Harzer Schmalspur Harzer Schmalspur: «Mehr als eine Eisenbahn»

Wernigerode/Nordhausen/dpa. - Die schwarzglänzende Lok wirkt wieein schwerfälliges Ungetüm. Ihr geöffneter Kessel ähnelt einemSchlund, die Lampen erinnern an weit aufgerissene Augen und dasknallrote Schiebeschild an einen Mund. Dampflok 99 7222 hat heute«Plantag». Alle 30 Tage darf sie sich maximal zwei Tage ausruhen undwird gepflegt. In der Fahrzeugwerkstatt des Bahnbetriebswerks derHarzer Schmalspurbahnen (HSB) in Wernigerode prüfen Experten den mehrals 80 Jahre alten und 50 Tonnen schweren Koloss auf Herz und Nieren.Am nächsten Tag soll sie wieder unterwegs sein - auf derEin-Meter-Spur durch den Harz in Thüringen und Sachsen-Anhalt.
Die HSB betreibt das mit 140 Kilometern längste, zusammenhängendeSchmalspurstreckennetz in Deutschland. In diesem Jahr feiert sie den125. Geburtstag. Feste und Sonderfahrten sollen Gratulanten lockenund Nostalgiker begeistern. Die Vorbereitungen für das Jubiläumlaufen. «Wir feiern von April bis September», sagtHSB-Geschäftsführer Matthias Wagener. «An allen Endpunkten unsererdrei Bahnen in Nordhausen, Wernigerode und Gernrode gibt esBahnhofsfeste mit Ausstellungen, Präsentationen und Sonderfahrten.»Allen drei Bahnen - Harzquerbahn, Brockenbahn und Selketalbahn - wirdGenüge getan. «Wir haben auch andere Schmalspurbahnen eingeladen»,sagt Wagener.
Klaus Zeidler streichelt Lok 99 7222 fast liebevoll. «DieserOldtimer fährt wie alle anderen jeden Tag an der Leistungsgrenze»,sagt der 44-Jährige, der bei der HSB die Abteilung Fahrzeugtechnikleitet. «Bei Wind und Wetter immer bergauf. Man kann wirklich nichtsagen, dass wir die alten Ladys schonen.» Er muss lachen. «Wir sindeben mehr als eine Eisenbahn.» Insgesamt 25 Dampflokomotiven derBaujahre 1897 bis 1956 hat das Unternehmen in seinem Besitz -Deutschlandrekord unter den Schmalspurbahnen. Zehn Diesellokomotivenund zehn Triebwagen komplettieren den Fuhrpark.
Auf dem Nebengleis in der historischen Werkhalle steht ein Kollegevon 99 7222. Er sieht mit seinem gradlinigen Äußeren und seinercremefarbenen Lackierung viel moderner aus. Und Schornsteine, ausdenen mit einem lauten Zischen Dampf entweicht, hat er auch nicht.«Das ist ein Dieseltriebwagen», sagt Zeidler. »Wir haben ihntechnisch und optisch auf Vordermann gebracht.» Draußen steht nochsein Zwillingsbruder auf dem Gleis und wartet auf eine Schönheitskur.Beide rollen schon seit 1995 durch den Harz. «Das sind ehemaligeTriebwagen der Inselbahn Langeoog», sagt Zeidler, der mehr als 40Schlosser und zehn Auszubildende leitet.
Triebwagen 187 001 kann historisch noch einen draufsetzen. Ineiner separaten Halle auf dem Werkstattgelände steht er: klein,kompakt und fast 90 Jahre alt. Zeidler verrät, dass ein hoher,fünfstelliger Betrag in seine Restaurierung geflossen ist. Und dashat sich gelohnt. Mit grünen Stoffbänken, Linoleumbeplankung an denWänden und einem Bollerofen in der Ecke kann man sich vorstellen, wiefrüher gereist wurde. Bei 30 Stundenkilometern war Schluss und derLokführer musste den ganzen Tag stehen. «Da muss man wirklich einEnthusiast sein», sagt der Fahrzeugtechnikleiter mit einemSchmunzeln. Heute bietet die HSB den Nostalgiewagen für Ausflüge an.
Unter den jährlich etwa 1,1 Millionen Fahrgästen der HSB sindviele Eisenbahnfans. Sie können nicht nur auf den Fahrten durchDeutschlands nördlichstes Mittelgebirge viele Eindrücke gewinnen,sondern sich auch durch die unternehmenseigene Werkstatt inWernigerode führen lassen. «125 Jahre HSB bedeutet auch, dass deraltehrwürdige Fuhrpark von unternehmenseigenen Fachkräften instandgehalten und für die Zukunft flott gemacht wird», sagt Zeidler.