Ostern im Spannungsfeld der Ereignisse vor 70 Jahren
Quedlinburg/MZ. - Dies wird umso deutlicher, wenn man einen Blick zurückwirft in die jüngere Geschichte des Gotteshauses:
1936 hatte der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, die Stiftskirche St. Servatii zu Quedlinburg als Kultstätte des Dritten Reiches entdeckt. Er übernahm die verantwortliche Leitung für die Feier zum 1 000. Todestag von Heinrich I., der von den Nationalsozialisten als Vorkämpfer germanischer Weltanschauung verehrt wurde. Mit dem Staatsakt am 2. Juli 1936, bei dem das Kreuz in der Stiftskirche abgehängt und die Bibel vom Altar entfernt wurde, begann ein unerbittlicher Kampf zwischen SS und Kirchengemeinde.
Die Nationalsozialisten wollten den Sakralbau zu einer Wallfahrtsstätte für die deutsche Nation machen. Der Gemeindekirchenrat gestattete zunächst mehrere Feiern der SS-Reichsführung in der Krypta der Stiftskirche, lehnte es aber ab, ihr den Bau ganz zu überlassen. Ohne Wissen der kirchlichen Amtsstellen schlossen jedoch SS-Reichsführung und das Reichs- und Preußische Ministerium für die kirchlichen Angelegenheiten am 18. Dezember 1937 eine Vereinbarung, die den Quedlinburger Dom zur Verwaltung und Nutzung der SS-Reichsführung übertrug.
Zwar widersetzten sich die Bekennende Gemeinde und der Gemeindekirchenrat zunächst der Aufforderung, die Schlüssel auszuhändigen - "Die Entziehung des Schlüssels lehnt der Gemeindekirchenrat als mit der Ehre der Kirche unvereinbar ab", heißt es in einer Stellungnahme vom 2. Februar 1938 - dennoch blieb der Protest wirkungslos. Der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin als die zentrale Leitung der ehemals preußischen Kirchenprovinzen verhielt sich eher zurückhaltend. Erst nach der unter Drohungen erzwungenen Herausgabe der Schlüssel (6. Februar 1938 durch Superintendent Schmidt) und nachdem bereits eine SS-Fahne vom Turm der Kirche wehte, schrieb die Behörde an das Reichskirchenministerium und verwies darauf, dass die Vereinbarung vom Dezember 1937 rechtswidrig sei und es "für eine evangelische Kirchengemeinde innerlich unmöglich (sei), ihr alleiniges Nutzungsrecht an einem gottesdienstähnlichen Gebäude preiszugeben, zugunsten einer Simultanität mit einer Organisation, die die christliche Lehre ablehnt, wenn nicht gar bekämpft".
Vor 70 Jahren, nach Ostern 1938, war die Domgemeinde gezwungen, die Stiftskirche zu verlassen und in die St. Blasiikirche umzuziehen. Altar und Kreuz mussten weichen. Iim Hohen Chor der Stiftskirche prangte nun ein steinerner Reichsadler mit Hakenkreuz. Ein Prozess, mit dem der Oberkirchenrat die Rückgabe des Sakralbaus erreichen wollte, ging in den Kriegswirren unter.
Erst nach der Befreiung Quedlinburgs durch amerikanische Truppen erhielt die Gemeinde die Kirche zurück. Am 3. Juni 1945 fand dort erstmals wieder ein Gottesdienst statt. Pfarrer Rudolf Hein, Mitglied der Bekennenden Kirche, leitete ihn ein mit den Worten: "Ich zünde die Lichter, die Sinnbilder für Gesetz und Evangelium, aufs Neue an." In Erinnerung an die Geschichte und in Verantwortung vor der Zukunft sagte der Magdeburger Bischof Dr. Christoph Demke am 30. April 1995 in einem Gottesdienst in der Stiftskirche: "Wer glaubt, er könne das Kreuz Jesu Christi in die eigene Hand und die eigene Regie nehmen, der macht schnell aus dem Kreuz ein Schwert." Kreuzzüge seien jedoch nicht Gottes Wege.
Demke warnte so vor dem politischen Missbrauch des christlichen Glaubens. Heute ist erneut ein Erstarken der rechtsextremen Gewalt in unserer Gesellschaft wahrzunehmen - ebenso aber auch der immer lauter werdenden Ruf nach Zivilcourage und Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen.
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Dr. Ekkehard Steinhäuser ist geschäftsführender Pfarrer des Quedlinburger Kirchspiels.