Harz Harz: Voller Sehnsucht nach der Heimat
DEGENERSHAUSEN/MZ. - "Ich bin glücklich, dass ich wieder hier wohnen kann. Ich bin aufgewacht und habe gedacht: Ich bin wieder in Degenershausen." Reinhild Maxtone-Mailer ist überwältigt, dass sie in ihrer Heimat, dem einstigen Gut und Park Degenershausen, nun auch länger verweilen kann: im einstigen Forsthaus, das ihr Großvater gebaut hat, das sie aus ihrer Kindheit sehr gut kennt - "hier hat Familie Hoffmann mit ihren drei Kindern gewohnt, ich bin oft hier gewesen" - und das die heutigen Eigentümer Elisabeth Finke und Frank Schmidt inzwischen zu einem kleinen Café mit Pension umgebaut haben. "Ich habe viele Schicksalschläge erlebt. Doch das Schlimmste war, die Heimat verloren zu haben und nicht mehr nach Hause zu können", unterstreicht Reinhild Maxtone-Mailer, geborene Baroness von Bodenhausen, die jetzt gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten David Lockwood Degnershausen besuchte, um sich mit Familienmitgliedern und Freunden zu treffen.
Park als Hochzeitsgeschenk
Ihr Ur-Ur-Großvater Johann Christian Degener, Amtsrat in Braunschweig, hatte das Areal im Jahr 1834 als Geschenk für seine Tochter Amalie anlässlich ihrer Hochzeit mit Hans-Constantin von Bodenhausen gekauft. Wenig später wurden hier ein Herrenhaus sowie Wirtschaftsgebäude errichtet und eine Parkanlage angelegt. In vierter Generation war Hans-Wilke Freiherr von Bodenhausen-Degener, der Vater von Reinhild Maxtone-Mailer, Herr des Gutes und der umliegenden Wälder. Ihm verdankt der Park seine heutige Gestaltung als englischer Landschaftspark: "Mein Vater ist kurz nach seiner Hochzeit nach Kew Gardens gefahren." Er habe von seinen Reisen viele Bäume und Sträucher mitgebracht, "sehr viele der Bäume kommen aus England".
Die 1931 geborene Reinhild Baroness von Bodenhausen wuchs in Degenershausen auf, ging gemeinsam mit den anderen Kindern aus dem kleinen Ort im Nachbarort Wieserode zur Schule. Schon früh verlor die junge Baroness ihren Vater. "Meine Eltern hatten vor dem Krieg zwei Farmen in Afrika gekauft." Hier wurde Hans-Wilke von Bodenhausen-Degener, der in vielen Ländern unterwegs war, im Werberat der deutschen Wirtschaft ehrenamtlich mitgearbeitet hat und "sehr gegen die Nazis" war, wie seine Tochter erzählt, 1937 erschossen aufgefunden. "Es ist nie geklärt worden, ob es Selbstmord war oder ob er im Auftrag der Nazis erschossen wurde." Degenershausen, ein Fideikommiss (durch Stiftungsakt geschaffenes unveräußerliches und unteilbares Vermögen), fiel an ihren Onkel Kraft von Bodenhausen; doch ihre Mutter, Baroness Anga von Bodenhausen, hatte hier lebenslanges Wohnrecht.
Bekanntschaft mit Schriftsteller
So blieben Mutter und Tochter auch während des Zweiten Weltkrieges auf dem Gut - und machten so die Bekanntschaft eines Mannes, der, so Reinhild Maxtone-Mailer, eine Ikone in der Englisch sprechenden Welt ist: P. G. Wodehouse. Der britische Schriftsteller, der in Frankreich lebte und nach der Invasion der Deutschen durch diese verhaftet worden war, kam 1941 als so genannter Privatgefangener nach Degenershausen, wo er zwei Jahre lebte. Über diese Zeit hat Reinhild Maxtone-Mailer jetzt ein Buch geschrieben: "P G Wodehouse - The Unknown Years (Die unbekannten Jahre)". Die Geschichte ist eigentlich die von Wodehouse, der ihr auch geraten hat: Schreib alles auf, das macht alles klar. "Ich habe mich bis heute daran gehalten", verweist die gebürtige Baroness von Bodenhausen auf "Koffer voller Tagebücher". Faksimiles aus den Tagebüchern sowie alte Fotos sind auch in ihrem Buch zu finden, das damit auch ein Buch über Degenershausen ist. Dieses war "meine Heimat. Ich habe es heiß geliebt, jeden Baum, jeden Strauch", nennt Reinhild Maxtone-Mailer es heute noch "mein ganzes Leben, mein ganzes Denken". Von dem sie am 28. Juni 1945 Abschied nehmen musste: "Ein schwarzer Tag in meinem Leben. Ich musste hier weg."
