Heimatgeschichte in Rieder Heimatgeschichte in Rieder: Historisches Projekt zu 1080 Jahren Geschichte

Rieder - Über dem Schreibtisch von Anton Fiege im Rathaus von Rieder hängt ein Stück Ortsgeschichte: „Zur Erinnerung an das 25-jährige Stiftungsfest des Radfahrervereins“, steht auf dem Foto, auf dem sechs Radler in historischen Uniformen am 21. September 1924 in die Kamera blicken. Ihr Verein gehört zur überraschend reichen Geschichte des Ortes, der 936 in einer Urkunde Ottos I. zum ersten Mal erwähnt wurde und somit einer der ältesten im Land ist. Das Puzzle dieser langen Vergangenheit soll Fiege in den nächsten drei Jahren zusammenfügen.
Möglich ist das durch das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“. Es ist nicht das erste historische Projekt, an dem der Mann aus Rieder arbeitet; er hat eine Chronik zu den Quedlinburger Stiftsgärten zusammengestellt und ein rund 500 Seiten starkes Buch über die „Quedlinburger Wälder“ geschrieben. Aber er sehe sich nicht als Chronikschreiber, sagt er. Er fange ja nicht bei Null an; es gebe eine Ortschronik, mit Akribie und Herzblut geschrieben, und Aufzeichnungen des gesellschaftlichen Lebens im Ort aus der jüngsten Vergangenheit. „Ich sehe meine Arbeit darin, aus dem Vorhandenen etwas zu bündeln. Ich muss das Rad nicht neu erfinden.“
Tausend Jahre alte Kirchenglocke,
Oft seien Facetten aus der Historie zusammen getragen worden, die aber alle allein für sich stünden und noch kein schlüssiges Bild ergeben. Er muss jetzt die Teile zusammenfügen, „Hintergründe deuten und Zusammenhänge beleuchten“, sagt Anton Fiege.
So hat er einen alten Turm quasi wiederentdeckt, der aus dem Gedächtnis vieler Einwohner beinahe verschwunden ist. Auf die Spur brachte ihn eine Postkarte aus der Zeit um 1910. Sie zeigt das Bauwerk und davor eine kleine, mit Ziegen bespannte Kutsche. Rieder habe außerdem einige Superlative zu bieten: die erste urkundliche Erwähnung im Jahr 936, eine tausend Jahre alte Kirchenglocke, die zu den ältesten Bienenkorbglocken in Deutschland gehört, ein Kirchenbuch aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, das dem Schriftsteller Otto Gottsche als Grundlage für seinen 1975 erschienenen Roman „...und haben nur den Zorn“ diente, und sogar einen eigenen Volkshelden: Andreas - auf Niederdeutsch Dreves - Küster.
Der Bauer lehnte sich ab 1548 zehn Jahre lang hartnäckig gegen die anhaltischen Fürsten auf und wird deswegen auch gern „anhaltischer Michael Kohlhaas“ genannt. Über den Aufmüpfigen gibt es ein altes Theaterstück, das zur 1080-Jahr-Feier im September aufgeführt werden soll.
Nicht zuletzt machte Rieder ab Ende des 19. Jahrhunderts als „Blumendorf“ von sich reden. „Die Initialzündung gab es 1875“, sagt Anton Fiege. Der Ort mit seinen fruchtbaren Ackerböden bot günstige Bedingungen für die Blumenzucht, so dass er sich zum größten Blumendorf Deutschlands entwickelte. Ein Samenspeicher erinnert heute noch an diese Zeit.
Gebrauchsgegenstände aus vergangenen Zeiten
Wie sich das Leben in Rieder in noch früheren Zeiten gestaltete, darüber geben Dokumente aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert Auskunft. In den Büchern sind die Dienstverhältnisse mit der Gemeinde aufgelistet: Schäfer, Gemeindediener, Wirte. „Der Gemeinde gehörten die Schenke und die Schmiede“, sagt Fiege. „Sonntags im Frühjahr konnte man sich darum bewerben, meist wurde das Dienstverhältnis verlängert.“
Im September will Rieder seine erste urkundliche Erwähnung vor 1080 Jahren feiern: 936 taucht der Ort erstmals in einer Urkunde auf. Sie ist ausgestellt am 13. September und trägt das Signum von Otto I., der dem von ihm gegründeten Reichsstift in Quedlinburg mehrere Besitzungen übereignet, unter anderem auch in „Rederi“.
Die diesjährigen Feierlichkeiten sollen vom 9. bis 11. September dauern. Rund um die Kirche werden sich Vereine vorstellen und für Abwechslung sorgen. Zu den Höhepunkten gehören ein Festumzug durch den Ort und die Aufführung des Theaterspiels „Drews Küster“. Verbunden mit dem Jubiläum soll das 111-jährige Bestehen der Feuerwehr von Rieder gefeiert werden.
Die alten Schriften zu lesen, fällt Fiege nicht besonders schwer: „Durch die Arbeit an der Geschichte der Stiftsgärten habe ich darin einige Übung“, sagt er. Auch der Computer hilft: Die alten Seiten werden eingescannt, so dass Fiege sie am Bildschirm vergrößern und Wörter entziffern kann. Was er dabei alles herausfindet, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.
Wie die Menschen in Rieder früher gelebt haben, lässt sich auch an den Schaustücken im kleinen Heimatmuseum erkennen, das im Rathaus untergebracht ist. Es zeigt Gebrauchsgegenstände aus vergangenen Zeiten: in der oberen Etage Dinge aus dem Haushalt, im Erdgeschoss landwirtschaftliche Geräte. (mz)
