"Wenn das Fass überläuft" Jugendliche stellen im Theaterstück "Wenn das Fass überläuft" Eltern unbequeme Fragen: "Ihr habt alles verbraucht!"

Quedlinburg - Ihr Elternhaus ist zu einer Karaokebar geworden, doch das ist nicht das einzige, worüber Ben und Carmen staunen. Die alte Heimat, die sie als Kinder mit ihren Eltern Richtung Fernost verließen, ist nicht mehr dieselbe. Die Wiedersehensfreude hält sich in Grenzen. Stattdessen - Verwirrung und Staunen: „Meinst du, wir kommen hier noch zurecht?“
Ihren Platz im Leben suchen nicht nur die nach einem Unfall elternlosen Geschwister, sondern auch diejenigen Jugendlichen, die dieses Geschwisterpaar und andere Gleichaltrige in dem Theaterstück „Wenn das Fass überläuft“ verkörpern.
Schauspieler Markus Bölling leitet das Theaterprojekt „Mit-Mission“
Entstanden ist es im Theaterprojekt „Mit-Mission“, geleitet von Schauspieler Markus Bölling, zum 30-jährigen Jubiläum der friedlichen Revolution in Quedlinburg. Premiere hatte es am 26. Oktober in der Marktkirche - auf den Tag genau 30 Jahre nach der ersten Demonstration, bei der die Quedlinburger gegen das bestehende System protestierten. Eine weitere Aufführung gibt es am Mittwoch, 30. Oktober, um 20 Uhr in der Blasiikirche zur Festwoche „Zeitenwende“.
Der rote Faden der rund 50-minütigen, collagenhaften Inszenierung ist eine Frage: Kann ich als Einzelner in der Gesellschaft etwas bewegen oder sogar verändern? Mit fünf Schlaglichtern beleuchten die 16- bis 22-Jährigen den Alltag junger Menschen aus ihrer Wahrnehmung:
Grundfrage des Theaterstücks: Kann ein Mensch in der Gesellschaft etwas bewegen?
Stimmt die persönliche Ökobilanz? Wird die Menschheit fremdgesteuert? Muss ich die Erwartungen meiner Eltern erfüllen? Sind alle schon gleichgeschaltet? Wie tolerant ist die Gesellschaft?
Das Ergebnis ist ein tragikomisches Bild, mit dem der Gesellschaft der Spiegel vorgehalten wird und am Ende die Erkenntnis steht: Es gibt nicht den einen, einzig richtigen Weg. Aber da steht auch der Vorwurf an die Eltern-Generation im Raum: „Ihr tut nichts, um die Probleme dieser Welt zu lösen.“
In einer Szene wirft ein Mädchen seinen Eltern vor, einer „Generation von Versagern und Hedonisten“ anzugehören: „Ihr habt alles verbraucht!“ Der Vater entgegnet daraufhin: „Das, was du hast, hast du durch uns.“
Es ist offenbar nicht leicht, richtig zu leben. Aber was ist richtig? Gleich zu Anfang scheitert ein Pärchen an der ökologisch einwandfreien Ernährung: Der Käse ist nicht bio, auch nicht die Wurst, und Kaffee aus Kaffeebechern? Und während sie sich wünscht, „endlich mal selbst zu bestimmen, was für mich gut ist“, kommt er zu der Erkenntnis: „Wir geben die ganze Verantwortung ab.“ Und zertrümmert die elektrischen Haushaltsgeräte - gegen die „Fremdbestimmung“.
Es ist offenbar nicht leicht, richtig zu leben. Aber was ist richtig?
Andere hängen am Handy und wittern die Weltverschwörung durch Reptiloiden, deren Königin Kanzlerin Angela Merkel sei. Der Einwurf, das sei Fake und nur eine Ablenkung von realen Problemen, verhallt irgendwie. Keiner hört richtig zu.
Dann erscheint eine Prozession: „Alle kleinen Menschen haben jetzt schon Handys!“, stellen die Beobachter staunend fest, die ganz in Weiß und engelsgleich verkünden, dass es ein Erfolg sei, eigene Wege zu gehen und selbst Fehler zu machen: „Wir geben uns selbst Sicherheit, dadurch fühlen wir uns frei!“
Aber wer ist frei? Am Ende landen Ben und Carmen in ihrem Elternhaus, das nun eine Karaokebar ist, und werden von den braven Bürgern wegen ihrer fremdländischen Kleidung angefeindet. Nur ein Mädchen bricht für sie eine Lanze. Und hält eine Standpauke à la Greta Thunberg: „Wir können uns nicht zurückziehen, die Probleme reichen bis ins Kinderzimmer.“ (mz)