Kloster Wendhusen Kloster Wendhusen: Entschlüsselung eines Bauwerkes

thale/MZ - Kanonendonner, paradierende Truppen in historischen Uniformen, Bogenschießen und Stände mit historischer Handwerkkunst, all das ist diesmal nur „Zubehör“ zu einem Wochenende unter der Überschrift „Zeitenwandel“, das die Nordharzer Altertumsgesellschaft im Kloster Wendhusen veranstaltet. „Im Fokus steht die Baugeschichte, die wir von den Anfängen im 9. Jahrhundert bis zur Gegenwart verfolgen können,“ sagt Vereinsvorsitzender Heinz A. Behrens. Das Wetter ist den Organisatoren nicht ganz hold. Kühler Wind, feuchter Boden, der eine oder andere Tropfen von oben, doch die Teilnehmer nehmen es fast mit Gelassenheit, auch wenn sie zum kalendarischen Sommerbeginn mit ganz anderen Verhältnissen gerechnet haben. „Das Wetter hat uns auch etwas mit den Außenarbeiten in Verzug kommen lassen“, entschuldigt sich Behrens, der auf den entstandenen Archäologiepark und den neu gestalteten Garten weist. Doch auch am Samstag folgen ihm bei seiner Führung durch den neuen Ausstellungsraum und die Reste des Klosters über 20 interessierte Besucher.
Fünf Jahre intensive Forschung
„1 200 Jahre Baugeschichte und zwei Epochen, die wieder lebendig werden,“ wo findet man das schon, schwärmt er. Nachdem der zweite Band zur Baugeschichte präsentiert wurde, erläutert der „Klosterherr“ dicht am Objekt Mörtelzusammensetzung, Estriche, dendrologische (Holz-)Befunde und Eigentümlichkeiten an historischen Wänden. Damit ziehe man eine Zwischenbilanz fünfjähriger intensiver Forschungen. Daran beteiligten sich Baufachleute und –archäologen ebenso wie Archivforscher. Vergleichsbefunde führten die Autoren nach Süditalien ebenso wie nach Schottland und Nordrhein-Westfalen. „Wendhusen glänzt mindestens durch drei Superlative, wie man es heute ja gerne der Öffentlichkeit offeriert“, betont der sachkundige Führer durch das Klostergelände. Das einstige Kanonissenstift Wendhusen soll um 825 entstanden sein und gilt als einziger noch vorhandener Karolingischer Bau seiner Art in Mittel- und Norddeutschland, seine Damenempore ist als zweites Alleinstellungsmerkmal die älteste in gesamt Westeuropa. Die Stiftskirche ist eine Saalkirche, die in einer hufeisenförmige Apsis endet, was in der weiteren Umgebung nicht mehr zu finden ist. Und der dritte herausragende Fakt sei der erst Mitte des 12. Jahrhunderts entstandene Westbau. Die Frauengemeinschaft des Kanonissenstiftes, vom Adel, nicht von Orden getragen, lebte auch in einem architektonisch anders gestalteten Bauwerk. Es war anders als die Mönchsklöster oder wie ein Bischofsbau wie der Dom Havelberg vertikal gelagert. Schrittweise habe man das Bauwerk entschlüsselt. Davon zeugen Abbildungen und steinerne Zeugen im neuen Ausstellungsraum des Klosters, der seinen Schwerpunkt auf das Frühmittelalter legt. „Wir haben die Ausstellung nebst Blick aus dem Fenster so angelegt, dass die ganze Dimension des Baues erfasst werden kann“; sagt Heinz A. Behrens. Viele Fakten seien unterdessen gesichert, aber es gibt durchaus auch Dinge, über die man spekulieren kann. „Die Höhe unseres Modells stimmt genau, die Fensteraufteilung kann man nur vermuten. Über die Klausur wissen wir wenig bis nichts. Ihre Lage ist verbürgt, ihr Aussehen nicht.“ Auch zur Zerstörung in 15. oder 16. Jahrhundert sollte man mit seinen Aussagen vorsichtig sein. „Dass dies mit dem Bauernkrieg in Verbindung stand, hört sich gut an, ist aber keineswegs beweisbar.“ Behrens tendiert zu einer weniger spektakulären Variante des langsamen, schleichenden Verfalls. Der Konvent wurde kleiner und es fehlten Leute, die die Anlage pflegten.
Wendhusener Geheimnisse
Am Beispiel der Stiftskirche St. Maria und St. Pusinna wird erklärt, welche Baumaterialien damals zum Einsatz kamen. Rogenstein (Oolith) aus der Region sei ebenso zu finden wie Sandstein für Plastiken. Immer wieder verstehen es die Mitglieder der Nordharzer Altertumsgesellschaft im Kloster Wendhusen, die Besucher auf die Spur von Geheimnissen zu lenken. Dazu reichen schon Bauabbrüche oder Putzspuren und der Hinweis auf Pilzkapitelle. So findet sich im Gewölbe Pietra Rasa-Technik, die das Herz von Bauforschern höher schlagen lässt. So nannte sich das Verfahren, in welchem man vor über 800 Jahren das Bruchsteinmauerwerk optisch anglich und Ritzungen einbrachte. In der archaisch anmutenden Krypta stößt der genaue Hinschauer auf Holzeinbauten. Mit Bohrungen analysierten die Forscher das Alter der Wendhusener Balken. Dabei stießen sie auf eine 998 gefällte Eiche, was in Deutschland ebenso einmalig zu sein scheint.
Bei so vielen Sensationen im eher beschaulichen Kloster von Thale wirken der als Garten aus der Karolingerzeit, orientiert an der Landgüterordnung Karls des Großen, und der etwa 32 Meter lang und knapp neun Meter breite freigelegte Grundriss der ältesten Stiftskirche als archäologischer Park schon fast unspektakulär. „Was sie natürlich nicht sind“, wie Heinz A. Behrens betont und zum Himmel schaut. Nicht vorrangig wegen des Wetters, sondern um auf den Klosterturm zu weisen. „Den wollen wir 2014 fertig durchsaniert haben.“