Zu Gast bei Nachbarn Zu Gast bei Nachbarn: Wie aus dem Bilderbuch

Er zählt zu den ganz Großen in der europäischen Architekturgeschichte des 19. Jahrhunderts, der am 28. Januar 1800 im thüringischen Mühlhausen geborene Pfarrerssohn Friedrich August Stüler. Er hatte zunächst Mathematik und Feldmesskunst studiert und bestand 1819 in Berlin sein Geometerexamen. Nach dem anschließenden Militärdienst arbeitete er zwischen 1820 und 1823 als Baukondukteur bei der Königlichen Bauinspektion Weißenfels, um praktische Kenntnisse im Bauwesen zu sammeln. In dieser Zeit übernahm er bauleitende Aufgaben in Naumburg und besonders in der Landesschule Pforta. Orte, die damals erst seit kurzer Zeit zum Königreich Preußen gehörten. Die vor allem denkmalpflegerisch geprägten Arbeiten in der ehemaligen Klosteranlage in Schulpforte und im Naumburger Dom sollten wesentlichen Einfluss auf die spätere Tätigkeit des Architekten haben. Die Bindung Stülers an die Region des Zusammenflusses von Saale und Unstrut blieb über diese Zeit hinaus erhalten.
Schinkel holte Stüler
1824 gründete Friedrich August Stüler gemeinsam mit seinem Freund Eduard Knoblauch den Architekten-Verein zu Berlin, der erste Verein dieser Art in Deutschland. Mitglieder wurden später unter anderen Schinkel, Semper, Behrens oder Gropius. Er setze seine Studien an der Bauakademie in Berlin fort und bestand 1827 die Baumeisterprüfung. Als sein Lehrer war besonders der berühmte Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) auf den jungen Architekten aufmerksam geworden. Stüler wurde unter Schinkel am Berliner Hofbauamt tätig, und mit seiner Ernennung zum Hofbauinspektor 1829 begann der rasante Aufstieg zum ersten preußischen Baubeamten. Er bereiste zwischenzeitlich zahlreiche europäische Länder und lehrte von 1834 bis 1842 an der Berliner Bauakademie den Entwurf öffentlicher Gebäude. In Schinkels Nachfolge wurde er schließlich - bis 1845 noch gemeinsam mit Ludwig Persius – der persönliche Berater des preußischen Königs in allen Bauangelegenheiten und bestimmte maßgeblich die Architektur und Denkmalpflege Preußens. Stüler prägte entscheidend den „Berliner Spätklassizismus“ mit zahlreich übernommenen Elementen aus den historischen Kulturepochen der Romanik, Gotik und Renaissance, der schließlich in den Historismus überging.
Die Liste der Bauten, die Stüler entwarf, ausführen ließ und fachlich beaufsichtigte, ist mehr als beeindruckend. Kirchen, Schlösser, Landhäuser, Villen oder öffentliche Gebäude im Staatsauftrag entstanden nicht nur in Preußen in großer Zahl, sondern auch in Russland, Schweden oder in Österreich-Ungarn. Sicherlich zählen das Neue Museum („Stülerbau“) auf der Berliner Museumsinsel (heute Welterbe der Unesco), das Nationalmuseum in Stockholm oder die Burg Hohenzollern, der Stammsitz des preußischen Königshauses und der Fürsten von Hohenzollern, zu den heute bekanntesten Gebäuden, die nach seinen Entwürfen ausgeführt wurden. Weitere herausragende Großbauten nach Stülers Plänen sind die Orangerie im Park von Sanssouci in Potsdam, die Neue Synagoge in Berlin, die Alte Börse in Frankfurt/Main, die Universität Königsberg, das Neue Rathaus in Breslau, das Wallraf-Richartz-Museum in Köln, die Akademie der Wissenschaften in Budapest, die Gardekaserne „Garde du Corps“ vor dem Berliner Schloss Charlottenburg, der Umbau des Schlosses Erdmannsdorf in Schlesien oder der Neubau des Lutherhauses in Wittenberg. Als Architekt des Königs entwarf er auch die Kuppel für das Berliner Stadtschloss, plante in Gemeinschaft mit anderen Architekten das Schweriner Schloss, legte Entwürfe für den Neubau des Winterpalais in St. Petersburg vor, die allerdings nicht ausgeführt wurden, und vollendete die Burg Stolzenfels bei Koblenz.
