Quedlinburg Quedlinburg: Diva-Kissen und Zicken-Zoff
QUEDLINBURG/MZ. - Es ist eher ein Zufall, dass in dieser Spielzeit am Nordharzer Städtebundtheater gleich doppelt hinter den Theatervorhang geschaut wird. Nach "Wunder gibt es immer wieder" folgt nun eine Satire über die Opernwelt: "Viva la Mamma" - jene Oper von Gaetano Donizetti, die im Original passend "Le convenienze ed inconvenienze teatrali", also "Sitten und Unsitten der Leute vom Theater", heißt.
Ausgefahrene Ellenbogen
An manchen Stellen des von Wolfgang Dosch bestens in Szene gesetzten Zwei-Stunden-Stücks fragt der Zuschauer sich, ob das Ensemble auf der Bühne sich etwa selbst spielt. Diven-Eitelkeit, ausgefahrene Ellenbogen - jeder Darsteller glaubt, er kommt bei der Verteilung der Arien zu kurz. Ein selbstgefälliger Tenor, der abfällig als "Mongolischer Steppenhund" bezeichnet wird, und eine schnäpselnde Altistin - das Chaos scheint komplett. Der Text der Dosch-Fassung spart zudem bewusst nicht mit Seitenhieben auf die Harzer Theater-Gegebenheiten. Doch folgt man der Aufführung, weiß man, auch zu Donizettis Zeiten saß das Geld für die Künste nicht allzu locker. Das Publikum erlebt zwei Opern an einem Abend: um das etwas albern wirkende altrömische Werk "Romulus et Ersilia" ranken sich die Ränke in einem Provinztheater der 50er Jahre. Was auffällt, die Künstler haben viel Text auf wenige Noten zu singen.
Schon bei den Proben kommt der Tenor abhanden, der gerade einen neuen Gesangslehrer hat. Xiaotong Han ist als Guglielmo eine echte Sänger-Parodie, die alle gängigen Vorurteile bedient und mit der Korken-Methode eine bessere Aussprache erreichen will. Die Königin der Sabinerinnen, eine gut aufgelegte, witzig-böse Thea Rein, frönt dem Alkohol und spart nicht mit Spitzen gegen andere Ensemblemitglieder. Sie rutscht auf der Rumkugel aus, das bringt sie zu Fall, und der Theaterintendant hat ein Doppelproblem. Dazu kommen die Sorgen mit der Finanzierung, eine zweitklassige Sängerin, die drittklassig agiert, aber eine finanzkräftige Mutti hinter sich hat.
Kerstin Pettersson lispelt als Götterbotin herzzerreißend unbedarft und wunderschön. Koloratursicher gibt Bettina Pierags mit Verve der Primadonna Corinna durchaus hintersinnig ein wunderbares Zicken-Image. Für jeden ihrer Kniefälle muss stets ein Diven-Kissen bereit liegen. Juha Koskela als ihr geschäftstüchtiger Manager-Gatte rundet stimmlich sicher das Ensemble ab, aus dem die Titelfigur volltönend hervorsticht.
Klaus Uwe Rein schlüpft in ein türkisfarbenes Gewand und in die wohl schönste Travestie-Hauptrolle des 19. Jahrhunderts. Als Mamma Agatha fordert er mit mächtiger Bassstimme eine größere Rolle für seine ziemlich talentfreie Tochter Luisa ein. Doch es kommt noch schlimmer. Als Sponsorin darf sie selbst noch mitspielen, um die Inszenierung nicht fast vor das Komplett-Aus zu bringen. Rein bewältigt dabei den Grat, komödiantisch, aber auch hysterisch zu sein, ohne die Bühnenbretter mit Klamauk zu füllen. Bestens bedient er auch dank der Maskenbildnerei des Hauses das Mann-Frau-Klischee mit seiner bekannten Komödianten-Ader. Und wenn die Souffleuse (Marlies Sturm) mal den Text nicht laut genug vorsagt, wird aus der Speisekarte improvisiert: "Spaghetti bolognese" und "Insalata mista" klingt doch wie in der italienischen Oper.
Leicht getupfte Klangfarben
Der stimmlich präsente und beweglich agierende Ingo Wasikowski ist als Impresario sehr an das angelehnt, was Theaterdirektoren heute leider sein müssen: Kulturmanager. So streift die gute, alte zweiaktige Opera buffa plötzlich solch aktuelle Fragen wie die Bedeutung der Kunst für Kommunen und deren Finanzierung. Auch Norbert Zilz als Komponist und Dichter Gijs Nijkamp erinnern immer wieder an die Mühen, die Autoren im Umgang mit den Vollstreckern ihrer Kunst und deren Eitelkeiten haben. Der Herren-Chor mimte klangschön, von Brille bis Kaugummi detailreich, die völlig unambitionierten Römer auf einer Bühne, die Ausstattungsleiterin Susanne Bachmann einem echten Probenraum mit allerlei Ersatz-Lösungen nachempfunden hat.
Donizetti hat zu seiner hübschen Opern-Farce "Viva la Mamma!" eine etwas an Rossini erinnernde Musik komponiert, die sehr hörenswert ist. Da wechseln flotte Parlando-Passagen mit Stretta-Momenten und Prestissimo-Abschnitten. Martin Hannus führt seine Musiker im Graben sehr ambitioniert durch das Bild voller leicht getupfter Donizetti-Klangfarben. Das Publikum fragt sich am Schluss, ob das alles nur Theater ist oder ein Abbild dessen, was sich auf den Probebühnen dieser Welt abspielt. Und dankt für die ansprechende Opern-Unterhaltung mit lang anhaltendem Beifall. Für die Diva flogen sogar Blumen.