Sie nennen ihn «den Mühlenwirt»
Warnstedt/MZ. - Doch gegenwärtig würde selbst ein Orkan die hölzernen Schwingen nicht rotieren lassen, da Jendykiewicz sie "gefesselt" hat, wie er gesteht. Zudem käme der Wind "leider grundsätzlich von Thale" und damit aus der falschen Richtung. "Dann geht er nämlich durch die Flügel." Der begehrte "Brockenwind" hat sich jedoch rar gemacht. Und nachdem ein gewaltiger Sturm im Dezember 2005 drei Flügel zerbrach, hat Jendykiewicz die Sicherungsrohre fest geschraubt und die so genannte Backenbremse angezogen.
Klaus Jendykiewicz ist der "gute Geist" der 1855 errichteten Warnstedter Holländer-Windmühle. Er sei der Mühlenwart, sagt der Ex-Walzwerker. Doch im Dorf nennt man ihn den "Mühlenwirt". Obwohl er in den historischen Mauern keinen Ausschank betreibt, die Mühlenbesucher allenfalls mit seinem Fachwissen versorgt. "Aber niemand kann meinen Namen aussprechen, deshalb nennen mich alle Mühlenwirt", schmunzelt der gebürtige Pommeraner.
Nachdem das technische Denkmal vor drei Jahren zur Außenstelle des Thalenser Standesamtes mutierte, ist unter den Holzbalken-Decken allerdings auch (wieder) mancher Trinkspruch zu hören. Und wie wird man im vorgerückten Alter zum Mühlen-Obmann? Eigentlich provozierte - wie so oft im Osten Deutschlands - die "Wende" jene neue, unerwartete Karriere: Nach Abwicklung des Thalenser Eisenhüttenwerkes, in dem Jendykiewicz 33 Jahre als Steuerbühnenfahrer und stellvertretender Schichtleiter arbeitete, übernahm er in Warnstedt die Leitung eines sechsköpfigen ABM-Teams. Das Gemeindearbeiter-Sextett agierte als schnelle Eingreiftruppe, baute, reparierte, kehrte. Zur gleichen Zeit, im Mai 1991, begann die einjährige Rekonstruktion der Windmühle, die seit 1941 ungenutzt war und zur Ruine verkam. Im April 1992 war der Wiederaufbau abgeschlossen. Doch nicht nur für die Mühle begann eine neue Ära, auch für Jendykiewicz - sein offizielles Arbeitsleben ging zu Ende. "Ich war nun im Unruhestand und wurde gefragt, ob ich Lust hätte, die Mühle zu betreuen", erinnert er sich.
Ein ehrenvolles Angebot. Schließlich handelt es sich um das weithin sichtbare Wahrzeichen des Dorfes, das wieder glanzvolle Aushängeschild einer Gemeinde, in der Jendykiewicz erst seit 1982 zu Hause war. Der frisch gebackene Ruheständler hatte Lust. Und auch die Fähigkeit, "bestimmte Sachen handwerklich zu machen", wie er einräumt.
Eine Gabe, die in diesem Ehrenamt äußerst hilfreich ist, wie sich schon bald zeigen sollte. Denn Jendykiewicz wurde als Mühlenwart nicht nur Wärter und Fremdenführer, sondern auch Hausmeister. Und irgendwann auch "der einzige, der die Mühle laufen lassen darf". Doch dieses Privileg hat an Wert verloren. Denn um das Flügelwerk zum Laufen zu bringen, sind inzwischen zwei Hobby-Müller nötig. "Das ist so festgemacht, das schaffe ich nicht mehr allein", gesteht Jendykiewicz.
Seit 1996 hat der Mühlenwirt ohnehin eine mehr als 50-köpfige Streitmacht an seiner Seite - den Mühlenverein 1855 e. V., den Ortsbürgermeister Günther Freist leitet. Der Mühlenwirt ist zwar verheiratet, eine Wirtin hat er aber nicht - dafür einige Müllermägde, die zum Beispiel für Tschernobyl-Kinder jährlich Kuchen backen und servieren und auch bei Mühlen-Hochzeiten nicht nur schmückendes Beiwerk sind, obwohl sie in einschlägiger Tracht aufmarschieren. Jendykiewicz bleibt meist in "Räuberzivil", nur bei Fest- und Karnevalsumzügen trägt er Zipfelmütze und Schürze.
Geheiratet wird in der Mühle seit Mai 2005. Zwei Thalenser machten den Anfang. Das nächste Ehegespann kam aus Dortmund und damit erstmals aus ferneren Gefilden. Im September 2005 folgte das erste Warnstedter Paar. "Inzwischen gab's schon 20 Trauungen", freut sich Jendykiewicz. Das hätte selbst er nie gedacht: Sein betagtes Pflegeobjekt wurde zum Ziel des Hochzeitstourismus. Selbst Bayern hätten sich auf dem Warnstedter Eckberg schon trauen lassen. Oder eine in der Schweiz lebende Albanerin, die samt deutschem Bräutigam auch Kroaten, Holländer und Österreicher mitbrachte.
Zu den für 2008 bereits angemeldeten sechs Kandidaten-Paaren gehören erstmals Berliner. Eine Familie habe sogar die Grüne Hochzeit mit einer Silbernen Hochzeit kombiniert - die beiden Ehemänner seien Onkel und Neffe gewesen, berichtet Jendykiewicz. Manches Paar hat ihm als Dank prachtvolle Hochzeitsfotos hinterlassen. Oder gar eine ganze Bildmappe. Die gesammelten Schnappschüsse sollen der Grundstock einer kleinen Foto-Galerie werden, die Jendykiewicz in der geplanten Mühlen-Heimatstube zeigen will.
Eigentlich wollte der Mühlenwirt schon mit 65 Jahren abdanken. Dann mit 70. Und nun? "So lange ich die Treppen noch hochkomme, mache ich das noch", hat Klaus Jendykiewicz entschieden. Beim Sachsen-Anhalt-Tag im kommenden Jahr, der dann in Thale gefeiert wird, "möchte ich noch dabei sein". Als Mühlenwirt, wie er hinzufügt. Und da die Ausstellung mit archäologischen Funden aus der benachbarten Kiesgrube anlässlich des großen Landesfestes bis zum 31. Dezember 2009 verlängert wurde, kann er mit dem Aufbau seiner Galerie ohnehin erst im Jahr 2010 beginnen.