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Stadtgeschichte  Im Gefängnis Weberstraße Quedlinburg saßen auch politische Gefangene: DDR-Volkspolizei nutzte es für Untersuchungshaft

Von Benjamin Richter 30.07.2019, 10:16
Wer saß einst im Quedlinburger Gefängnis in der Weberstraße ein? Eine Antwort der Landesregierung stellt klar: Es waren auch politische Gefangene.
Wer saß einst im Quedlinburger Gefängnis in der Weberstraße ein? Eine Antwort der Landesregierung stellt klar: Es waren auch politische Gefangene. Richter

Quedlinburg - Dass in dem Bauwerk an der Adresse Weberstraße 22 in Quedlinburg nicht von Anfang an Essen ausgegeben und Kleider gelagert wurden, lässt schon die Architektur des inzwischen denkmalgeschützten Hauses erkennen. Auf mehreren Stockwerken gehen von einem langen, geraden Gang einzelne Räume ab, die miteinander nicht verbunden sind. Zu Recht können sie als Zellen bezeichnet werden - denn mehr als ein Jahrhundert lang diente das Gebäude als Gefängnis.

Wo heute Kleiderkammer und Tafel der Awo untergebracht sind, waren bis 1970 Häftlinge eingesperrt

Heute, so schildert Sabine Herforth, sind dort die Tafel-Ausgabestelle und die Kleiderkammer der Arbeiterwohlfahrt (Awo) untergebracht. Herforth ist Fachassistentin der Geschäftsführung des Awo-Kreisverbands Harz.

Die Geschichte des Gebäudes, erklärt der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Steppuhn, ist selbst älteren Quedlinburgern weithin unbekannt. „Die meisten wissen nur, dass das ehemalige Gefängnis schon seit der Wende nicht mehr als solches genutzt wird“, legt er dar.

Um Klarheit zu gewinnen, stellte Steppuhn kürzlich eine Anfrage an die Landesregierung, auf die ihm Sachsen-Anhalts Kulturminister Rainer Robra (CDU) geantwortet hat.

Aus der Antwort geht hervor, dass das Gebäude zwischen 1844 und 1852 errichtet und von 1846 bis 1970 als Gefängnis genutzt wurde. Da der Haftbetrieb lange vor der Wiedervereinigung eingestellt worden sei, sei es nie in die Zuständigkeit der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt übertragen worden, heißt es dort weiter - so konnte das Land die Akten des Gefängnisses nicht archivieren und muss sich heute auf andere Quellen stützen.

Die wichtigste davon, fährt der Kulturminister fort, seien die Recherchen des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie. Robra riet Andreas Steppuhn, sich an das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu wenden, um weitere Einzelheiten herauszufinden. Das hat Steppuhn getan und sich dort gemeinsam mit der Bundestagsabgeordneten Katrin Budde (SPD) nach weiteren Unterlagen erkundigt.

Andreas Steppuhn wollte wissen, um auch politische Gefangene inhaftiert waren

Nun hat ihm Archivdirektorin Ulrike Höroldt zurückgeschrieben. Das Archiv, legt sie dar, hat 13 Akten preußischer Zentralbehörden ermittelt, die weitere Details zu der Geschichte des Gefängnisses enthalten könnten. „Eine Erwähnung des gesuchten Gefängnisses in diesen Akten ist möglich, aber keineswegs gesichert“, fügt sie hinzu. „Auch halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass umfangreiche Informationen, etwa zu einzelnen Insassen, darin enthalten sind.“

Nach ihnen hatte sich Steppuhn in seiner Anfrage erkundigt, denn der Politiker möchte wissen, ob in dem Gebäude auch politische Gefangene inhaftiert waren. Kulturminister Robra antwortete ihm, dass das Gefängnis nachweislich sowohl in der NS-Zeit als auch in den Jahren der sowjetischen Besatzung und später in der DDR genutzt worden sei.

Für die NS-Zeit, so der Minister, wurde die Thematik unter anderem mit einer Wanderausstellung aufgearbeitet, die 2015 im Amtsgericht Quedlinburg präsentiert wurde. „Für die sowjetische Besatzungszeit und die DDR fehlt bislang eine Aufarbeitung“, merkt Rainer Robra an.

Ab 1952 nutzte die DDR-Volkspolizei das Gefängnis für die Untersuchungshaft

Dennoch liegen der Landesregierung auch über diese Epoche Erkenntnisse des Denkmalpflege-Amts vor. Ab 1952 nutzte die Deutsche Volkspolizei das Gefängnis für die Untersuchungshaft. Wie in anderen derartigen Haftanstalten auch seien in Quedlinburg politisch motivierte Inhaftierungen vorgekommen, erklärt der Minister.

„Das geschah zum Beispiel aufgrund von Tatvorwürfen wie Boykotthetze oder staatsfeindlicher Hetze und Propaganda, Staatsverleumdung oder auch Landfriedensbruch“, sagt Robra. Letzteres habe der Staat den Aufständischen vom 17. Juni 1953 zur Last gelegt.

#alleaertikel

Selbst wird Andreas Steppuhn die Akten des Geheimen Staatsarchivs nicht einsehen können. „Es geht zeitlich nicht“, betont er. Er wolle weiter mit der Awo zusammenarbeiten: „Vielleicht findet sich dort jemand, der historisch bewandert ist und für eine Woche nach Berlin fahren kann.“ (mz)