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Obstbauern im Huy „Der Saft des vergangenen Jahres war überragend“

Hartwig und Johanna Boye bewirtschaften mehrere Plantagen im Huy. Wie sie dort gelandet sind und was sie von der Ernte erwarten.

25.04.2021, 13:00
Hartwig Boye und seine Frau Johanna bewirtschaften im Huy zehn Hektar Obstplantagen.
Hartwig Boye und seine Frau Johanna bewirtschaften im Huy zehn Hektar Obstplantagen. Foto: Almut Hartung

Eilenstedt - Es grünt und blüht allerorts, auch an den nördlichen Hängen des Huys, wo sich eine Obstplantage an die nächste reiht. Um den 20. April beginne jedes Jahr die Obstbaumblüte mit den Kirschbäumen, sagt Hartwig Boye. Der 77-Jährige muss es wissen, denn seit knapp 20 Jahren kümmern er und seine Frau Johanna sich um die seit der Wende verwilderten Obstplantagen bei Eilenstedt.

Die beiden sind inzwischen richtige Experten, was das Pflanzen, Veredeln und Anbauen von Obstsorten angeht. Studiert haben sie das nicht. Der promovierte Ingenieur und seine Frau fanden durch Zufall in die Region und zum ökologischen Obstanbau.

Für Pflanzen habe er sich schon immer interessiert, sagt Hartwig Boye. Nach der Arbeit an der Universität in Magdeburg habe er sich viel mit Gartenarbeit und Landwirtschaft beschäftigt. Als dann ihre Kinder erwachsen und aus dem Haus waren, fragten er und seine Frau sich: Was wollen wir jetzt machen?

„Als sich das Tor öffnete und wir den Garten betraten, flogen die Fasane auf.“

Hartwig Boye, Obstbauer

Die Antwort kam an einem Sonntag im Jahr 1999, als Hartwig Boye eine Anzeige in einer Zeitung entdeckte. „Stark sanierungsbedürftiger Gutshof zu verkaufen“, stand dort. Da habe ich gesagt: „Johanna, da fahren wir jetzt hin.“ Gesagt, getan.

Sie vereinbarten für den nächsten Tag einen Termin mit der Maklerin und besichtigten das zugewachsene Grundstück in Eilenstedt. „Als sich das Tor öffnete und wir den Garten betraten, flogen die Fasane auf. Das müssen Sie sich mal vorstellen, was für ein Eindruck das war“, sagt Boye.

Die beiden waren begeistert und sagten zu. 2001 begannen sie mit der Hofsanierung. Es sollte nicht die letzte bleiben, es folgten weitere Grundstücke und schließlich der Kauf der ersten Obstplantagen, die sie nach den Grundsätzen der ökologischen Landwirtschaft bewirtschaften.

Über zehn Hektar nennen Boyes inzwischen ihr Eigen, wobei die Hälfte der Flächen noch von Gestrüpp befreit werden muss. Zu tun gibt es daher immer etwas. Mit der Kettensäge und dem Freischneider lichten die Eheleute das Dickicht aus Brombeeren, Liguster, Weißdorn, Hagebutten und anderem Wildwuchs.

„Eilenstedt war mal ein Kirschdorf“, erklärt Hartwig Boye, als er mit dem Lada durch die Reihen der alten Bäume fährt und beiläufig die verschiedenen Sorten von Äpfeln, Kirschen, Birnen und Pflaumen benennt. „Die Leute habe sich in der Not nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Obst Geld dazuverdient. Nach der Wende konnte man damit nichts mehr verdienen. Die Plantagen verwilderten, niemand beschäftigte sich mehr mit ihnen.“

Das habe sich inzwischen geändert. Seit er und seine Frau die Plantagen bewirtschaften, kämen immer mehr Leute auf sie zu, baten um ihre Expertise oder böten die Grundstücke zum Kauf an. Sie helfen gerne und geben ihr Wissen weiter, sei es beim Veredeln der Obsthölzer, beim Bestimmen der Sorten oder beim Baumschnitt.

