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Besuch auf der Covid- und der Intensivstation Naumburger Krankenhaus: „Acht, in Spitzen auch neun“

Auch Kinder gehören hier mittlerweile zu den Corona-Patienten.

Von Harald Boltze 02.12.2021, 10:24
Pfleger Markus Steinke kümmert sich auf der Intensivstation  um einen Covid-Patienten. Was die Erkrankten dort eint? Sie sind ungeimpft und erwachsen. Kinder würde man bei einem ganz schweren Verlauf in größere Kliniken bringen.
Pfleger Markus Steinke kümmert sich auf der Intensivstation um einen Covid-Patienten. Was die Erkrankten dort eint? Sie sind ungeimpft und erwachsen. Kinder würde man bei einem ganz schweren Verlauf in größere Kliniken bringen. (Foto: Torsten Biel)

Naumburg - Der Neunjährige lugt durch die Tür seines Zimmers. Neugierig beobachtet er auf der Covid-Station des Naumburger Krankenhauses die Ärzte. Sie sprechen mit dem Reporter und dem Fotografen, die sich gerade langwierig eine komplette Schutzmontur angezogen haben. Der Junge kann bis zur Tür laufen, da es ihm schon wieder besser geht und er keinen Sauerstoff mehr braucht. Mit neun Jahren ist er derzeit der jüngste Covid-Patient auf der Station - und das nur, weil eine Zweijährige gerade entlassen werden konnte.

Zweijährige Corona-Patientin

Wie schlimm ist sie denn nun, die Corona-Lage im Naumburger Krankenhaus, auf einer Skala von eins (alles easy) bis zehn (absolutes Chaos)? „Sieben“, sagte Dr. Bernd Lobenstein, der Ärztliche Direktor der SRH-Klinik, noch vorige Woche am Telefon. Nun aber lautet seine Einschätzung am Mittwochnachmittag: „acht, mit kurzen akuten Phasen der neun“. Sein Chefarzt der Intensivstation (ITS), Dr. Lars Hüter, nickt. Zur Einordnung: Bei der letzten schweren Welle habe dieser beispielhafte Wert ebenfalls bei acht bis neun gelegen, so Lobenstein. Doch damals war schon ein Lockdown ausgerufen und die Inzidenz am Sinken. Im Burgenlandkreis aber steigen die Fallzahlen derzeit weiter. Und wer sich heute infiziert und schwer erkrankt, den sehen die Klinikärzte frühestens in einer Woche.

Die 58-jährige Prießnitzerin  Martina Merz wird auf der Naumburger Covid-Station vom Leitenden Oberarzt Dr. Andreas Kothe versorgt.
Die 58-jährige Prießnitzerin Martina Merz wird auf der Naumburger Covid-Station vom Leitenden Oberarzt Dr. Andreas Kothe versorgt.
(Foto: Torsten Biel)

Dr. Andreas Kothe ist der Leitende Oberarzt der Covid-Station. Unter seiner Maske sieht man ein etwas gequältes Lächeln, als Martina Merz voller Dankbarkeit die Arbeit des gesamten Personals lobt, dafür, wie gut sie hier bisher umsorgt worden ist. Die 58-jährige Prießnitzerin bekam vor zwei Wochen Kopf- und Gliederschmerzen, wurde immer schwächer. „Ich habe zuerst an eine schwere Grippe gedacht, aber als die Atemnot dazukam, bin ich mal lieber in die Ambulanz nach Bad Kösen.“ Ihr PCR-Test fiel positiv aus, wenig später lag sie im Rettungswagen gen Krankenhaus.

Da fragt man sich wirklich manchmal, für wen man das alles macht.

Dr. Andreas Kothe

„Es ging von einer Sekunde auf die andere abwärts. Das war wirklich heimtückisch.“ Dringend musste sie an Sauerstoff angeschlossen werden, „und am Anfang sah es ganz schön kritisch aus, ob sie auf Intensiv muss. Doch die Behandlung schlug gut an“, so Oberarzt Kothe. Warum er so gequält gelächelt hat? Martina Merz sagt von sich, sie „nehme Corona schon ernst“, habe immer „viel Abstand gehalten“. Aber Impfen? Nein, da hatte sie mal eine schlechte Erfahrung mit einer Grippeimpfung, sagt sie. An dieser Meinung habe sich nun auch nichts geändert.

Lockdown und Impf-Pflicht

„Da fragt man sich wirklich manchmal, für wen man das alles macht“, sagt Andreas Kothe. Letztens hatte er einen Bauingenieur mit Covid liegen. „Der hat mir erzählt, er wäre auf Montage in München, wo keiner eine Maske trägt. Und dann hat der mir ernsthaft gesagt, er wisse nicht, wo er sich angesteckt haben könnte. Ein Ingenieur!“ Kothe schaut einen an. Er befürwortet einen regionalen Lockdown, ebenso eine Impf-Pflicht, auch wenn das einige im Krankenhaus anders sehen. Kothe muss jetzt gleich weiterarbeiten. Die vielen Dienste der Ärzte und Pflegekräfte, das ständige Umziehen. „Von unseren Leuten sind viele ganz schön am Ende“ sagt Brigitte Neumann, Pflegedienstleiterin der Covid-Station. Sie ist eine sehr erfahrene Schwester. An eine auch nur ansatzweise vergleichbare Situation in den vergangenen Jahrzehnten könne sie sich nicht erinnern.

