Ratskrug in Hedersleben Ratskrug in Hedersleben: Keine Nachfolger in Sicht

HEDERSleben/MZ - Mit dem „Ratskrug“ schließt Ende Juli ein Traditions-Gasthaus in Hedersleben für immer. „Einen Nachfolger gibt es wohl nicht“, erklärt Karin Rosen. Sie ist seit über 50 Jahren lebendiges Inventar und nicht mehr wegzudenken. Im September 1963 begann sie in der Gaststätte ihre praktische Ausbildung zur Kellnerin. Zur Theorie musste sie drei Jahre lang in die Berufsschule nach Ermsleben fahren.
Feiern aller Art im Mittelpunkt der Arbeit
Das erste Mal hatte sie bereits 1960 die seit langem als Schankwirtschaft bekannte Einrichtung betreten. Ihre Eltern Hildegard und Herbert Tschirschwitz übernahmen drei Jahre vor dem Lehrbeginn der Tochter die von der Handelsorganisation (HO) betriebene Gaststätte und zogen mit der Familie in der oberen Wohnung ein.
Aus dem 16. Jahrhundert stammen die ersten Verweise auf eine mögliche Schankwirtschaft in unmittelbarer Nähe des früheren Rathauses (heute Schulstraße 21).
1547 ist von „einer Brauerei in der Frackerei“ die Rede. Wegen des Grundbesitzes am Gelände gehört der erste „Krug“ wahrscheinlich noch dem Kloster. 1598 pachtet ein Krugwirt (Krüger) die Scheune neben dem Rathaus.
23 Taler und 18 Groschen musste der Pächter 1667 für den Ratskrug zahlen. Zu Zeiten König Friedrichs I. (1657 - 1713) bringen die beiden Hedersleber Gastwirtschaften dem Ort die höchsten Einnahmen. 1779 übernimmt der Wirt Wegener die Schenke für 600 Goldtaler und wird für sie „jährlich 66 Taler und sechs Groschen Pacht“ abgeben.
Bis 1810 gehören Grund und Boden dem Kloster, danach den Gutsbesitzern Schrader und Heyne. Erst 1945 gehen sie bis heute auf die Gemeinde über. Der Saal wird ab 1959 auch zum damals modernsten Kino im Bezirk Halle umgebaut, das Gebäude unter Regie der Handelsorganisation (HO) bis 1990 als „Haus des Friedens“ zum Hedersleber „Volkshaus“. Dann hat Karin Rosen die Gaststätte privatisiert.
Zu DDR-Zeiten standen neben der Versorgung der Erntekapitäne und ihrer Helfer Feiern aller Art im Mittelpunkt der Arbeit. „Seine Bauern hat der Staat ordentlich versorgt“, erinnert sie sich. „Sogar Bananen haben wir im Sommer an die Landarbeiter ausgeliefert.“ Einzig das Personal des Gemüseladens war neidisch. „Sie haben sich geärgert, wenn sie vom Handel weniger Südfrüchte abbekamen als unsere Gaststätte für die Bauern.“
„Am schönsten waren die Feiern der LPG“, erinnert sich Karin Rosen noch. Für die Bauern der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (Pflanzen) habe Geld beim Speisen-Buffet und den Getränken keine Rolle gespielt. „Auch Discos, Tanzveranstaltungen oder Feiern aller Art brachten ordentlich Umsatz.“ Die Jahresvorgaben des Betreibers wären meist schon im September erfüllt gewesen, sagt Karin Rosen. „Für die HO war unsere Gaststätte eine Goldgrube.“
Über den Werdegang ab 1982 lesen Sie auf Seite 2.
Nachdem Karin Rosen eine entsprechende Prüfung abgelegt hatte und sich ihre Eltern langsam in den Ruhestand verabschieden wollten, übernahm sie deren Aufgaben 1982 als „Objektleiterin“.
Selbst nach der Geburt der Söhne blieb sie weiterhin in der Gaststätte aktiv. „Dank der Unterstützung der Familie, die sich um die Kinder kümmerten, und dem Verständnis der Angestellten konnte auch ich weiter arbeiten“, erzählt sie. Besonders hebt sie dabei ihren Ehemann Wolfgang Rosen und ihre Schwiegermutter hervor.
Wirklich zu war die Schenke während ihrer 51-jährigen Zeit nur einmal: „1966 mussten wir zwangsweise schließen, weil in der Region die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen war.“ Essen habe es zwar keines mehr gegeben, aber Bier und Schnaps liefen trotzdem, berichtet die Wirtin mit einem verschmitzten Lächeln. „Das haben wir einfach durchs Fenster verkauft.“
„Ich war die erste private im Kreis Aschersleben überhaupt“
1990 machte sich Karin Rosen beim Zusammenbruch des Staates und der HO schon kurz nach Einführung der D-Mark mit der Gaststätte selbstständig. „Ich war die erste private im Kreis Aschersleben überhaupt“, berichtet Karin Rosen heute stolz. „Allerdings herrschten in den ersten Jahren der Selbstständigkeit schwierige Bedingungen“, weiß die damalige „Jungunternehmerin“ noch. Durch die nun höheren, weil wirtschaftlichen Preise blieb ein großer Teil der Kunden aus DDR-Zeiten weg.
Die Lücken stopfen konnte die Wirtin vor allem zu Höhepunkten im Dorf. „Bei Volksfesten und Weihnachtsmärkten haben wir ordentlich ausgeschenkt“, nennt sie Beispiele. Langsam entwickelte sich ihr Haus auch zu einem Treff der jüngeren Leute im Dorf.
Statt wie zuvor die Landarbeiter zu versorgen, verlegte sich der „Ratskrug“ auf Familienfeiern, wie Hochzeiten, Jugendweihen oder Geburtstage, und das Essenkochen für Senioren und Kinder. „Jahrelang haben wir die Kita und die Schulen mit frischem Essen beliefert“, betont sie. Sie ergänzt: „Das wird bis Ende Juli auch so bleiben.“ Sie bedauert nur, dass die evangelische Sekundarschule nach kurzer Zeit schon wieder absprang.
Über die Befürchtungen der Bürgermeisterin lesen Sie auf Seite 3.
Mit ihrer langjährigen Mitarbeiterin Sonja Schnitzlein, die ebenfalls in den Ruhestand wechselt, ging sie durch dick und dünn. „Sie half auch, als unsere einstige Außenstelle „Sportlerheim“ nahe der Selke zu Beginn 2003 in den Fluten versank.“
Ehemann Wolfgang kann sich noch gut erinnern: „Die Stühle haben wir auf der Wiese unterhalb des Sportplatzes wieder eingesammelt.“ Später habe seine Frau das Heim aber wieder abgegeben.
Ära der Gaststätte endet Ende Juli
Ende Juli ist die Ära der Gaststätte vorbei. Zwar färbte die Tätigkeit der Mutter einst auf Sohn Mike ab, der, zum Kellner ausgebildet, zunächst in Quedlinburg im „Bunten Lamm“ und später auf dem Hexentanzplatz in der Gastronomie arbeitete. „Er hat sich aber längst anders orientiert und kein Interesse an einer Übernahme“, stellt Karin Rosen eher sachlich fest.
„Ein Nachfolger ist nicht in Sicht“, bestätigt Bürgermeisterin Kornelia Bodenstein als Verpächter. „Interessenten sind gern willkommen.“ Allerdings könne die Gemeinde mangels Geld nicht bei der Sanierung helfen. „So wird das Haus wohl lange leerstehen.“
Zum Monatsende schließt Karin Rosen nach 51 Jahren Arbeit in den Räumen die Tür ab - mit Wehmut.