisch- und Wurstproduzenten Clemens Tönnies und Ullrich Hoeneß die Gründung des Vereins der deutschen Fleischwirtschaft, der Träger der „Aktion Kinderträume ist.
Unterstützung fanden sie in bekannten Persönlichkeiten, wie Josef Schnusenberg (Vorstandsvorsitzender des FC Schalke 04) und Karl-Heinz Funke (ehemaliger Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten), die seitdem zum Vorstand des Vereins gehören. Zur Schirmherrin für die operative Arbeit des Vereins wurde Margit Tönnies auserwählt.
Der Verein erfüllt möglichst schnell und unkompliziert gezielt Wünsche und Träume schwerstkranker und schwerstbehinderter Kinder. Er arbeitet eng mit dem Bundesverband Kinderhospiz zusammen.
Ein Anruf von Margit Tönnies im Januar erlöste die Initiatoren und die Familie. Ausgerechnet die Gattin von Clemens Tönnies, Präsident von FC Schalke 04 und eigentlich Erzfeind der Dortmunder Borussia, versprach als Schirmherrin der „Aktion Kinderträume“, den noch fehlenden Betrag aufzufüllen. Einzige Bedingung: Die Familie muss mit dem neuen Auto den Sitz der Stiftung in Rheda-Wiedenbrück besuchen.
Diese erfüllten Mesters bereits auf der ersten Fahrt, denn die Kleinstadt bei Gütersloh liegt fast auf der Strecke nach Dortmund. „Wir wollen bedürftigen Kindern, Jugendlichen und deren Eltern helfen“, erklärte Margit Tönnies der Familie das Anliegen der Stiftung. „Bei euch ist uns das gut gelungen“, stellte sie nach dem Kennenlernen fest, zu dem auch ein Blick in die Firmenzentrale und den eigenen Fußballplatz gehörte. „Der Chef kann aus seinem Büro im vierten Stock direkt auf den (Kunst-) Rasen schauen“, stellte Steven erstaunt fest.
Foto mit Schalke-Präsident
Marten (9) hatte im Gegensatz zu Bruder Steven, dem Fan von Borussia Dortmund, kein Problem, sich mit Clemens Tönnies und der Schalke-Fahne ablichten zu lassen. „Ich mag Fußball nicht besonders“, bekennt er. Frau Tönnies betonte übrigens: „Der Lieblingsverein spielt für unsere Stiftung überhaupt keine Rolle.“
Ob das neue Auto bis zum Dortmund-Spiel da sein würde, blieb lange im Ungewissen. „Es fehlen noch Teile“, signalisierte die Firma aus Wiesmoor (Ostfriesland), bei der der Lift eingebaut und die Stellplätze für die Rollstühle eingerichtet wurden. Geduldig wartete die Familie. Auf den letzten Drücker kam es. „Uns ist ein riesiger Stein vom Herzen geplumpst“, erklärte Kathrin Mester und wusste gar nicht, bei wem sie sich zuerst bedanken sollte, so aufgeregt war sie.
Für die Fahrt nach Dortmund sammelte der Feuerwehr-Förderverein Hedersleben zusätzlich 125 Euro. „Die Familie soll einen schönen Tag haben“, wünschte Vorsitzender Daniel Kuhn bei der Übergabe. „Das meiste floss aber in den Tank“, bedauerte Kathrin Mester. „Aber für den Besuch in einem Schnellrestaurant reichte es noch.“