Ein amerikanischer Offizier hatte ihrer Mutter gesagt, sie müsse gehen; die Russen kämen und würden sie nach Sibirien bringen. Sie gab diese Information noch weiter und verließ dann das Gut. "Sie ist meinetwegen gegangen. Sie wäre sonst geblieben."
Beide zogen zunächst nach Bayern, wo Anga von Bodenhausen die Nachricht erhielt, sie solle nach Degenershausen kommen, die Möbel der Familie seien noch da. "Meine Mutter war ungeheuer couragiert. Die war fabelhaft", erzählt Reinhild Maxtone-Mailer, wie sich ihre Mutter in Berlin Lastwagen, Fahrer und Genehmigungen beschaffte, nach Degenershausen fuhr, hier einpackte, was im bereits geplünderten Haus noch vorhanden war, schließlich doch noch verhaftet und dann des Landkreises verwiesen worden war. Doch die Sammlung des Großvaters - Bilder französischer Impressionisten - und die Bodenhausener Möbel aus dem 17. Jahrhundert waren gerettet.
Ein zweites Degenershausen
Mutter und Tochter lebten zunächst in Berlin, Reinhild Maxtone-Mailer lernte schließlich in Hamburg und fertigte Übersetzungen an. Später lebte sie mit ihrem Mann auf einer Kaffeefarm in Afrika. "Da war ich dann wieder glücklich. Das war mein zweites Degenershausen." Doch die Farm wurde verstaatlicht, und nach einem Jahr in Schottland fanden Reinhild Maxtone-Mailer und ihr Mann, der 1994 verstarb, in Virginia, wo ihr eine Cousine einen Teil ihrer Farm verkaufte, ein neues Zuhause.
Degenershausen hat Reinhild Maxtone-Mailer schon vor der Wende, im April 1989, wiedergesehen: Eine Freundin aus Kindertagen hatte geschrieben und jemand ein Visum besorgt für Quedlinburg, wobei der Kreis nicht verlassen werden durfte. "Wir sind natürlich schnell und heimlich nach Degenershausen gefahren", denkt Reinhild Maxtone-Mailer an das Treffen mit den alten Freunden, darunter ihren besten Freunden, der Familie Krimmling. "Das war sehr ergreifend. Es war jeder am Heulen." Monate später öffneten sich die Grenzen. Deutschland wurde wiedervereinigt. "Das war der größte Wunsch meines Lebens."
Seither hat Reinhild Maxtone-Mailer Degenershausen immer wiederbesucht. Anfangs war der Park noch verwildert. "Ich habe mich trotzdem gefreut: Es war alles noch da. Ich habe gedacht, das kann man alles wieder freischlagen. Dann ist es wie früher." Dass inzwischen das Bild des Parkes wiederhergestellt ist, freut sie sehr. Und "tief gerührt" ist sie, dass die Grundmauern des Gutshauses wieder sichtbar gemacht wurden und die Fläche zwischen ihnen Sommerblumen schmücken. "Ich bin überglücklich. Ich habe immer Heimweh gehabt. Und ich möchte auch im Park beerdigt werden." Hier, in der Begräbnisstätte der Familie, haben unter anderem ihr Großvater Eberhard Freiherr von Bodenhausen-Degener und ihr Vater Dr. jur. Hans-Wilke Freiherr von Bodenhausen-Degener ihre letzte Ruhe gefunden.