Quedlinburg Quedlinburg: Fußballer schlägt Fan k.o.
QUEDLINBURG/MZ. - Die Lippe ist genäht, die Wange geschwollen. Volker Fricke kann kaum sprechen. Zwei Zähne fehlen ihm. "Ich war als Zuschauer beim Fußball in Reinstedt", erklärt er und ist zwei Tage später noch fassungslos. Fassungslos darüber, dass er während des Harzliga-Spiels des FSV gegen den Hederslebener SV von einem Reinstedter Spieler zusammengeschlagen wurde. Darüber, dass sich niemand anschließend um ihn kümmerte. Und vor allem darüber, dass das Spiel fortgesetzt und der Vorfall nirgends erwähnt wurde.
Seitdem er fünf ist, hat der heute 49-Jährige Fußball gespielt. 15 Jahre lang war er Trainer, hat Hederslebens A-Junioren erfolgreich in die Landesliga geführt und bis vor zwei Jahren die Männer trainiert. Er beschreibt sich als fußballverrückt, das Virus liege in der Familie. Sein Bruder Andreas Petersen trainiert das Halberstädter Regionalliga-Team, sein Neffe Nils Petersen stürmt seit dem Sommer für den FC Bayern München in der 1. Bundesliga. "Nils hat mich am Samstag zum Spiel gegen Bremen eingeladen. Er weiß noch gar nicht, was passiert ist," sagt Fricke und ihm kommen die Tränen. "Ich habe Schmerzen ohne Ende. Im Schlaf schrecke ich auf und sehe das vor mir. Mein Arzt sagt, dass ich in Behandlung muss." In psychologische Behandlung.
Was war geschehen? Am Samstag wollte Fricke mit seinem Sohn, der einst für Hedersleben spielte, ein Spiel des HSV sehen. Und natürlich habe er als Fan seine Kommentare abgegeben. Wie vom Schiedsrichter verlangt, tat er das nach Aufforderung auch hinter der Bande. "Ich war kein Lieber, immer laut, aber sachlich", beschreibt er sich selbst. Dass er in der Nähe des Reinstedter Trainers stand, verbal stichelte und es sogar "Wortgefechte" gab, gibt er ohne Umschweife zu. Das sei nicht schlimm auf einem Sportplatz, findet er. Laut ereifert habe er sich, als einem Hedersleber in die Beine gegrätscht wurde.
Zwei Zähne fliegen raus
Reinstedts Trainer wäre dann mit einem "Bodyguard" rübergekommen und es habe weitere Wortgefechte gegeben. Als kurz vor Ende der ersten Halbzeit der Ball bei ihnen ins Aus ging, sei plötzlich "die ganze Mannschaft wie von der Tarantel gestochen auf mich zugekommen." Sein Sohn habe ihn noch schützen wollen und auch ein blaues Auge abbekommen. Er selbst wurde von einem Reinstedter so geschlagen, dass neben einem Schneidezahn auch ein künstlicher Zahn ausgebrochen wurde. Er habe noch den Reinstedter Trainer rufen hören "es reicht". Dann sei er stark blutend bewusstlos geworden. Als er wieder zu sich kam, seien alle weg gewesen. "Keiner hat sich um mich gekümmert. Als ehemaliger Trainer frage ich mich, wo war ein Ordner und was hat der Trainer außerhalb der Coachingzone zu suchen?" "Der Spieler hat nichts mehr auf einem Fußball-Platz verloren", findet Fricke,
Schiedsrichter hat nichts gesehen
Schiedsrichter Diethardt Löchner erklärte: "Ich habe nichts gesehen." Nur eins: "Die hatten sich einen Meter vom Platz beim Wickel", räumt er ein. Dass ein Reinstedter Spieler geschlagen haben soll, "davon weiß ich nichts".
So setzte Löchner das Spiel fort und auch im Bericht gibt es keine Notiz. Ein Hedersleber, der nicht genannt sein will, schildert, dass ein Ordner an der Bande stand und "die sich anfassten". Dann sei ein Reinstedter Verteidiger über das Spielfeld gelaufen, über die Bande gesprungen und habe Fricke "eine ins Gesicht gedrückt, so dass er zu Boden fiel". Der Schiri sei dann dazugekommen. "Eigentlich hätte abgebrochen werden müssen, aber nach ein paar Minuten Unterbrechung ging es drei Minuten weiter bis zur Pause." Manch Schiedsrichter habe eben "keinen Mumm."
Reinstedts Vereinschef Daniel Brunner bezweifelte auf MZ-Anfrage, dass einer seiner Spieler geschlagen habe. "Wenn es einer unserer Spieler gewesen wäre, dann hätte der Schiri abgebrochen", ist er sich sicher. Von der anderen Spielfeldseite habe er zwar Tumult bemerkt, "aber wer wen habe ich nicht gesehen". Nur gehört, dass der Ex-Trainer dem Ordner Glühwein vor die Füße geschüttet haben soll und jemand den Ordner geschlagen habe. "Aber das darf nicht passieren", betont er.
"Es gibt im Fußball immer ein paar Aufreger", weiß Detlef Rutzen, der Präsident des Kreisfachverbandes Fußball, der von dem Vorfall erst mit der MZ-Anfrage erfuhr. Und ob ein Schiedsrichter nach einer Rangelei das Spiel fortführt, liege in seinem Ermessen. Auch wenn im Spielformular kein Hinweis zu lesen war, könne der Schiri parallel einen Bericht machen. Er riet Fricke dazu, das Sportgericht anzurufen. "Ich kann guten Gewissens sagen, es muss keiner Angst haben", stellte Rutzen auf Nachfrage klar.
Fricke hat Anzeige wegen Körperverletzung gestellt und will zivilrechtlich gegen den Reinstedter vorgehen. Zu einem Harzliga-Spiel gehe er nie wieder. Nur nach Halberstadt zu den Regionalliga-Spielen seines Bruders. "Da steht überall Polizei".