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Quedlinburg Quedlinburg: Denkmal für ausländerfeindliche Krawalle gefordert

Von Ingo Kugenbuch 12.09.2012, 13:17

Quedlinburg/MZ. - 20 Jahre hat sie gewartet und geschwiegen. Nun steht die Lehrerin hier im Kulturzentrum Reichenstraße ihrem ehemaligen Schüler gegenüber. "Ich habe zu dir aufgeschaut, weil du bei der Mahnwache warst und ich nicht", sagt sie und ringt um ihre Fassung.

Vor 20 Jahren - da haben Quedlinburger Ausländer vor Quedlinburgern geschützt. Am 7. September 1992 hat ein Mob das Asylbewerberheim in der Oeringer Straße mit Molotow-Cocktails und Steinen angegriffen. Couragierte Bürger versuchten die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Flüchtlinge zu schützen. Der damalige Bürgermeister Rudolf Röhricht war genauso dabei wie der ehemalige Leiter des evangelischen Jugendzentrum, Hans Jaekel. In einer Pudiumsdiskussion im komplett gefüllten Kulturzentrum Reichen-straße kommen die Zeitzeugen nun wieder zusammen - die einen auf dem Podium, andere im Zuschauerraum.

"Wir brauchen Gedenkorte des Widerstands", fordert Jaekel. Da sei es egal, ob ein Denkmal auf dem Marktplatz oder am ehemaligen Standort des Heimes, wo sich heute ein Supermarkt befindet, errichtet wird. "Erinnerung muss an Orten und in den Köpfen stattfinden", meint Moderator Sebastian Striegel, innenpolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion. Die Grünen wollen auch im Landtag an die rassistischen Angriffe erinnern. Sie haben für die nächste Woche einen Antrag formuliert, in dem es unter anderem heißt: "Die Mitglieder des Landtags sind beschämt angesichts der Taten, die in Quedlinburg und vielen anderen anderen Orten durch Bürgerinnen und Bürger unseres Landes begangen oder durch sie beklatscht wurden." Asylbewerber sollen nach dem Willen der Grünen künftig nicht mehr zentral, sondern in dezentralen Unterkünften untergebracht werden und sich frei im Land bewegen dürfen.

Quedlinburgs Oberbürgermeister Eberhard Brecht (SPD) lehnt ein Denkmal ab. "Ich habe den Eindruck, dass das, was heute passiert, wichtiger ist als eine Marmor-Stele", sagte er mit Blick auf die Veranstaltung. Bis heute arbeite der Runde Tisch "Bürger für Demokratie und Toleranz". "Wir sagen gemeinsam Nein", so Brecht. Ein Denkmal sei nicht nötig. Die gesamte Zivilgesellschaft müsse Zivilcourage zeigen. Das tat Brecht als SPD-Bundestagsabgeordneter 1992 in der Oeringer Straße. "Wir haben damals alle möglichen Menschen angerufen", erinnert sich Jaekel. "Es gab ein Netzwerk der Aufpasser." Zu dem allerdings nicht die gehörten, deren Job das Aufpassen eigentlich gewesen wäre: die Polizisten.

"Diese Ausprägung von Gewalt in der Stadt zu erleben war eine neue Erfahrung für mich", sagt Karl-Heinz Willberg. Es erfülle ihn mit Scham, dass die Polizei bis zur dritten Nacht der Ausschreitungen die Bevölkerung nicht vor Gewalt schützen konnte. Willberg war damals bei dem Einsatz dabei und ist heute Referatsleiter im Innenministerium. Zu den Menschen, die sich vor die Flüchtlinge gestellt haben, sagt er: "Es nötigt mir Respekt ab, wie Sie das Heim geschützt haben." Torsten Hahnel, der für den Verein "Miteinander - Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt" auf dem Podium sitzt, attestiert der Polizei im Gegenzug "Totalversagen" . "Es gab Rückzug und keinen Schutz für die angegriffenen Menschen", sagt er.

Jaekel hat später mit den jugendlichen Tätern gearbeitet. "Das waren gedemütigte, vernachlässigte Leute", sagt er. "Die Deformation von Seelen ist uns sehr deutlich geworden." Er habe mit Jungen zu tun gehabt, die von ihren Müttern vergewaltigt worden seien.

Die Lehrerin, die vor 20 Jahren nicht an der Mahnwache teilgenommen hat, weil sie zwei kleine Kinder zu betreuen hatte, ist an dem Tag, an dem die Asylbewerber nach den Krawallen aus Quedlinburg weggeschafft wurden, mit ihrem Trabant hinter deren Bus hergefahren. Und sie schenkte jedem der Vertriebenen eine Blume.