Karnevalsjubiläum Karnevalsjubiläum: Wegeleber Narren feiern halbes Jahrhundert

Hedersleben/Wegeleben/MZ - Lassen die Wegeleber Narren traditionsgemäß auch am Rosenmontag ihren Schlachtruf „Wigo helau“ erklingen, müssen sie auf einen Teil ihrer eigenen Vereinsmitglieder verzichten. „Die Arbeit geht nun mal vor“, erklärt Präsident Udo Rösemann. Der Hederslebener lenkt nach dem Tod seines Vorgängers Hans-Joachim Eschig seit 2007 als erst dritter Präsident überhaupt die Geschicke des Karneval-Clubs Wegeleben (KCW). Erster Chef des 1964 gegründeten Vereins war für ein Vierteljahrhundert lang Günter Becker. Die zweite Hälfte begleitete er als Ehrenpräsident, konnte aber die Jubiläumsveranstaltung zum 50. Geburtstag nicht mehr erleben.
Becker hatte damals als Stadtverordneter gemäß einer Kulturinitiative der DDR Bürger zur Mitarbeit unter dem Motto „Stürmt die Höhen der Kultur“ aufgerufen - mit Folgen. Am 11.11.1964 gab es die erste Karnevalsveranstaltung im Schützenhaus, das damals noch „Klubhaus der Werktätigen“ hieß. Dessen Saal und Bühne mussten zuvor noch notdürftig renoviert werden. Mit dabei war auch das im Ort vorhandene Blasorchester. Endlich war mal etwas los im Ort.
Die Aktion begeisterte so sehr, dass die Wegeleber bis heute nicht aufhören können, jedes Jahr die fünfte Jahreszeit zu feiern. Schon im Februar 1965 standen Prinzessin Renate I. (Lehmann) und Prinz Gerhard I. (Kramer) als Majestäten der ersten Session vor.
Fehlende Konkurrenz in der Region
„Früher war alles anders, da konnten wir uns vor Besuchern auch am Rosenmontag kaum retten“, ergänzt Rösemanns Gattin Jutta, die dank ihrer Familie von Kindesbeinen an in das Narrenwesen einbezogen wurde. „Wegen fehlender Konkurrenz im Bereich buchten uns bald die Nachbarorte Hedersleben und Ditfurt. Auch nach Quedlinburg, Wedderstedt und Badeborn ging es.“
Ein vielfältiges kulturelles Angebot zum Einbinden der Bürger ins gesellschaftliche Leben unter Kontrolle der SED gehörte zum Alltag der sozialistischen Republik. Allerdings unterlagen die Arbeit im Hauptträger Kulturbund und die Künstler häufig auch der Zensur.
Mit verschiedenen Initiativen, beispielsweise dem „Bitterfelder Programm“, sollte die Nähe der Werktätigen zur Kultur befördert werden - mit unterschiedlichem Erfolg. Ebenso gab es immer wieder Bemühungen, das kulturelle Leben auf dem Land zu verstärken, was sich in Chören, Orchestern, Schreib- und Dichtergruppen oder Malzirkeln wiederspiegelte.
Vereinzelt fanden sich auch Nischen, von Linie des Systems abzuweichen, wo die sonst strenge Zensur aus unterschiedlichen Gründen eingeschränkt war. (bü)
Vor allem im Saal des Hederslebener Kulturhauses waren die Wegeleber Jecken besonders gern gesehen, wohnten doch manche Akteure im gleichen Ort. „Heute liegt sogar die Vereinszentrale in Hedersleben“, betont Udo Rösemann mit einem breiten Grinsen.
Geändert hat sich viel in einem halben Jahrhundert, nicht aber der Schlachtruf „Wigo Helau“, welcher auf den historischen Namen „Wigosleipa“ für den Ort zurückgeht. 1971 änderten sich beispielsweise die Vereinsfarben von grün/gelb in das noch heute dominante rot/weiß. „Unser Umzug am Rosenmontag war immer ein Höhepunkt“, erinnert sich Jutta Rösemann. Schelmisch ergänzt sie: „Da standen freiwillig mehr am Straßenrand als zu den befohlenen Demos des 1. Mai.“ Inzwischen beginnt jede Saison mit dem Faschingsumzug am ersten Samstag nach dem 11. November, bei dem das Prinzenpaar vorgestellt und der Stadtschlüssel übernommen werden.
Nach der Wende enorme Probleme
Mit der Wende im 25. Jahr des Bestehens und dem Abgang einiger Aktivposten kamen enorme Probleme auf die Narren zu. Zudem hatte sich 1989 der erste Präsident des als „Ausgezeichnetes Volkskunstkollektiv der DDR“ geehrten Vereins aus Gesundheitsgründen zurückgezogen. „Dank eines gestandenen Teams und des immer nach Geldgebern suchenden neuen Präsidenten haben wir das zum Glück gut gemeistert“, blickt Jutta Rösemann zurück. Sie hat inzwischen als Oma Lenchen ihren festen Platz in der Bütt und ist zudem als Tänzerin bei den „Golden Girls“ aktiv.
Schnell gab es nach dem Fall der Grenzmauer Kontakte zu den Narren dahinter, die den Vorharzern nicht nur Mut machten, sondern auch deren Erhalt unterstützten. „Zu unserer Feier zum 30. Geburtstag haben die Einbecker beispielsweise den gesamtem Abend gestaltet“, weiß Jutta Rösemann noch. „Gegenseitige Besuche der Veranstaltungen, private Treffs der Mitglieder, gemeinsames Training und weitere Aktionen haben unsere Beziehungen bis heute besonders eng werden lassen.
„Auch wenn wir vermutlich kaum in Stadien auftreten werden, haben wir Vorharzer Jecken im Laufe der Zeit jedoch mehrere gefüllt. Wir sind inzwischen vor mehr als 200.000 Zuschauern aufgetreten“, hat Udo Rösemann errechnet. Er konnte für seine Auswertung auf penibel geführte Unterlagen des Vereins zurückgreifen.
Live-Band "Smaragd"
Auch eine Live-Band, wie sie die Gruppe „Smaragd“ unter Leitung von Andreas Cosmus darstellt, wollen sich andere Karnevalisten des Harzes eher selten leisten. Der aktuelle Chef war schon im Blasorchester dabei, als der KCW seine ersten Schritte unternahm und mit den Wigo-Sängern eine bis heute existierende Schunkeltradition begründete.
Wenn der Applaus des Abends beendet ist und das Prinzenpaar 2014, Stefanie I. und Kai I., sowie das Kinderprinzenpaar Eleni und Collin Feierabend haben, legen die Musiker der Band erst richtig los. „Die schönsten Nummern der Session sind trotz beruflicher Einschränkungen zum Rosenmontag zu sehen“, verspricht Jutta Rösemann. Sie hofft auf ein reges Interesse derjenigen, „welche für die leider schnell ausverkauften Abende keine Karte mehr bekamen oder einfach den Karneval weiter wie früher feiern wollen.“