Der Entwurf für das Gebäude der Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel wurde erst nach seinem Tode ausgeführt. Zu den zahlreichen Kirchenentwürfen, vor allem im Großraum Berlin-Brandenburg, zählen unter anderem die bekannte Friedenskirche in Potsdam, die Kirche in Caputh, die Vollendung der Nikolaikirche in Potsdam oder die gemeinsam mit Schadow entworfene russische Kirche Nikolskoe, ebenfalls in Potsdam. Immer wieder plante und beaufsichtigte Stüler denkmalpflegerische Arbeiten. Dazu gehören zahlreiche Gutachten und Empfehlungen für die bereits seit 1820 geplanten denkmalpflegerischen Arbeiten an der Preußischen Landesschule Pforta oder die Revidierung der seit 1847 von der Bauinspektion Weißenfels erarbeiteten und 1854 bis 56 ausgeführten Restaurierungsentwürfe für die romanische Doppelkapelle auf der Neuenburg in Freyburg. Maßgeblich wurden auch seine zahlreichen Empfehlungen für die anstehenden Restaurierungsmaßnahmen im Naumburger Dom, die sich 1855 unter anderem in Stülers „Reisebericht über die Herstellung des Domes zu Naumburg“ niederschlugen. 1864, wenige Monate vor seinem Tod, berichtete Stüler, dass wichtige von ihm beeinflusste Erhaltungsmaßnahmen am Naumburger Dom zum Abschluss gekommen wären. Ebenfalls kurz vor seinem Tod entwarf Stüler die Pläne für die Treppenhaus-Architektur im Naumburger Schwurgerichtsgebäude (zuletzt JVA), die der Inszenierung des Gemäldes von Eduard Bendemann „Der Tod Abels“ dienen sollten.
Neogotische Gestaltungselemente
Eines der vielen kleineren Bauten, die von Friedrich August Stüler geplant und ausgeführt wurden, war der Neubau des Torhauses („Verwaltungshaus“) im Westteil der Landesschule Pforta, welches zwischen 1854 bis 1860 gebaut wurde. Am Torhaus fallen verschiedene neogotische Gestaltungselemente an der Außenfassade auf, ebenso wie die neogotischen Kreuzrippengewölbe oder das Blattwerk im Inneren des Gebäudes nach dem Vorbild des Naumburger Doms. Ähnliche diesem Vorbild nachempfundene Stilelemente finden sich auch an und in weiteren Stüler-Bauten. Dass dieses neue Torhaus als Haupteingang zur Schule noch Jahrzehnte später allerdings nicht nur Freunde hatte, zeigt die Bemerkung des bekannten Theologen und Kunsthistorikers Heinrich Bergner „Die neugotischen Bauten der Landesschule, so vornehmlich das Torhaus von 1854 ... stören für einen empfindsamen Kunstjünger den Eindruck.“ Wilhelm Corssen, Lehrer an der Landesschule, schien dagegen das neue Torhaus gut zu gefallen. Corssen setzte eine Zeichnung mit dem neuen Tor und Haupterker auf das Titelblatt seines 1868 in Halle erschienen Standardwerkes zur Geschichte, Kunst und Architektur von Kloster und Landesschule.
Seit August des vergangenen Jahres arbeitet die Bauhütte Naumburg GmbH an der Restaurierung des gealterten Torhauses (Tageblatt/MZ berichtete). Das Mauerwerk selbst besteht aus Freyburger Muschelkalk. Fenstergewänder, Figuren, Schmuckelemente sowie der Haupterker sind aus Seeberger Sandstein gearbeitet. Fachmännisch sind inzwischen zahlreiche Teile ergänzt und gereinigt worden. Der größte Teil des Erkerdachs am Haupterker über dem Hauptportal wurde neu angefertigt und grundlegende statische Sicherungen mussten vorgenommen werden. In wenigen Wochen werden die Arbeiten an diesem Teil der Außenfassade abgeschlossen sein.
