"Ich weiß wie es losgeht" Ein Alkoholiker kämpfte sich zurück ins Leben: Peter lebt in der Villa Monika in Gernrode

Gernrode/Schielo - Als Peter Blut erbrach, wurde ihm klar, dass er aufhören musste. Wenn er jetzt nichts änderte, wenn er nicht aufhören würde zu trinken, wäre sein Leben bald vorbei. Die Diagnose: Leberzirrhose. Mit Anfang 30.
Peter hörte auf. 13 Jahre lang war er trocken. Dann griff er wieder zur Flasche. Der Alkohol, er richtete ihn fast zu Grunde. Sein Körper wollte nicht mehr, die Leber – kaputt, die Nieren – versagten, die Beine – trugen ihn nicht mehr. „Die Ärzte haben mich schon abgeschrieben“, sagt er. Aber Peter kämpfte.
Peter heißt nicht in Wirklichkeit Peter. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen, aber erzählen will er, davon, wie sich der Alkohol in seinen Alltag geschlichen, die Sucht Bahn gebrochen hat – und, wie er sich sein Leben Stück für Stück zurückerobert. Der 48-Jährige lebt inzwischen in einem kleinen Appartement in der Villa Monika in Gernrode, einem ambulant betreuten Wohnen. Er arbeitet stundenweise und ist sogar wieder mobil.
9,5 Millionen Deutsche trinken Alkohol in riskanten Mengen
Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums gelten rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland als alkoholabhängig. Die Zahl der Gefährdeten ist ungleich höher: 9,5 Millionen konsumieren demnach Alkohol in gesundheitlich riskanter Menge. 74.000 Todesfälle gehen jährlich auf den Konsum von Alkohol oder Alkohol und Tabak zurück.
Peters Willenskraft zerbrach, wie seine zweite Ehe
Vor zwei Jahren kam Peter nach Schielo, zur Therapie ins Haus Einetal
Ein Arbeitsplatz ist Voraussetzung für einen Platz im Betreuten Wohnen in der Villa Monika
„Den Willen haben nicht alle. Ich kenne welche, die haben abgeschlossen”, berichtet Peter
Die Übergänge zur Abhängigkeit sind fließend. „Heute ist es ein Bier, morgen auch noch, übermorgen sind es zwei, dann drei und vier, und dann kommt ne Pulle Schnaps dazu“, sagt Peter, „ich weiß, wie es losgeht – und wie es endet.“
Los ging es bei ihm auf dem Bau, zu einer Zeit als er auf Montage war. „Wenn es geregnet hat, saßen wir im Container, manchmal tagelang, haben Skat gespielt, dazu gab es einen Kasten Bier und Schnaps“, erzählt er. „Alle haben getrunken.“ Er wollte kein Außenseiter sein.
Peters Willenskraft zerbrach, wie seine zweite Ehe
Peter, gebürtiger Magdeburger, hatte nach der Schule eine Ausbildung zum Tischler gemacht. 1989 ging er „in den Westen“, lernte Stahlbetonbauer, arbeitete in Memmingen. Dann verschlug es ihn zurück. In der alten Heimat lernte er seine Frau kennen, heiratete, wurde Vater.
Das neue Jahrtausend war gerade angebrochen, als sein Leben aus der Bahn geriet. Bald drei Monate war er im Krankenhaus. Der Arzt, erinnert er sich, habe ihm knallhart gesagt: Noch ein Bier, dann ist es zu Ende. „Das hat mir die Augen geöffnet.“
Doch Peters Willenskraft zerbrach – zur selben Zeit wie seine zweite Ehe. 2008 hatte er seine neue Partnerin kennengelernt, und er ging auch wieder arbeiten. „Die Trennung hat mich völlig aus der Bahn geworfen, das habe ich nicht verkraftet.“
Er kam in Stendal bei einem Kumpel unter, dort entglitt ihm sein Leben erneut. Essen konnte Peter nichts, aber getrunken hat er wieder. Der Rückfall, er führte zum totalen Zusammenbruch, in den Rollstuhl und an die Dialyse. Die erste Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt verbrachte er in einem Alten- und Pflegeheim.
