Fundusleiter sendet aus «Lokcockpit»
QUEDLINBURG/MZ. - "Eigentlich", so sagt er, "komme ich vom Bau". In einer Fabrik zu arbeiten, kann sich der 48-Jährige nicht mehr vorstellen, "ich genieße es, mein eigener Herr zu sein, wenngleich es manchmal auch sehr stressig ist". Es mache jedoch unheimlich Spaß mit den Touristen zu arbeiten, findet der Wernigeröder.
Jahrelang drehte er in seiner Heimatstadt Runden mit der dortigen Bimmelbahn. "Mein damaliger Chef hatte in Quedlinburg auch eine Bahn.
Die habe ich dann im Jahr 2003 übernommen", erzählt der Lokführer. "Mittlerweile weiß ich über Quedlinburg mehr als über meinen eigenen Wohnort", schmunzelt er. Das bringen die jahrelangen Touren mit sich.
Vom Einsatz eines Tonträgers bei seiner 45-minütigen Route quer durch die Welterbestadt hält der Reiseleiter nichts. Keyser legt großen Wert auf eine Live-Schalte aus dem "Lokcockpit". Nach sechs bis sieben Touren täglich kann deshalb die Stimme auch schon einmal versagen. Das scheint dem vergnügten Zugfahrer in seiner Mission - den Urlaub der Quedlinburger Touristen mit seinen Geschichten zu verschönern - nicht zu bremsen. Ausruhen kann man sich nach Feierabend.
Beim allabendlichen Waggoncheck entdeckt Wolfgang Keyser hin und wieder allerlei Überraschendes. Brillen, Fotoapparate und Geldbörsen zum Beispiel. Liegen geblieben auf den Sitzen. "Mit Schirmen könnten wir mittlerweile handeln", scherzt Keyser. Wichtige Dokumente, Portmonees und auch Kameras werden in Päckchen den Besitzern zurückgesandt. Meist sind die Fahrgäste Senioren. "Sie freuen sich, die Stadt ohne anstrengenden Fußmarsch zu erkunden", weiß der Bimmelbahnfahrer seine stetig wachsende Kundschaft zu schätzen.
Nebst Spannemann, mit dem er sich die Fahrten teilt, rattert das ganze Jahr über der rund 100 PS starke Motor eines japanischen Geländewagens an den Sehenswürdigkeiten der Welterbestadt vorbei. Die Motoren seien besonders robust und deshalb in den Loks verbaut. "Es müssen fast zehn Tonnen inklusive Lok, Waggons und bis zu 40 Fahrgästen bewegt werden. Sommer wie Winter. Dafür ist diese Allrad-angetriebene Technik genau richtig."
Frieren muss auch keiner, wenn es kalt wird: "Im Winter sind die Waggons beheizt." Nur bei Glatteis oder Schnee traut sich die Lok wegen Rutschgefahr nicht auf die huckelige Strecke. Diese beschert dem technisch versierten Inhaber manchmal Kopfzerbrechen. "Die Feder leiden sehr unter dem hoppeligen Pflaster." Bei den meisten Reparaturen legt er deshalb selbst Hand an. In den kommenden Monaten steht unterdessen eine Schönheitskur auf dem Zug-Wellness-Programm.
"Dann dürften die beiden Bahnen noch einige Jahre halten" und auch weiterhin mit gemächlichen Tempo von fünf Kilometern pro Stunde durch Quedlinburg tuckern.