1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Quedlinburg
  6. >
  7. "Ärztin zweiter Klasse": "Ärztin zweiter Klasse": Werden Frauen am Harzklinikum diskriminiert?

"Ärztin zweiter Klasse" "Ärztin zweiter Klasse": Werden Frauen am Harzklinikum diskriminiert?

Von ingo kugenbuch 09.06.2015, 18:25
Findet hier Diskriminierung statt? Das Quedlinburger Klinikum trägt den Namen von Deutschlands erster promovierter Ärztin.
Findet hier Diskriminierung statt? Das Quedlinburger Klinikum trägt den Namen von Deutschlands erster promovierter Ärztin. Archiv/Kugenbuch Lizenz

quedlinburg - Im Fürstlichen Marstall zu Wernigerode hat das Harzklinikum soeben standesgemäß den 300. Geburtstag seiner Namensgeberin Dorothea Christiane Erxleben und sich selbst gefeiert. „Ihre beeindruckende Biografie gilt noch heute als Vorbild vor allem für junge Frauen“, heißt es dazu in einer Pressemitteilung der Klinikum-Leitung. Denn die in Quedlinburg geborene Erxleben war die erste deutsche promovierte Ärztin - eine Frau, die gegen Machismo und Diskriminierung kämpfen musste. Glaubt man aber dem ehemaligen Betriebsrats-Chef der kommunalen Klinik, passiert genau das heute tagtäglich in dem Krankenhaus mit dem stolzen Namen. „Die haben in 300 Jahren nichts gelernt. Weiterhin werden Frauen in diesem Klinikum diskriminiert“, sagt Roland Lucht, der seit einem Jahr im Ruhestand ist.

„Trotz ihres breiten medizinischen Wissens wird Dorothea Christiane Leporin der Zugang zur Universität verwehrt“, heißt es auf der Website des Klinikums. Leporin ist der Mädchenname der Erxleben. „Als sie in Quedlinburg als Ärztin zu praktizieren beginnt, halten ihr männliche Kollegen vor, sie sei eine Dilletantin, verfüge sie doch über keine formelle universitäre Ausbildung. Es kommt noch ärger: Sie erhält eine Anzeige wegen ,medicinischer Pfuscherey‘, nachdem eine Patientin verstirbt. Daraufhin entschließt sich die 39-jährige Dorothea Christiane Erxleben unmittelbar nach der Geburt ihres vierten Kindes, ihre Promotion nachzuholen.“

"Zur Schnecke gemacht"

So habe ein Chefarzt einer Assistenzärztin ein Zeugnis geschrieben, in dem sie „zur Schnecke gemacht werden soll“, wie Lucht meint. Tatsächlich sind in der Beurteilung, die die MZ einsehen konnte, Formulierungen enthalten wie „Aufgrund der Schwere des Fachgebiets und der starken Arbeitsbelastung (...) stieß Frau Müller (Name geändert) auch aufgrund ihrer körperlichen Voraussetzungen im Fachgebiet teilweise an ihre Grenzen“ oder „Die anfänglich erhoffte Förderung und Weiterbildung zur Fachärztin hat sich in der Folge leider nicht weiterentwickelt“. Für den Magdeburger Arbeitsrechtler Uwe Bitter, der schon häufig den Betriebsrat des Klinikums vertreten hat, ist das eine „Frechheit“. „Diese Formulierungen sind zynisch und diskriminierend“, sagt Bitter. Rechtswidrig sind sie möglicherweise auch. Denn ein Zeugnis muss nach einem höchstrichterlichen Urteil wohlwollend formuliert sein. „Der Arbeitgeber darf Punkte, die ihm nicht gefallen, weglassen“, sagt Bitter. „Wenn ich aber jemanden 60 Stunden arbeiten lasse, dann ist es heuchlerisch zu sagen, er sei an seine Grenzen gestoßen.“

Inhaltlich äußert sich das Klinikum nicht zu Luchts Vorwurf. Es habe eine „juristische Auseinandersetzung zwischen Herrn Lucht und besagtem Chefarzt gegeben, mithin ist beider Verhältnis zueinander nachhaltig zerrüttet“, teilt Klinikum-Sprecher Tom Koch mit. Das sei „wohl der eigentliche Grund für diesen Vorwurf“.

