Vortrag Vortrag: Naumburger Henker

Naumburg - Eine ehemalige Justizvollzugsanstalt als Kunstort? Diese wohl bislang deutschlandweit einmalige Verbindung präsentiert der Verein Kunst in Naumburg derzeit mit seiner Ausstellung zu Eduard Bendemann und der Düsseldorfer Malerschule am Salztor. Weist das Bendemann-Gemälde „Der Tod Abels“ bereits auf den Komplex Schuld und Sühne hin, so sieht sich der Betrachter mit der Klang-Text-Collage „Ab-Grund“, die in zwei Räumen des ehemaligen Schwurgerichts installiert ist, mit diesen Themen in besonderer und ganz eigener Weise konfrontiert.
Konzipiert vom Baumersrodaer Kriminologen Marschel Schöne und von den Schauspielern Rolf Hoppe aus Dresden und Holger Vandrich aus Naumburg eindrucksvoll gesprochen, „wird der besondere Ort dieser Ausstellung ins Bewusstsein gerückt“, wie Kurator Guido Siebert erläutert. Denn Ausstellungen werden getragen von den Räumen, die sie umgeben. Dabei ist das Schwurgericht ein Ort, „der menschliche Abgründe ein- und ausatmet“, so Schöne zum Grundgedanken der Klang-Text-Collage „Ab-Grund“. Schöne weiter: „Ein kontaminierter Ort, an dem über Mörder, Totschläger und Vergewaltiger gerichtet wurde. Bisweilen auch mit einem Todesurteil. Vollzogen im Hof des Schwurgerichts oder in dessen Keller von bezahlten Henkern. Unzählige Geschichten verbergen sich hinter den Namen der zum Tode Verurteilten. Und hinter den Henkern, die im staatlichen Auftrag töteten.“ Die Untiefen dieser menschlichen Existenzen, das spannungsvolle Verhältnis von Schuld und Sühne, von Abschreckung und Strafe bilden das Zentrum im „Ab-Grund“.
Die zwei Räume im Obergeschoss des Schwurgerichts, die in früherer Zeit auch als Gefangenenräume dienten, vermitteln damit einen dokumentarischen Blick auf die Todesstrafe. Die Besucher entdecken im Schein der Taschenlampe Daten zur staatlichen Anwendung der Todesstrafe, zusammengestellt von Amnesty International. Sie finden Namen, Taten und Biografien von zum Tode Verurteilten und ihren Henkern. Sie erleben, wie die Räume akustisch zum Leben erwachen und hören einen „Dialog des Gewissens“, getragen vom einsamen Ton eines Klaviers und bestimmt von der Frage, was einen Henker von einem Mörder unterscheidet“, schildert Siebert. Protagonisten des Dialogs sind Rolf Hoppe und Holger Vandrich.
Im eindringlichen Wechselspiel von Frage und Antwort sprechen sie fragile Gewissheiten an: Wer sind die Bösen unter uns? Und wer die Guten? Sind wir davor geschützt, zu Mördern zu werden? Warum tötet ein Bruder den anderen? Wer kann mit Bestimmtheit sagen, wer Opfer und wer Täter ist? Was bringt Menschen an den Rand, der sie aus der sozialen Gesellschaft in den Abgrund fallen lässt? Und was fasziniert uns am Verbrechen? Und nicht zuletzt: Darf oder sollte der Staat im Namen der Gerechtigkeit selbst Leben auslöschen? Die Klang-Text-Collage ermöglicht damit eine Auseinandersetzung mit der ehemaligen Funktion des Ausstellungsgebäudes.
Der Verein Kunst in Naumburg dankt Rolf Hoppe und Holger Vandrich als Sprecher, Marschel Schöne, der Idee und Text lieferte sowie die Aufnahme produzierte, Lutz Glandien, der Mischung und Mastering besorgte, und Hans-Dieter Speck, der die Recherchen zu den Naumburger Todesurteilen leistete.
