1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Quedlinburg
  6. >
  7. "Ohne Angst geht das nicht": Stadtrat Quedlinburg erinnert an die friedliche Revolution 1989 in der DDR: Hans-Christoph Jaekel hält die Festrede

"Ohne Angst geht das nicht" Stadtrat Quedlinburg erinnert an die friedliche Revolution 1989 in der DDR: Hans-Christoph Jaekel hält die Festrede

Von Petra Korn 04.10.2019, 09:57
26. Oktober 1989: Weil die Marktkirche überfüllt ist, gibt es Lautsprecher vor der Tür, und auch hier werden Kerzen angezündet.
26. Oktober 1989: Weil die Marktkirche überfüllt ist, gibt es Lautsprecher vor der Tür, und auch hier werden Kerzen angezündet. Meusel

Quedlinburg - Der Wendeherbst 1989 - in Quedlinburg hat er eine lange Vorgeschichte. Schon 1983, als er in die Stadt gekommen sei, „war hier eine gewisse oppositionelle Stimmung zu spüren“, sagte Hans-Christoph Jaekel, damals Kreisjugendwart im evangelischen Jugendzentrum Haltestelle.

Um Künstler herum, um Wissenschaftler, die in Quedlinburg oder Gatersleben arbeiteten, oder in der kirchlichen Jugendarbeit - „hier gab es eine gewisse Kultur“. Die ab 1986 auch öffentlich wurde: So wurde aus der evangelischen eine offene Jugendarbeit, trafen sich katholische, evangelische und viele Jugendliche zum Beispiel alljährlich zum Jugendkreuzweg am Palmsonntag.

Ein Lehrling aus dem Walzwerk brachte den Aufruf zur Gründung des Neuen Forums nach Quedlinburg

Ab 1987 habe es Kontakt zur Initiative „Frieden und Menschenrechte“ in Leipzig gegeben und Aktionen, als beispielsweise als die Bürgerrechtler Freya Klier und Stephan Krawczyk ausgebürgert wurden. „Es gab immer wieder Veranstaltungen, die wir gemacht haben und die provoziert haben“ - schon weit bevor Ende August 1989 dann ein Lehrling aus dem Walzwerk einen gerade in Leipzig verabschiedeten Aufruf zur Gründung des Neuen Forums mit nach Quedlinburg brachte, den hier binnen vier Wochen 3.000 Bürger unterschrieben.

„Da war klar, es geht los.“ Ja, räumt Hans-Christoph Jaekel ein, er habe auch Angst gehabt. „Ohne Angst geht das nicht.“ Habe es doch seit 1987 immer wieder Zuführungen, Verhaftungen, prekäre Situationen gegeben, hinter denen man die Staatssicherheit geahnt habe. „Ich hatte aber keine Angst, die mich blockiert hat.“

Mit Ehrengästen aus Walsrode hat der Stadtrat an die an die friedliche Revolution vor 30 Jahren erinnert

Am Donnerstag, dem Tag der Deutschen Einheit, hat der Stadtrat Quedlinburg gemeinsam mit Ehrengästen, Gästen aus Gernrodes Partnerstadt Walsrode und Bürgern in einer Festsitzung an die friedliche Revolution vor 30 Jahren erinnert.

Festredner war Hans-Christoph Jaekel, einer der Protagonisten der friedlichen Revolution in Quedlinburg - bei der im Herbst 1989 in der Stadt gemessen an der Einwohnerzahl so viele Bürger auf die Straße gingen wie sonst nirgends, so Stadtratsvorsitzende Sylvia Marschner (CDU). Das Jugendzentrum Haltestelle sei damals Ausgangspunkt der Bürgerbewegung in Quedlinburg gewesen.

„Ich bin damals vielen mutigen Menschen begegnet“, sagte Hans-Christoph Jaekel der MZ. Er nennt beispielsweise die Tankwarte an der Minol-Tankstelle in der Oeringer Straße, die Tausende der in der Haltestelle gedruckten Flugblätter verteilt hätten, oder die Jugendlichen, die die Wahlen im Frühjahr 1989 beobachtet und den Wahlbetrug der Nationalen Front belegt hätten.

Erinnerung an die erste Demonstration in Quedlinburg am 26. Oktober 1989

Zu Ereignissen, die ihm besonders in Erinnerung geblieben sind, zählen zum Beispiel die am 26. Oktober 1989, als in Quedlinburg die erste Demonstration stattfand: Vorbereitet hatte das Neue Forum, das seit einigen Wochen auch in Quedlinburg aktiv war, eine Veranstaltung in der Marktkirche.

„Doch es kamen so viele Menschen, dass wir der Massen nicht mehr Herr geworden sind“, sagt Jaekel. Entschieden wurde, parallel auch in der Nikolaikirche eine Aktion stattfinden zu lassen. „An beiden Kirchen standen dann immer noch Trauben von Menschen.“

In seiner Festrede blickte Hans-Christoph Jaekel in Streiflichtern auf die Ereignisse vor 30 Jahren zurück, als „der Diktatur des Proletariats die Stirn geboten“ wurde, „friedlich und ohne Waffen“, und wo anfangs freie Wahlen, Reisefreiheit und politische Mitbestimmung gefordert wurden, was sich im Lauf des Herbstes hin zur deutschen Einheit und der Einführung der D-Mark änderte.

„Dieses Erinnern macht Mut für aktuelle gesellschaftliche Umbrüche“, sagte Hans Jaekel

Er lenkte den Blick aber auch immer wieder ins Heute: „Dieses Erinnern macht Mut für aktuelle gesellschaftliche Umbrüche mit friedlichen Mitteln“, sagte er. So sei mit „Fridays for Future“ eine neue, durch Jugendliche getragene friedliche Revolution im Gange. Auf dem Quedlinburger Markt Protestierende würden heute nicht politisch verfolgt, auch nicht mehr „zugeführt“, doch „der moralische Druck ist auch wieder da“.

Jaekel verwies ebenso darauf, dass „politische Vielfalt der Motor der Entwicklung“ sei - und den Kompromiss zu suchen ein schönes Signal der Demokratie. „Ich bin davon überzeugt, dass Frieden wichtiger ist als ein Sieg.“ (mz)

Hans-Christoph Jaekel hielt die Festrede bei der Festsitzung des Stadtrates von Quedlinburg.
Hans-Christoph Jaekel hielt die Festrede bei der Festsitzung des Stadtrates von Quedlinburg.
J. Meusel