Auch im zweiten Beispiel, das Lucht exemplarisch für Diskriminierungen im Harzklinikum nennt, wittert Koch ein „tiefes persönliches Interesse“ des ehemaligen Betriebsrats-Chefs, denn mit der betroffenen Ärztin hat Lucht ein gemeinsames Kind. Ein Fakt, aus dem er keinen Hehl macht. „Ich würde mich aber auch für jeden anderen einsetzen, der mich um Hilfe bittet“, sagt Lucht. Unterstützung benötigt die Frau, die eine von drei Ärzten in der Quedlinburger Notaufnahme ist, weil sie nach Ansicht Luchts zum Opfer einer abgekarteten Stellenausschreibung geworden ist.

Klinikum-Sprecher Koch widerspricht

In der Anzeige auf der Klinik-Website wird der „Leiter Notaufnahme“ gesucht, eine weibliche Form kommt im Text nicht vor - in einem zweiten Anlauf wurde das zwar korrigiert. Geändert wurde aber nicht das Profil, das unter dem Punkt „Qualifikation“ genannt wird: „Facharztabschluss oder kurz bevorstehend“ steht dort unter anderem als Anforderung für den Chef. Tatsächlich wurde der laut Lucht von der Krankenhausleitung vor der höher qualifizierten Bewerberin bevorzugte Mann dann auch auf der Homepage der Klinik als ärztlicher Ansprechpartner der Notaufnahme geführt - ein Assistenzarzt ohne Facharztabschluss. „Und die qualifizierte Bewerberin wurde behandelt wie eine Fachärztin zweiter Klasse“, sagt Lucht.

„Die Ausschreibung war ganz klar ein Fehler“, sagt Peter Nartschik, der als Ärztlicher Direktor seit Ende Mai auch als Chef der Notaufnahme fungiert. „Ich kann nicht jemanden berufen, der keinen Facharztabschluss hat. Ich bin doch nicht lebensmüde.“ Im Moment sei die Ausschreibung der Stelle gestoppt, sagt Nartschik. „Sicherheit und Funktionsfähigkeit sind gegeben. Alles Weitere warten wir ab.“ Mobbing oder Diskriminierung könne er nicht erkennen.

„Der Vorwurf, Frauen würden wegen ihres Geschlechts diskriminiert, ist absurd“, sagt Klinikum-Sprecher Koch. Der Frauenanteil unter den Ärzten liege bei 45 Prozent, sagt er. Bei den Frauen in Führungspositionen sieht dieses Verhältnis allerdings völlig anders aus: Unter 18 Chefärzten gibt es nach Angaben Kochs nur drei Frauen. Das sind nicht mal 17 Prozent.

Der Beförderung des Assistenzarztes zum Chef der Notaufnahme hat der Betriebsrat nicht zugestimmt. „Die Stelle sollte nach Kenntnisstand und Qualifikation besetzt werden“, sagt Quedlinburgs Klinikum-Betriebsrats-Vorsitzender Ingbert Sommer. Das spreche für die Bewerberin, die nicht zum Zug gekommen ist. Er sieht aber nicht primär eine Benachteiligung der Ärztin als Frau, sondern als besser Qualifizierte.

Trotzdem, sagt Sommer, sei es nicht richtig, dass in einem Haus, in dem 70 Prozent Frauen arbeiten, fast alle Chefärzte Männer seien. „Das“, sagt Sommer, „wird sich in den nächsten 20 Jahren hoffentlich erledigt haben.“ (mz)