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Industriegeschichte in Hausneindorf Industriegeschichte in Hausneindorf: Der letzte Zeitzeuge der Heucke-Dampfpflüge

Von Susanne Thon 07.02.2016, 11:20
Sabine und Jürgen Richter hören gespannt zu, was Erich Demuth und seine Frau Edeltraud (von links) zu erzählen haben. Der 91-Jährige fing 1949 bei der Firma Heucke an und war dabei, als die letzten Dampfpflüge produziert wurden.
Sabine und Jürgen Richter hören gespannt zu, was Erich Demuth und seine Frau Edeltraud (von links) zu erzählen haben. Der 91-Jährige fing 1949 bei der Firma Heucke an und war dabei, als die letzten Dampfpflüge produziert wurden. Chris Wohlfeld Lizenz

Hausneindorf - „Das ist in der Schweißerei“, sagt Erich Demuth, und tippt auf eines der Schwarz-Weiß-Fotos, ein Gruppenbild am Arbeitsplatz, „hier wurden die Kessel gebaut.“ Kessel für Dampfpflüge, wie sie auf einer anderen Aufnahme zu sehen sind. Der 91-Jährige präzisiert: 20 Dampfpflug-Sätze, bestehend aus je zwei Lokomotiven. Durchnummeriert. Über eine Seilwinde miteinander verbunden, ziehen sie den Pflug durch das Erdreich. Bis zu einen Meter tief. „Die“, erklärt er, „sind nach Italien gegangen.“ Und ein weiteres Bild zeigt die Verschiffung der Maschinen. Zahlreiche Fotos sind auf dem Tisch ausgebreitet. Stumme Zeugen der Industriegeschichte, die 1870 in Hausneindorf ihren Lauf genommen hat.

Damals gründete Andreas Heucke, Sohn eines ortsansässigen Landwirts, mit einem aus England importierten Zweimaschinen-Dampfseilpflug ein Lohnpflugunternehmen. Nur ein paar Jahre vergingen, und er begann, eigene Dampfpflüge zu bauen. Zwei, drei, immer mehr. 1901 war er bei 100. 1945 bei 880. Und Heucke weltweit ein Name. Bereits 1907 musste der Betrieb, den inzwischen Andreas’ Sohn Benno Heucke führte und in dritter Generation von Ulrich übernommen wurde, umziehen. Von Hausneindorf nach Gatersleben. Aus Kapazitätsgründen - und weil das Nachbardorf einen entscheidenden Vorteil hatte: den Eisenbahnanschluss.

Aus seinem Wohnzimmerfenster kann Erich Demuth hinüberschauen. „Da hinten, das ist schon Gatersleben, das ehemalige Betriebsgelände“, sagt der Hausneindorfer. Täglich legte er den Weg dorthin zu Fuß zurück. Nachdem er 1949 aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, folgte er dem Rat eines Freundes, der da meinte: „Fang doch bei uns an!“ Und „uns“ - das war die „A. Heucke Dampfpflug-Lokomotiv-Fabrik Gatersleben“. Demuth - von Haus aus Schäfer - musste nicht lang überlegen. Denn er wollte nicht „Sonntag wie alle Tage arbeiten“, was er in seinem Ausbildungsberuf hätte tun müssen. Denn das romantische Bild vom Schäfer, aufgestützt auf seinen Hirtenstab, sei nichts als eine Mär.

Und so fing Demuth bei Heucke an. Zunächst als Transportarbeiter - wie jeder Neueinsteiger. „Ob Ingenieur oder nicht, da mussten erst mal alle durch“, erzählt er. Dann kam er in die Produktion und war dabei, als 1950 die letzte Charge zusammengebaut wurde. Sie waren gezählt, die Tage der Dampfpflüge. Wurden fortan nur noch repariert, ehe das mittlerweile zum Volkseigenen Betrieb umgewandelte Unternehmen auf Baumaschinen umrüstete. 1958 war es. Demuth - er erinnert sich, als wäre es gestern gewesen - kam nach anderthalbjähriger Meisterschule aus Halle zurück auf den Hof, wo er mit ansehen musste, wie die Überreste dessen, was Heucke zu Weltruhm brachte, in seine Einzelteile zerlegt wurde, um verschrottet zu werden.

„Da sind mir die Tränen gekommen.“ Und auch die zu den Maschinen gehörenden Zeichnungen seien vernichtet worden. Bis auf die eine, die Demuth seinerzeit mit Buntstiften selbst zu Papier gebracht, all die Jahre aufbewahrt und nun - wie auch etliche seiner Fotos - dem Heimatverein überlassen hat. „Unser Schatz, den wir hüten“, sagt deshalb auch dessen Vorsitzende, Sabine Richter, die unendlich dankbar darüber ist, dass er - als letzter Zeitzeuge - sie, den Verein, ja, und damit auch die Nachwelt, an seinen Erinnerungen teilhaben lässt. Das ist keine Selbstverständlichkeit, meint sie. Ebenso wenig wie es der Aufbau der Maschinen war. „Es gab für jede mehrere Zeichnungen“, erklärt Demuth. Denn kein Dampfpflug habe dem anderen geglichen. Alles Maßanfertigungen.

Bei dem Baumaschinen-Betrieb arbeitete er übrigens bis zur Rente. Mehrfach wurde er noch versetzt und war schließlich stellvertretender Gütekontrolleur. Und rückblickend - vom Schäfer zu den Baumaschinen: War’s die richtige Entscheidung? Demuth lacht. „Es war auch stressig“, sagt er. „Aber es hat mir Spaß gemacht.“ Und Heucke-Dampfpflüge - gibt es sie noch? Eine Hand voll soll MZ-Recherchen zufolge heute noch funktionstüchtig sein. Allerdings weder in Hausneindorf noch in Gatersleben. „Soweit ich weiß, hatte in der Gegend das Institut die letzten Dampfpflüge, die in Betrieb waren.“ Um seine in Gang zu bringen, hatte es wohl noch zwei der letzten Maschinen gekauft.

1993 übernahm der Maschinenhersteller Vibromax das einst von Andreas Heucke gegründete Unternehmen, später dann der britische Hersteller JCB. Vor nunmehr anderthalb Jahren wurde das Werk jedoch geschlossen, nachdem die Geschäftsführung entschieden hatte, die Produktion nach Indien zu verlagern.

Heucke-Dampfpflüge wurden in alle Welt ausgeliefert. Aber auch in der Region, etwa in Neundorf bei Staßfurt, setzte man auf die Technik aus Gatersleben.
Heucke-Dampfpflüge wurden in alle Welt ausgeliefert. Aber auch in der Region, etwa in Neundorf bei Staßfurt, setzte man auf die Technik aus Gatersleben.
Demuth, Brinse Lizenz
Heucke-Dampfpflüge wurden in alle Welt ausgeliefert. Aber auch in der Region, etwa in Neundorf bei Staßfurt, setzte man auf die Technik aus Gatersleben.
Heucke-Dampfpflüge wurden in alle Welt ausgeliefert. Aber auch in der Region, etwa in Neundorf bei Staßfurt, setzte man auf die Technik aus Gatersleben.
Demuth, Brinse Lizenz
Dampfpflüge, Kipper und mehr: Die Bilder, sie sind stumme Zeugen der Industriegeschichte, die 1870 in Hausneindorf ihren Lauf genommen hat.
Dampfpflüge, Kipper und mehr: Die Bilder, sie sind stumme Zeugen der Industriegeschichte, die 1870 in Hausneindorf ihren Lauf genommen hat.
Brinse Lizenz