Eine Lob-Kantate auf Bibel und Gutenberg erklingt
NEINSTEDT/GERNRODE/MZ. - Freitag ab 19.30 Uhr werden in der Stiftskirche Gernrode und am Sonntag ab 15.30 Uhr in der Lindenhofkapelle Neinstedt die Kantoreien Gernrode, Ballenstedt und Neinstedt gemeinsam mit dem Telemann-Kammerorchester und Bläsern des Rundfunk Blasorchesters Leipzig Felix Mendelssohn Bartholdys Sinfoniekantate "Lobgesang" op. 52 anstimmen.
Aufwändig sollte 1840 in Leipzig der 400. Jahrestag der Erfindung der Buchdruckerkunst mit beweglichen Lettern begangen werden. Aus diesem besonderen Anlass heraus wurde sogar die Ausstellung eines gesamten Druckereibetriebes eröffnet. Jeder sollte die Bedeutung der Erfindung für die eigene Entwicklung begreifen.
Albert Lortzing erhielt den Auftrag, zu diesem Gutenberg-Jubiläum eine neue Oper beizusteuern. Zwei Tage nach der Uraufführung von "Hans Sachs" erklang zur Enthüllung des Gutenberg-Denkmals auf dem Leipziger Markt Mendelssohns "Festgesang" für Männerchor und Orchester. Am 26. Juni 1840 dirigierte Felix Mendelssohn Bartholdy in der Thomaskirche seine Sinfonie Nr. 2 op. 52 "Lobgesang" - eine Symphonie-Kantate nach Worten der Heiligen Schrift für Soli, Chor und Orchester. Sie trägt den Beinamen Gutenberg-Kantate und war für Männerchor geschrieben.
Mehr als 500 Sänger und Instrumentalisten waren nach Robert Schumanns Bericht für das Konzert aufgeboten, bei dem auch Carl Maria von Webers "Jubel-Ouvertüre" und Händels "Dettinger Tedeum" auf dem Programm standen. "Sondern ich wollt alle Künste, sonderlich die Musica, gern sehen im Dienst des, der sie geben und geschaffen hat." Die Worte Martin Luthers hatte der Komponist als Motto über die Partitur des Werks gesetzt, für das er auf Vorschlag seines in London lebenden Freundes Karl Klingemann die Bezeichnung "Sinfonie-Kantate" wählte. Deren Text hatte er selbst aus der Heiligen Schrift zusammengestellt und in symbolischer Überhöhung Gutenbergs historische Tat mit dem Sieg des Lichts und der Kraft des Guten über Anfechtung und Finsternis gleichgesetzt.
Die Wahl von Bibelworten erscheint durchaus angemessen zum Gutenbergfest, da das erste gedruckte Buch die Gutenberg-Bibel war. Felix Mendelssohn Bartholdy sah in der Erfindung des Buchdrucks die Grundlage einer bürgerlichen Kultur, einen Sieg des menschlichen Geistes über die Gefahren einer sozial begrenzten Bildungsmöglichkeit. Er schafft mit der Gutenberg-Kantate eine wahre Festmusik am schmalen Grat zwischen verkündendem und künstlerischem Anspruch.
Publikum und Kritik riss das zu wahren Jubelstürmen hin. Das Werk orientiert sich in seiner Konzeption hörbar an Ludwig van Beethovens IX. Sinfonie, das Scherzo steht wie bei Beethoven bereits an zweiter Stelle, und speziell in den vokalen Teilen an der Musik Johann Sebastian Bachs. In neun Stationen durchlaufen Chor und Solisten in Arien, Rezitativen und Chören "die Nacht der Finsternis", ehe am dramatischen Höhepunkt des Werkes der Sopran ausrufend und unbegleitet verkündet "Die Nacht ist vergangen". Das "finstere Mittelalter" ist mit der Möglichkeit des Buchdrucks und der damit verbundenen Demokratisierung der Information überwunden, Leipzig feiert sich als Verlags- und aufgeklärt selbstbewusste Bürgerstadt.
Von der Erstfassung seines "Lobgesangs" wollte Felix Mendelssohn aber schon wenige Monate nach der Uraufführung 1840 nichts mehr hören: Als eine Aufführung in London auf der Grundlage dieser Urversion stattfinden sollte, bat er seinen Freund Klingemann eindringlich, zu intervenieren und auf der Verwendung der revidierten Fassung zu bestehen. Tatsächlich waren die Veränderungen, die der Komponist an seiner Gutenberg-Kantate vollzog, gravierend: Die Abweichungen in Schlusschor und Einzelnummern, die Umgewichtungen und die Einfügung der Tenorsoli "Er zählet unsere Tränen" und "Wir riefen in der Finsternis" bezweckten eine spannungsvollere Dramaturgie als in der Erstfassung, die vor Jubelchören nur so strotzte.