Vor zwei Jahren kam Peter nach Schielo, zur Therapie ins Haus Einetal
Als er vor zwei Jahren nach Schielo, in das unter anderem auf Suchtkranke spezialisierte Haus Einetal, kam, konnte er schon wieder „einigermaßen laufen“. Auch sein Willen war zurück: „Ich habe mir gesagt, ich bleibe höchstens ein Jahr.“
Peter machte Fortschritte, zog bald auf dem Gelände um – in eine Wohnform, die ihm mehr Selbstständigkeit abverlangte. Er hatte wieder ein paar haushaltliche Pflichten, dazu Kochtraining und eine Aufgabe. Die Arbeit gehört neben psychologischer, psychotherapeutischer und ergotherapeutischer Betreuung zur Therapie.
Peter malerte, auch seine Wohnung in Gernrode hat er renoviert – noch bevor er wusste, dass er einziehen und in den Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten wird.
Ein Arbeitsplatz ist Voraussetzung für einen Platz im Betreuten Wohnen in der Villa Monika
„Dass sie arbeiten, ist Voraussetzung, um hier zu wohnen“, es gehe darum, einen geregelten Tagesablauf zu haben, nicht den ganzen Tag im Bett zu liegen, erklärt Almuth Henneberg. Zusammen mit Victoria Reim, die das ambulant betreute Wohnen leitet, ist sie Ansprechpartner für die Bewohner und unterstützt jene, die Hilfe brauchen.
Die Villa Monika wurde 1996 von der Arbeiterwohlfahrt eingerichtet und ging dann an die Haus Einetal GmbH. Die Mieter kommen aber nicht nur aus Schielo. Im Haus gibt es elf kleine Wohnungen. Zehn sind zurzeit belegt, die elfte wird im November bezogen.
„Es ist ein Kampf, den man aufnehmen muss“, sagt Henneberg, „und das schafft nicht jeder.“ In diesem Jahr seien bisher vier Bewohner aus dem Haus Einetal ins ambulant betreute Wohnen gezogen, informiert Einrichtungsleiterin Karin Steinberg. Der Schritt allein ist keine Erfolgsgarantie:
Steinberg berichtet von ehemaligen Bewohnern, die Rückfälle erlitten hätten; andere indes seien über sich hinausgewachsen und besser klargekommen, als sie es erwartet habe. Und dann gibt es die Peters. Vorzeigebewohner, die Stärke bewiesen und anderen damit Mut machten. Bei denen es perfekt laufe, wie Henneberg sagt.
„Den Willen haben nicht alle. Ich kenne welche, die haben abgeschlossen”, berichtet Peter
Das liege an einem selbst, meint Peter. Er sieht das ganz pragmatisch: „Entweder macht es Klick oder nicht.“ Und wenn es nicht Klick mache, die Einsicht nicht da sei, etwas zu ändern, was solle dann schon ein Therapeut ausrichten? Bei Peter hat es Klick gemacht.
Ziemlich laut sogar. Er weiß aber auch: „Den Willen haben nicht alle. Ich kenne welche, die haben abgeschlossen“, die wollten auch überhaupt nicht mehr zurück in ein selbstbestimmtes Leben.
Im Gegensatz zu ihm. Eine Wohnung finden und raus aus der Villa, das ist sein Ziel. „Ich muss doch Platz machen für den nächsten.“ Am liebsten würde er in Gernrode bleiben. Auch der Arbeit wegen. Er hat einen Minijob als Hausmeister.
Das liegt ihm mehr als die in der Werkstatt. Und so verdient er sich auch etwas zu seiner Erwerbsminderungsrente dazu. Das ist ihm wichtig. Er sei keiner, der jeden Monat nur darauf warten wolle, bis es wieder Geld gebe. Natürlich, sagt er, habe er manchmal Schmerzen. Er nehme auch Medikamente. „Aber wenn der Chef fragt, kommst du? Dann komm ich.“ Alles Willenssache. Nur eins kann er nicht abschalten. „Den Stempel, dass du Alkoholiker bist, den hast du“. (mz)