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Harz Harz: Kafkas Spuren im Harz

Von uwe kraus 16.07.2012, 17:35

halberstadT/MZ. - Pünktlich um 17.50 Uhr fährt ein Zug auf Bahnsteig 5 des Halberstädter Hauptbahnhofes ein. Der Bahnsteig wirkt voller als sonst, beginnt hier doch ein literarischer Spaziergang auf den Spuren von Franz Kafka. Unter den Ankommenden, so wie vor 100 Jahren Kafka den Zug verließ, Illi Oehlmann und Arnold Hofheinz. Die Schauspieler des Nordharzer Städtebundtheaters spüren anhand des Reiseberichts des Versicherungsvertreters und Autors seinen Spuren in der Stadt nach.

Eine Druckseite Impressionen

Den Kafka-Blick auf Halberstadt, wie ihn seine Texte vermitteln, erlebten rund 70 Spaziergänger auf dem Weg vom Bahnhof zur Klaussynagoge mit. Doch wie will man eine Druckseite Halberstadt-Impressionen und wenige Postkartentexte zu einem Gesamtkunstwerk gestalten? Der Schauspieldramaturg Sebastian Fust begab sich auf Suche in Kafkas Gesamtwerk und fügte behutsam Kurztexte zwischen die Reise-Impressionen. So erfuhren die Mit-Geher in der Halberstädter Plantage, wie "Der Mann vom Lande zum Türhüter vor dem Gesetz" kommt. "Im Park mit kleinen Mädchen auf einer Bank, die wir als Mädchenbank gegen Jungen verteidigen. Polnische Juden. Die Kinder rufen ihnen Itzig zu und wollen sich nach ihnen nicht gleich auf die Bank setzen", zitieren sie Kafkas Erinnerungen an die Grünanlage in der Stadt.

Zuvor stoppt die Literatur-Karawane, die von Moses Mendelssohn Akademie, Theater und Gleimhaus initiiert worden war, am Bahnhofshotel. An diesem gebrechlichen Haus weist Uri Faber auf jenes heute vernageltes Fenster, das Kafka als "Zimmer unten an der Straße, mit einem Gärtchen davor" beschreibt. Ob der Theaterplatz oder der Fischmarkt, auf ihrem Gang durch Halberstadt lauschen die Teilnehmer andächtig den Texten, die Illi Oehlmann und Arnold Hofheinz mit großer Gestik und Mimik professionell darbieten, so dass Zuhören wie -schauen eine Freude ist. Nach anderthalb Stunden endet der Literatur-Weg in der Klaussynagoge, dort, wo ein anderer Kafka-Spurensucher seine Arbeiten vorstellt. Wer den Autor als introvertierten Grübler vor dem geistigen Auge hat, den belehrt die Ausstellung "wege des franz k." des Prager Fotografen Jan Jindra eines Besseren. "Dass Kafka ein begeisterter Reisender war, darüber wird seit Jahren recherchiert und geschrieben, über seine Haltung zum Judentum gibt es viele Bücher und Kongresse", erzählt Uri Faber in der Moses Mendelssohn Akademie. Der Schriftsteller habe Halberstadt zu jener Zeit besucht, als er sich mit Talmudstudien befasst hat. Obwohl er Grundkenntnisse im Hebräischen hatte, konnte er den Talmud weder lesen noch verstehen. "Mit diesen talmudischen Versuchen schlägt sich der Bogen wieder nach Halberstadt. Er nutzte die einzige damalige deutsche Übersetzung." Julius Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums Potsdam, hatte diesen seltenen Talmud-Band 2011 als Dauerleihgabe dem Halberstädter Berend Lehmann Museum zur Verfügung gestellt.

Langjähriges Projekt

Seit 2002 folgt Jan Jindra anhand der Reisetagebücher Franz Kafkas dessen Spuren. "Erst beschränkte sich das auf Prag, aber Berlin und Italien spielten keine Rolle", erinnert sich Jindral im MZ-Gespräch. Seit 2004 verfolgt er nun mit Judita Matyasova das Ausstellungsprojekt. Seine Fotos in der Exposition "wege des franz k." entstanden beim Nach-Reisen. "Ich fotografiere ganz klassisch. Da ist Sorgfalt gefragt, denn Filme kosten bares Geld. Da heißt es, erst denken, dann Bilder machen."

Jindral spricht von einer "lebendigen Ausstellung", denn immer wieder entstehen neue Aufnahmen. Die Halberstädter Fotos stammen aus dem Jahre 2009 und zeigen Bahnhofshotel und die Tür zum Berend-Lehmann-Palais sowie Kafkas Hüttchen in "Rudolf Justs Kuranstalt" im Jungborn bei Stapelburg. Denn als er durch Halberstadt reiste, war er auf dem Weg dorthin, um eine Schreibkrise zu überwinden.