Schmalspurbahnen Schmalspurbahnen: Volle Züge und trotzdem Verluste

Wernigerode/MZ. - Eigentlich wäre es so einfach: "Wenn sie nur zum Brocken fahren würden, würden sie sicher Plus machen", glaubt Daniel Steinhoff. Die anderen Strecken, meint der Geschäftsführer des Brockenhotels, seien doch die Verlustbringer der Harzer Schmalspurbahnen: quer durch das Mittelgebirge von Wernigerode nach Nordhausen, durch das Selketal nach Gernrode und weiter nach Quedlinburg - jährlich fährt die HSB hohe Defizite ein. So hoch, dass nun die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Alarm geschlagen und beklagt hat, die Bahn sei "dramatisch unterfinanziert".
Bevor jemand Daniel Steinhoff jetzt falsch versteht: Er lebt von der Bahn und natürlich will auch er sie nicht bis auf die Brockenstrecke einfach stilllegen. "Die Schmalspurbahn gehört zum Harz", sagt der Gastwirt. "Wo gibt es das denn noch, dass dampfbetriebene Züge auf einem so großen Netz nach Fahrplan fahren." Auch HSB-Betriebsrat Hans-Werner Pape sieht darin den entscheidenden Unterschied und Vorzug: "Der Gipfel und die Region, erst das Gesamtpaket bringt es."
Wie wichtig die kleine große Bahn für den Harz ist, das hat schon vor drei Jahren eine Studie der Hochschule Harz in Wernigerode ergeben. Demnach wird jeder achte Euro in der Tourismusbranche der Kreise Harz und Nordhausen mittelbar oder unmittelbar durch die HSB und ihre Besucher erwirtschaftet - macht eine Wertschöpfung von satten 37 Millionen Euro im Jahr. 36 Prozent der Gäste, so die Untersuchung, kommen gar nur wegen der Eisenbahn - und sie bleiben im Schnitt sogar eineinhalb Tage länger als die übrigen Harz-Urlauber.
Zusätzliche Angebote
Nicht der einzige positive Effekt der Bahn: Der Untersuchung zufolge hängen auch 1 000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der HSB ab, jeder elfte in der Region. "Die Schmalspurbahn ist nicht nur eine Touristenattraktion, sondern auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor", sagt Carola Schmidt, Geschäftsführerin des Harzer Tourismusverbandes. "Deshalb müssen wir alles daran setzen, sie zu erhalten." So müssten die Züge - mit Ausnahme der stark nachgefragten Brockenbahn - noch stärker ausgelastet werden, indem Gästen zusätzliche Angebote unterbreitet werden. Wie zum Beispiel mit dem Selketalstieg. Der Wanderweg verläuft zwischen Stiege und Quedlinburg zum Teil entlang der Bahnstrecke - und lockt Besucher an. Gastronomen berichten von einer Belebung.
Doch ob zusätzliche Wanderwege reichen, um die ausufernden Kosten in den Griff zu bekommen, ist fraglich. "Wir brauchen noch keine weiße Fahne rauszuhalten", sagt Michael Ermrich (CDU), Landrat des Harzkreises und Aufsichtsratsvorsitzender der HSB. Gleichzeitig räumt er ein, dass die Lage bei der Bahn angespannt ist. Vor allem der Unterhalt der Dampflok-Züge und der Strecken sei "extrem teuer". Die Anschaffung neuer Sicherheitstechnik etwa, die gesetzlich vorgeschrieben sei, gehe in die Millionen.
Die Gesellschafter der HSB, dies sind zehn Kommunen und Landkreise aus dem Harz, würden jährlich Defizite in Höhe von 770 000 Euro übernehmen. Verluste, die darüber hinaus gehen, muss die HSB selbst tragen. Wie lange sie dies noch kann, dazu äußert sich Ermrich nicht. "Eine Insolvenz steht nicht zur Debatte", sagt er. Allerdings müsse es für die Traditionsbahn ein neues wirtschaftliches Konzept geben. So solle sich das Land an Kosten für die Instandhaltung beteiligen.
Darüber macht sich auch die Belegschaft seit längerem ihre Gedanken. Bisher schaffen die Wernigeröder ihre Fahrzeuge kostspielig ins Ausbesserungswerk nach Meiningen. Betriebsrat Pape: "Wir können uns vorstellen, dass die HSB eine eigene Instandhaltungsbasis gewinnbringend betreiben kann." So könnte der Betrieb nicht nur seine eigene betagte Technik in Schuss halten, sondern als Spezialist noch Aufträge anderer Schmalspurbahnen erledigen. Der eigene Bestand umfasst 25 Dampflokomotiven, 16 Dieselloks und sechs Triebwagen. Hinzu kommt eine Vielzahl von historischen Wagen. Pape glaubt, das Land sollte prüfen, wie so ein Werkstatt-Projekt unterstützt werden kann. "Das ist dann wirklich eine Investition in die Zukunft."
Über eine Million Reisende
Auf alle Fälle hätte dieser Vorschlag mehr Sinn als Anregungen, die noch vor Jahresfrist von Landtagsabgeordneten kamen. Kopfschüttelnd erinnert sich der Betriebsrat noch an die Idee, einzelne Lokomotiven auf Ölbetrieb umzustellen oder den historischen Fahrkartenverkauf zugunsten von modernen Automaten wegfallen zu lassen. Seine Erfahrung: "Die Fahrgäste wollen doch das Original einer Schmalspurbahn und keine schlechte Kopie." Und bei schon jetzt mehr als einer Million Reisenden im Jahr liegt Pape mit dieser Aussage wahrscheinlich richtig.
Über zwei Dinge lässt der Betriebsrat aber nicht mit sich reden. Zum einen kommt für ihn, auch bei wirtschaftlichen Problemen, ein Lohnverzicht der 260 Mitarbeiter nicht in Frage. Schon jetzt werde die Belegschaft im Schnitt 20 Prozent unter Tarif entlohnt. So gehe ein Heizer auf einer Dampflok mitunter mit kaum mehr als 1 000 Euro monatlich nach Hause. Das Unternehmen riskiere damit auch den Weggang von Personal. So seien beispielsweise Lokführer zur Salzgitter-Bahn nach Niedersachsen gewechselt, die besser zahle. Zum anderen, so Pape, sei bei den Ticketpreisen die Schmerzgrenze erreicht. "Sonst springen uns die Fahrgäste ab."