Bad Suderode Bad Suderode: Neustart statt Selbstzweifel

Bad Suderode/MZ - Eigentlich dachte Gesine Günther, dass sie eine Lebensstellung hat. Doch die Privatisierung des Kurzentrums brachte der ehemaligen Leiterin der Physiotherapie des Kurmittelhauses nun doch Zukunftsangst und Arbeitslosigkeit. Die drahtig und dynamisch wirkende sympathische Frau, der man nicht ansieht, dass sie in zwei Wochen 50 Jahre alt wird, macht aber nun aus der Not eine Tugend. Sie wählte nicht das Hoffen und Bangen um einen Job bei dem neuen Investor des Kurzentrums, sondern wählte den Weg in die Selbstständigkeit. Am Samstag eröffnet sie mit einem Tag der offenen Tür von 11 bis 17 Uhr ihr Ein-Frau-Unternehmen „Ganz natürlich“.
Wohlfühl-Oase
In der Pension „Kurhausblick“ in der Brinkstraße 26, die seit drei Jahren einem Berliner Ehepaar gehört, hat Gesine Günther im Erdgeschoss ein Ferienzimmer zu einer kleinen Wohlfühl-Oase umgebaut, in der sie Urlaubern, Kurgästen, aber auch Einheimischen Wohl-fühlangebote unterbreiten will. Sauna und Schwimmen gibt es bei ihren Wellnessangeboten aber nicht. Die Anwendungsliste ist noch recht kurz. „Ich backe erst mal kleine Brötchen, und dann werden wir sehen, ob es sich rentiert oder nicht.“ Es sind vor allem Massageangebote, darunter auch die Hot-Stone-Massage, oder Ohrkerzenanwendungen - alles für Selbstzahler. „Wohlfühlen, erleben, Sinne berühren“ - diesem Motto will Gesine Günther mit einem entsprechenden Ambiente, zu dem auch Entspannungsvideos gehören, und Ritualen, wie einem Tee-Ritual und Gesprächen, nachkommen. Irgendwann sollen auch Moorpackungen dazukommen. Dabei hofft sie auf Gäste der umliegenden Hotels und Pensionen, die einst im Kurzentrum ihre Stammgäste waren und gern nach Bad Suderode kamen.
Gesine Günther hat sehr gern im Kurzentrum gearbeitet. Wassergymnastik und Fitnesskurse leitete sie am liebsten an. „Ich hätte schon Lust, das wieder zu machen.“ Nur als Leiterin habe sie zu viel Energie gelassen. Jeden Tag gab es eine andere Arbeitsstruktur. „Die Arbeitszeit war auch immer offen“, meint sie mit Blick auf die für ein Familienleben entstehenden Probleme. Denn selbst bei geplanten freien Tagen konnte plötzliche Krankheitsvertretung einen Strich durch die Rechnung machen. „Aber der Gast war mir immer wichtig. Es geht nicht um uns, sondern um unsere Gäste, die sollen ja wiederkommen, der Betrieb muss laufen“, sagt sie, als wäre sie immer noch eine Leiterin in dem nun leer stehenden Haus auf der anderen Straßenseite.
Als 2010 die IFT-Studie erarbeitet wurde, die große Investitionen in das Kurzentrum vorsah, war sie sicher, dass das Kurzentrum weiterbesteht. Sie kündigte mit ihrem Mann, der bei Trimet arbeitet, die Wohnung in Harzgerode. Stattdessen kauften sie in Bad Suderode unweit des Kurzentrums eine Eigentumswohnung. Mit der Konkretisierung der Privatisierungspläne habe es nach den schönen Zeiten bei der Teamfindung am Anfang auch schlimme Zeiten gegeben. „Als sich die Gäste verabschiedeten und fragten: Was wird aus Ihnen? - das war schon belastend.“ Am Ende sei die Motivation bei den meisten im Keller gewesen und sie als Leierin habe „zwischen Baum und Borke“ gestanden, auch wenn die Aushilfskräfte fragten, wie es weitergeht.
Doch nach der Schließung staunt Gesine Günther über sich selbst, wie gut sie das wegsteckte. „Beim ersten Mal auf dem Arbeitsamt war ich ganz aufgeregt, weil mich viele gewarnt hatten. Aber das waren sehr nette Mitarbeiter. Die haben mich sofort an die Hand genommen, beraten und zum Arbeitsvermittler geschickt. Ich bin da gern hingefahren.“ Doch schon beim zweiten Mal hatte für sie festgestanden, dass sie sich selbstständig machen will. Sie wusste, dass es dafür eine Förderung gibt und eine „Ego-Pilotin“, die ihr helfen kann. Mit Christina Fischer-Gerloff habe sie eine große Hilfe gehabt.
Auf Raumsuche
Zunächst suchte Gesine Günther gemeinsam mit Sylvia Braeuer-Schober, ihrer Kollegin im Kurzentrum, die sich inzwischen auch selbstständig gemacht hat, gemeinsam nach geeigneten Räumen. Während ihre Ex-Kollegin vor einigen Tagen nun am Markt eine Physiotherapie-Praxis eröffnete, fand Gesine Günther in der Pension der Familie Rother ein geeignetes Zimmer für einen Neustart. Sie kaufte früh Möbel, Dekoartikel und gestaltete einen Prospekt mit Hilfe einer Gernröder Druckerei. „Ich habe jetzt Klarheit für mich. Ich fange an“, meint sie wieder lebensfroh nach einer Zeit tiefer Selbstzweifel. „Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere.“