Im Winter werden Jungbäume in den Reihen der Altbäume veredelt

Im Winter pflanzen und veredeln sie Jungbäume in den Reihen der Altbäume und schützen sie mit Kaninchendraht vor Rehen. Rund 100 Stück waren es allein in diesem Winter. Auf 600 Jungbäume kämen sie insgesamt, schätzt Johanna Boye.

Ihr Mann nickt zustimmend und fügt hinzu: „Die Tausend wollen wir noch vollkriegen.“ Am Wochenende bekommen sie Unterstützung von ihrem Sohn, der ihnen auch bei der Verarbeitung hilft und den Betrieb einmal übernehmen will. Den Astschnitt haben sie inzwischen ebenfalls beendet. Dieser könne zwar auch in der Vegetationszeit durchgeführt werden, dafür müsse man aber auf Früchte verzichten.

Auch eine Mosterei gehört zum Betrieb. Das Gebäude ist jetzt erfüllt vom süßen Duft der Winteräpfel, die hier lagern. Es ist Johanna Boyes Territorium. Die 70-Jährige erzählt: „Zum Mosten sind wir überhaupt erst gekommen, weil wir viel zu viele Früchte hatten, um sie allein verarbeiten zu können.“

Im Sommer wechseln sie die Tätigkeiten ab, ernten erst zwei Tage und verarbeiten dann alles am dritten Tag, wobei sie oft bis tief in die Nacht an der Presse und Abfüllanlage stünden. Erntehelfer beschäftigen sie nicht.

Insgesamt können sie 1,5 Tonnen Früchte am Tag verarbeiten. Das ergibt 1.000 Liter, die in vier Abfüllbehältern aufgefangen werden. Eine Besonderheit: Die Mosterei der Familie Boye steht nicht nur jedem offen. Ab einer Menge von 50 Kilogramm kann man hier sogar den Saft der eigenen Früchte mit nach Hause nehmen.

Am besten eigneten sich zum Mosten die Sorten Halberstädter Jungfernapfel, Berlepsch oder auch Ontario. Säfte aus Quitte, Birne, und roten Rüben stellen sie ebenfalls her und verkaufen sie am Hof und in Naturkostläden in Wernigerode und Magdeburg. „Der Saft des vergangenen Jahres war überragend“, schwärmt Hartwig Boye. „Die Früchte waren erstklassig wegen der Sonnenstrahlen.“

Wer mehr als 50 Kilogramm Früchte abliefert, kann den Saft mit nach Hause nehmen

Wie die Ernte in diesem Jahr ausfallen wird, lässt sich anhand der Blüte allein schwer sagen. „Es ist kein Flugwetter“, stellt Hartwig Boye fest. Der April und das Frühjahr seien insgesamt zu kalt gewesen, erklärt er, weswegen die Hummeln bisher kaum dazu gekommen seien, die Süßkirschen zu bestäuben. Bei höheren würden auch die Bienenvölker aktiv, was den demnächst blühenden Birnen- und Apfelbäumen zugutekäme.

Allerdings könnten die frostigen Nächte den schon hervorschauenden Apfelblüten schaden. Hinzu kommt: Die älteren Bäume hätten unter den trockenen, heißen Sommern der vergangenen Jahre gelitten, viele seien an den Veredelungsstellen gebrochen. Auch die Jungbäume zeigten über zu früh entwickelte Blütenstände an, dass sie unter Stress stünden.

„Wenn es so weiter geht, verabschieden sich die Bäume bald“, ist Hartwig Boyes Einschätzung. Er hofft auf einen milden Sommer. Denn: „Anders als oft angenommen wird, lagern Äpfel den Fruchtzucker erst ein, wenn die Nächte kühler sind. Hitze und Sonne helfen nicht bei der Reifung.“ Er befürchtet, dass auch der kommende Sommer wieder trocken wird. Dabei lässt er sich nicht von Bauernregeln leiten, sondern von seiner Wetter-App.