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Aegidiikirche Quedlinburg Aegidiikirche Quedlinburg: Freifahrtscheine für das Seelenheil

Von Gerd Alpermann 06.07.2016, 14:33
Mario Ohlendorf, Gerhard Schwenk, Tischlermeister Steffen Ibe und Silvana Zweig (vl.) vollenden die Rekonstruktion der Truhe.
Mario Ohlendorf, Gerhard Schwenk, Tischlermeister Steffen Ibe und Silvana Zweig (vl.) vollenden die Rekonstruktion der Truhe. Chris Wohlfeld

Quedlinburg - Der Mönch Tetzel war sicher nie in der Quedlinburger Aegidiikirche. Dort steht jetzt aber eine Ablasstruhe. Wenn das Wort Ablass fällt, dann ist der Name Johann Tetzel nicht weit. Er verkaufte Freifahrtscheine für das Seelenheil, um damit kirchliche Vorhaben zu finanzieren.

Je mehr einer besaß, desto mehr hatte er als Ablass zu zahlen, damit seine Sünden vergeben sind. Papst, Bischöfe und andere Würdenträger verdienten daran mit, bauten von dem Geld zum Beispiel prunkvolle Kirchen. Martin Luther hat dieses Gebaren gegeißelt - Thesen wider den Ablasshandel verfasst. Der Mönch Johann Tetzel trieb es mit dem Ablass besonders arg, so dass sein Name als negatives Beispiel in die Geschichtsbücher Eingang fand.

In der Aegidiikirche ist jetzt eine Truhe aufgestellt worden, die eine Ablasstruhe sein könnte. Genau weiß es keiner, doch das Alter des Holzes und der Beschläge lassen durchaus den Schluss zu, dass sich einst dort drin durch Ablass erworbenes Geld befand.

Beim Aufräumen der unteren Turmzimmer wurde nicht die ganze Truhe entdeckt, sondern nur Fragmente, der Deckel und die Rückwand. Heute können in dem Raum die Glocken von St. Aegidii geläutet werden, von jedermann an jedem Sonnabend um 18 Uhr in der warmen Jahreszeit. Der sonst leere Raum beherbergt noch eine Rarität, eine große Steinzange, die beim Kirchenbau oder bei der Reparatur verwendet wurde, um schwere Steine transportieren zu können.

Die Truhenreste wurden eingelagert und blieben zunächst bis auf weiteres ungenutzt liegen. Irgendwann war es dann so weit. Gerhard Schwenk vom Förderkreis der Aegidiikirche sah in der Truhe eine Gelegenheit, mit einem weiteren Inventarstück den Besuchern der Kirche geschichtliche Hintergründe zu vermitteln. Die Aufarbeitung der Ablasstruhe wurde ins Auge gefasst. Im Bildungs- und Technologiezentrum zu Thale (BTZ) fand der Förderkreis die notwendige Unterstützung.

Vom Deckel der Truhe und mit Blick auf ein Foto, das sie vor etwa 100 Jahren zeigt, aufgestellt vor einer Wand, hinter der sich die Sakristei befindet, konnte auf die anderen Teile des Kastens geschlossen werden. In der Tischlerei des BTZ unter Meister Steffen Ibe wurde dann das fehlende Eichenholz zugeschnitten und die Truhe neu zusammengebaut. Die Beschläge, nur noch einige wenige waren vorhanden, konnten ebenfalls im BTZ komplettiert werden.

Gerhard Schwenk zeigte sich bei einem Gespräch mit der MZ begeistert, dass dort noch die alten Werkzeuge am Schmiedefeuer genutzt werden. So entstanden die „Ersatzteile“, und die Truhe konnte zusammengesetzt nach Quedlinburg gebracht werden. Da steht sie nun - und sie wird „bewacht“. Über ihr hängt ein Gemälde, das Bildnis von Pfarrer Schaarschmidt, 37 Jahre in St. Aegidii tätig und 1681 verstorben. Links von der Truhe befindet sich die Grabplatte von Pfarrer Valentin Roter, rechts das Epitaph von Pfarrer Claus Friburg.

Die Ablasstruhe ist etwa 1,40 Meter breit, 0,70 Meter tief und mit Füßen 0,80 Meter hoch. Drei Schlüssel sind notwendig, um sie zu öffnen. Die Schlösser haben alle verschiedene Innenleben. Damit wurde vorgebaut, dass nicht einer allein die Truhe öffnen und das Geld vielleicht unberechtigt herausnehmen konnte.

Auf dem Deckel befindet sich ein Schlitz, wo jedes heutige Geldstück oder ein Schein hindurchpasst. Wer den Förderkreis für die St.-Aegidii-Kirche unterstützen will, kann dort einen Obolus hineinwerfen. Eins ist aber sicher, Ablass von seinen Sünden erhält er damit nicht, weder schriftlich noch mit schönen Worten. Ein Dank ist ihm aber gewiss. (mz)