Bewusst haben die Mitarbeiter der Bauhütte allerdings einige kaum noch auffällige Relikte aus der jüngeren Geschichte als historische Narben belassen. Im April 1945 hatten einige Schüler der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt in Schulpforte den aussichtslosen Versuch unternommen, die Schule vor den heranrückenden amerikanischen Soldaten verteidigen zu wollen. Die Amerikaner nahmen daraufhin das Torhaus unter Beschuss und hinterließen damit ihre Spuren.
Die Preußische Landesschule Pforta war auch in zumindest zwei weiteren Verknüpfungen mit Friedrich August Stüler eng verbunden. Einer der Söhne des berühmten Architekten, Arnold Stüler (1841-1914), war von 1856-1861 Schüler der Landesschule. In dieser Zeit erlebte er die Fertigstellung des Torhauses nach den Entwürfen seines Vaters. Wie auch einer seiner Brüder, schlug Arnold Stüler die Architektenlaufbahn ein.
Freundschaftlich verbunden war Friedrich August Stüler mit einem der berühmtesten Absolventen der Landesschule, Richard Lepsius aus Naumburg. Der Begründer der modernen wissenschaftlichen Ägyptologie, Direktor des Ägyptischen Museums im Neuen Museum und später auch Direktor der Königlich-Preußischen Staatsbibliothek, hatte sich in der Blüte seines Lebens in Berlin eine Villa bauen lassen. Die Villa Lepsius wurde 1854/55 nach Entwürfen von Stüler und Krakow unter der strengen Bauaufsicht von Friedrich August Stüler ausgeführt. Als Mitbegründer der Ägyptischen Sammlung im Neuen Museum hatte Lepsius bereits seit Jahren museumsplanerisch eng mit Stüler zusammengearbeitet. Dessen Neues Museum wurde schließlich maßstabsetzend für die internationale Museumsarchitektur im 19. Jahrhundert.
Lepisus-Villa in Berlin
Den Vorstellungen von Lepsius entsprechend, erhielt die heute nicht mehr erhaltene Villa in der Bendlerstraße 18 (Heute: Stauffenbergstraße 18/Bendlerblock, Bundesministerium der Verteidigung) eine neogotische Fassade. Der malerisch wirkende Baukörper setzte sich damit wesentlich von den in der Umgebung zeitgleich gebauten Gebäuden ab. Interessant ist eine zeitgenössische Beschreibung der Berliner Lepsius-Villa: „An der Südseite bildete der offene Balkon mit seinen Säulen und Spitzbogen die Zierde des Hauses. Eine Freitreppe führt rückwärts in den Garten zunächst auf einen geräumigen Spielplatz, der hauptsächlich für Jung und Alt beliebten Bocciaspiel diente. Den Vordergarten neben dem Haus nahm ein großes mit Buchs eingefasstes Rondell ein, in dessen Rasenfläche Blumen- und besonders Rosenbeete eingesetzt waren. Die Ost- und Südseite des Hauses war mit Naumburger früh tragenden Edelreben berankt. Auf dem eingezäunten Hofe befanden sich an der Nordseite der Kuhstall im Schweizerstil, der einen Raum für die Kuh Hathor, einen Gerätheraum und den Hühnerstall barg. Im Dach lag der Heuboden mit dem Taubenschlag. Der Wächter des Hauses war der Kettenhund Ramses, ein Bernhardiner, dem sich später ein kleiner Findling Annubis zugesellte.“
Vor 150 Jahren, am 18. März 1865, verstarb Friedrich August Stüler in Berlin. In seiner Kindheit in Mühlhausen und in seiner Jugendzeit in Schulpforte und Naumburg wesentlich von mittelalterlicher Architektur geprägt, hinterließ der geniale preußische Architekt und Denkmalpfleger ein fast unüberschaubares Werk. Zahlreiche übernommene Stilelemente, die er im Umgang mit der wertvollen Denkmalsubstanz an Saale und Unstrut kennen gelernt hatte, fanden in seiner Arbeit einen Niederschlag und trugen entscheidend zur Ausprägung des Historismus in Europa bei.
Tipp: „Pläne für Europa – Der Mühlhäuser Baumeister Friedrich August Stüler“ Sonderausstellung in den Mühlhäuser Museen vom 19. März bis 30. August.