Alte Feile erzählt Industriegeschichte
QUEDLINBURG/MZ. - Wer genau hinschaut, sieht in sie verschiedene Spitznamen eingeschlagen - ein Erinnerungsstück an eine Herrenrunde gut betuchter Quedlinburger Handwerker und Geschäftsleute. Wo sie gemeinsam tranken, weiß heute niemand mehr.
Dass sich hinter dem "Raspelkönig" Otto Robert Ullrich verbirgt, darf als sicher gelten. Seine Feilenhauerei etablierte er 1869 in der Pölkenstraße 6. "Fünf Mitarbeiter waren dort beschäftigt und arbeiteten wöchentlich 14 Zentner alte Feilen, die der Firma zur Reparatur überlassen wurden, wieder frisch auf", berichtet Kornelia Wedler. Die Sozialbegleiterin leitet für den 2002 gegründeten Verein "Eigeninitiative Gemeinschaft Organisation" (EGO e.V.) das Projekt Feilenhauermuseum. "Wir möchten damit eine Einzigartigkeit bewahren. Schließlich gilt das Handwerk als ausgestorben."
Fast original erhalten
In der fast original erhalten Wohn- und Arbeitsstätte im Zentrum Quedlinburgs stehen noch die Maschinen von 1869. "Irgendwann wollen wir wieder Schauvorführungen veranstalten," kündigt die Projektleiterin an. "Härterei und Schleiferei gibt es noch, nur der Glühofen fehlt. Unterdessen liegen schon Angebote vor, uns mit Sachspenden zu unterstützen, so dass wir viele Sachen aufarbeiten und ergänzen können."
Kürzlich besuchte Bruno Bannat nach 2007 erneut das entstehende Museum. Der letzte Feilenhauermeister Deutschlands stand vor Jahren im Mittelpunkt der WDR-Sendung "Der Letzte seiner Zunft". Er gab den Museumsbetreibern in Quedlinburg wichtige Hinweise für ihre Arbeit. Schließlich konnten mit Unterstützung von der ARGE, des Landesprogramms "Aktiv zur Rente" und des Europäischen Sozialfonds sechs Menschen im Museum in Arbeit gebracht werden. Zwei erfahrene und motivierte Metallarbeiter übernehmen bis 2011 die museumspädagogische Betreuung, vier weitere Männer arbeiten seit 1. April den Maschinenpark auf.
Handwerk bis 1963 praktiziert
Kornelia Wedler kündigt an, dass das Museum außer am Wochenende demnächst täglich öffnen werde. Besonders Schüler sollen hier an das alte Handwerk herangeführt werden, das ja bis 1963 noch vor Ort praktiziert wurde. Gerade bei der Museumsnacht oder beim Tag des Denkmals erfreute sich die Industriegeschichte reichen Interesses, wie Wedler berichten kann. "Sogar Leute waren hier, die einst in einer Quedlinburger Schlosserei lernten und hierher geschickt wurden, um Feilen aufarbeiten zu lassen. Man erzählte sich ja, dass die aufgearbeiteten Werkzeuge durch das erneute Härten noch besser wurden."
Interessante Schriftstücke
Doch im Bestand des Museums befinden sich nicht nur diverse Feilen und Raspeln, historische Gerätschaften und Maschinen, sondern auch interessante Schriftstücke. Darunter findet sich die Urkunde, die Otto Robert August Ullrich 1875 zum Bürger von Quedlinburg ernannte.