 Pflegedienstleiterin  Brigitte Neumann und ITS-Chefarzt Dr. Lars Hüter
Pflegedienstleiterin Brigitte Neumann und ITS-Chefarzt Dr. Lars Hüter
(Foto: Torsten Biel)

Drei Wochen habe sie jetzt durchgearbeitet. Ob viele ihrer Kolleginnen ans Aufhören denken? „Das habe ich bisher nur vereinzelt gehört.“ Zukunftsmusik. Den Personalmangel aber gibt es schon lange. Hinzu kommt aktuell, dass 20 Pflegekräfte selbst infiziert oder wegen der Quarantäne durch die Kinder ausfallen. „Wir könnten locker eine zweite ITS aufmachen. Betten und Geräte sind da, aber kein Personal“, sagt Bernd Lobenstein. Möbelstücke können eben nicht pflegen.

Notfälle sind abgesichert

Doch was bedeutet das für die Nicht-Covid-Patienten? Für die Schlaganfälle, Herzinfarkte, Autounfälle? „Alles, was akut ist, wird versorgt und auch operiert. Das bekommen wir noch gut hin“, beruhigt der Ärztliche Direktor. Alles andere werde aber abgesagt und verschoben, so Lobenstein, und nennt ein Beispiel. Wenn sich ein Raucher seine Gefäße so sehr beschädigt hat, dass er nach 80 Metern Gehen fix und fertig ist, bekommt er seine helfende Operation eben erst nächstes Jahr. Wenn aber eine Amputation droht, so wird sofort eingegriffen, auch wenn das in diesen Tagen einen großen Organisationsaufwand bedeutet.

Die Anlieferung neuer Patienten  bringt die Pflegekräfte auf der Covid-Station an den Rand der Leistungsfähigkeit. Da von den anderen Stationen  Personal abgezogen werden muss, geht es den Kollegen dort nicht viel besser.
Die Anlieferung neuer Patienten bringt die Pflegekräfte auf der Covid-Station an den Rand der Leistungsfähigkeit. Da von den anderen Stationen Personal abgezogen werden muss, geht es den Kollegen dort nicht viel besser.
(Foto: Torsten Biel)

Vergangene Woche etwa habe ein Patient in Lebensgefahr geschwebt, doch man hatte in Naumburg keinen freien ITS-Platz. Er wurde nach Gera geflogen, kam unters Messer, belegte aber auch dort das letzte freie ITS-Bett, das dann ebenfalls akut wieder gebraucht wurde. „Und so wurde der Mann schwer krank und frisch operiert wieder zurück zu uns gefahren“, erzählt ITS-Chefarzt Lars Hüter. Verlegungen, die sich natürlich nicht positiv auf die Prognose der Patienten auswirken. Ob bald auch Naumburger nach Hamburg oder Hannover geflogen werden, vermag Hüter nicht einzuschätzen. „Momentan funktionieren die Verlegungen noch hier in der Region. Aber auch dann ist ein Arzt für ein paar Stunden nicht da.“

„Keine klassischen Leugner“

Von den Covid-Patienten, die auf die ITS müssen, würden 30 bis 40 Prozent versterben. „Aber was wir hier sehen, sind keine klassischen Corona-Leugner, sondern Menschen, die die Krankheit einfach noch immer unterschätzen“, sagt der Chefarzt. Man müsse da aber gar nicht weit schauen. Auch beim Krankenhauspersonal gebe es viel zu viele Ungeimpfte, „die Angst vor Dingen wie Unfruchtbarkeit haben, auch wenn das schon lange ganz klar widerlegt ist“, so Hüter.

Und es ist ja nicht nur das Pflegepersonal. Auch bei einigen wenigen niedergelassenen Ärzten aus Naumburg und Umgebung herrscht in puncto Corona eine alternative Einstellung. Da bekommt man etwa frei Hand Masken-Atteste. Und man sollte auch nicht davon ausgehen, dass jeder, der frische Aufkleber im Impfpass besitzt, tatsächlich eine Spritze im Arm hatte. Dass eine Belastungsstufe zwischen acht und neun nicht ausreicht, um jeden zu sensibilisieren, haben die ersten Wellen gezeigt. Die ersten Patienten von damals bekommt Oberarzt Kothe nun zurück - mit „Long Covid“. Allzu viel wisse man dazu noch nicht. Abstand, Masken und Impfung würden helfen, um nicht zum Versuchskaninchen zu werden.