Quedlinburger Domschatz Quedlinburger Domschatz: 500 Jahre altes Evangelistar aufgeschlagen

Quedlinburg/MZ - Die Inszenierung war perfekt. Die Glocken von St. Servatius schlugen zur Mittagsstunde, und das Evangelistar von St. Wiperti lag zum Öffnen auf einem Tisch im Hohen Chor der Quedlinburger Stiftskirche bereit. Wenige Minuten zuvor hatte am Dienstag Thomas Labusiak, Kustos der Domschätze in Halberstadt und Quedlinburg, das 500 Jahre alte Buch aus der Vitrine einer der Schatzkammern des Gotteshauses geholt. Erwartungsvolle Augen von über 50 interessierten Besuchern und Medienvertretern richteten sich auf das noch geschlossene Kirchenbuch, das 1513 für das Kloster St. Wiperti geschrieben worden war. Der Buchdeckel aus getriebenem und vergoldetem Silber zeigt in der Mitte Christus als Retter der Welt. Die Weltkugel ging aber mit den Zeiten verloren.
Thomas Labusiak erinnerte in seinen Einführungsworten daran, dass gleich zwei Jubiläen zu begehen seien. Da ist einmal das Alter des Evangelistar, das vor 500 Jahren geschrieben wurde, und da ist andererseits die Rückkehr an den angestammten Platz vor 20 Jahren, denn das Kirchenbuch gehörte zu den zwölf Stücken des Quedlinburger Domschatzes, die 1945 von einem US-amerikanischen Offizier gestohlen und mit der Post nach Texas geschickt worden waren. Es war das zweite Stück des Schatzes, das nach dem Samuhel-Evangeliar nach Deutschland zurückkehrte.
Bei dem Buch handelt es sich um einen Prachtband, der nur zu hohen Festtagen im Kirchenjahr aufgeschlagen wurde. Das besondere ist auch, dass die Jahreszahl auf dem Deckel verzeichnet und im Buch vermerkt ist, dass es für Propst Laurentius angefertigt wurde. „Die Jahreszahl ist ein selten zu sehender Hinweis. Zumeist ist nicht bekannt, wann solch ein Buch verfasst wurde“, erklärte der Kustos den Anwesenden. Nach dem Ende des Klosters im Jahr 1547 wurde das Evangelistar in den Schatz des Stiftes übernommen.
Nach den Einführungsworten öffnete Cornelia Hanke, freischaffende Restauratorin aus Berlin, die mehrere historische Bibliotheken in Sachen-Anhalt betreut, das Evangelistar. Es besitzt im Gegensatz zum weitaus älteren Samuhel-Evangeliar keine Bilder. Die Ausstattung kann sich aber durchaus im Vergleich sehen lassen. Die Kapitel beginnen mit großen vergoldeten Initialen. Ranken, Blütenformen und Tierabbildung verzieren viele Seiten des Buches. Rote Buchstaben zeigen auf, an welcher Stelle in der Bibel der jeweilige Text zu finden ist.
Das Evangelistar wiegt rund 3,5 Kilogramm und ist auf Pergament geschrieben worden. Die Deckel bestehen aus Eichenholz. Während auf der Vorderseite mit vergoldetem Silber unter anderem Jesus als Weltenretter dargestellt ist, wurde die Rückseite mit wertvollem Stoff aus Italien überzogen. „Ein solches Evangelistar ist ein echtes Kunstwerk“, betonte denn auch Thomas Labusiak. Und es befinde sich in einem hervorragenden Zustand, was zeige, welche guten Materialien verwandt wurden und wie sorgsam mit dem Buch in den zurückliegenden Jahrhunderten umgegangen wurde.
Nach der gestrigen Öffnung des Evangelistars von St. Wiperti ist es aufgeschlagen wieder in die Vitrine der Schatzkammer gebracht worden. Es kann nun zumindest bis zum 15. September von den Besuchern betrachtet werden. An diesem Tag wird eine Ausstellung zu 20 Jahre Rückkehr des Domschatzes in der Stiftskirche eröffnet und zugleich findet ein Festakt aus diesem Anlass statt.