Lage Lage: Strategische Lage

Auf dem Baumfleck im Schatten des Zementwerkes geht es ländlich zu. An der Landstraße zwischen Burgscheidungen und Karsdorf bewirtschaftet die Familie Kirbis einen halben Hektar auf denen Rüben, Möhren, Weizen, Kartoffeln und Klee wachsen. Drei Generationen treffen wir beim Rübenhacken: Klaus Kirbis (76), Sohn Frank (42) und dessen Söhne Florian (19) und Martin (14).
Der Nachwuchs will weitermachen
Die kleine Landwirtschaft ist heute Nebenerwerb, einst aber ernährte sie die Familie, wie viele in Karsdorf, dem einstigen Bauerndorf an der Unstrut. Urgroßvater Albert Kirbis hatte 1893 den Hof gegründet auf dem die Familie heute noch bewohnt. 15 Hektar bewirtschaftete bis zur Kollektivierung Klaus Kirbis Vater, in den Ställen standen Kühe, Schweine und Pferde.
Zu Zeiten der LPG waren Klaus und Frank Kirbis als Traktorist und Landmaschinenschlosser tätig. Der eine ist heute Rentner, der andere in der Industrie tätig. Doch Florian will der Landwirtschaft treu bleiben. Im dritten Lehrjahr lernt er Landwirt in der Agrargenossenschaft Gleina. Auch Bruder Martin zeigt bereits Interesse, die Großmaschinen zur Feldbearbeitung haben es ihm jedenfalls angetan. Ländlich ist auch das Gegenüber auf dem Baumfleck: Die Parzellen von 42 Kleingärtnern der Sparte „Erholung“ Karsdorf. Ekkehart Kanis (49) treffen wir auf seinen 600 Quadratmetern inmitten von Salat, Erdbeerpflanzen, Zwiebeln, Kartoffeln, Mohn, Tomaten und Blumen. Ein kleiner Fischteich und Gartenlaube fehlen nicht.
Das Zementwerk im Hintergrund stört keinen mehr in dieser ländlichen Idylle. Was nicht immer so war. Zu Zeiten der DDR, als hier noch jährlich 4,1 Millionen Tonnen Zement produziert wurden, spuckten die Schornsteine jede Menge Zementstaub und Asche aus der Brennanlage. Karsdorf, das sah oft aus wie im Schnee zur Sommerzeit. Mit 2600 Beschäftigten direkt am Standort und weiteren fast 1000 in Nebenbereichen war das Zementwerk einst größter Arbeitgeber der Region. Ganze Generationen lernten und arbeiteten hier. „Auch heute kommen von den 235 Arbeitskräften noch zwei Drittel aus dem Burgenlandkreis“, weiß Bürgermeister Olaf Schumann (49), der selbst im Werk gelernt hat und heute als Schichtleiter in der Produktion arbeitet. Dazu kommen noch die Beschäftigten aus den aus ehemaligen Betriebsteilen entstandenen mittelständischen Betrieben der Fördertechnik, Kranaufzugsservice, Sanitär und Heizung, Industriemontage und Fahrzeuginstandsetzung.
Karsdorf heute, das ist auch ein Ziel für Wasser- und Radwanderer. Am Ried an der Unstrut unterhält Andreas Baatz eine der schönsten Bootsanlegestellen am Fluss. Eigene Zelte können aufgeschlagen werden und es kann in Tipis übernachtet werden. Wenn alle Kajaks, Kanadier und Schlauchboote, die Baatz ausleiht, auf einmal ins Wasser gelassen würden, könnten gut 200 Gäste „die Anker lichten“. Zum Bootsverleih kommt - hier direkt am Radwanderweg - die Ausleihe von Fahrrädern. Neuerdings sind auch Elektro-Bikes im Angebot. Hochbetrieb ist an den Wochenenden. Dann werden auch Getränke, Kaffee und Kuchen serviert, und Wandergruppen können ein Grillbüfett bestellen. „Und natürlich gibt’s auch Weinverkostungen, Motto: Weingenuss und Kanutour“, sagt Baatz. 2006 ist mit dem Ausbau des Geländes begonnen worden. Das Stationshaus in einer originalen russischen Sauna, einer Banja, errichtet aus kaukasischen Fichten, ist ein besonderer Blickpunkt. Daneben entsteht jetzt ein zweistöckiges Gebäude mit Freiplätzen für Gäste und Möglichkeiten zum Unterstellen der Boote und Gerätschaften. Längst gibt es Pensionen im Ort und den schönen Landgasthof von Harald Reiche. 25 Doppel- und 13 Einzelzimmer sowie 14 Zimmer mit getrennten Betten bietet das Hotel „Trias“ zu volkstümlichen Preisen an.
Kein Dorf an der Unstrut ohne Wein. Karsdorf macht da keine Ausnahme. 1996/97 ist die Karsdorfer Hohe Gräte wieder offiziell als Einzellage anerkannt worden. Hier wachsen vorzügliche Weine, gekeltert von acht Einzelweinbauern und vom Prädikatsweingut U. Lützkendorf aus Bad Kösen. „Übrigens“, wirft Bürgermeister Schumann ein, „richtet der Dorfklub das letzte Weinfest der Region nach dem Freyburger Winzerfest aus.“ Eine Weinprinzessin haben die Karsdorfer allerdings nicht, dafür gab’s einige Jahre die Riedprinzessin. Nun muss es der Bacchus richten. Oder die Pfingstburschen. Von denen werden in den nächsten Tagen wieder Höchstleistungen erwartet. Dorfklub, Feuerwehrverein und eben sie sind die Motoren, die Farbe ins Dorfleben bringen. Wie auch eine Tanzgruppe und der Gemischte Chor.
Natürlich ist da noch viel mehr an Kulturvereinen vorhanden, wenn man die Gesamtgemeinde meint und vor allem nach Wetzendorf blickt. Aber hier soll es ja ausschließlich um das Dorf Karsdorf gehen. Und da dürfen die Ringer nicht vergessen werden. Weil gerade Trainingstag ist, platzen wir in eine Übungsstunde mit Trainer Andre Mirau in der eigens für den Ringersport 1974 erbauten Ringerhalle. In den 1970er Jahren war Karsdorf eine Hochburg im Ringersport. „Der Ringkampf- und Sportverein Karsdorf wurde 2009 neu gegründet“, sagt Wilfried Litzke, als 2. Vorsitzender verantwortlich für den Sportlernachwuchs. Auf den konzentrieren sich die Karsdorfer. 50 Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahre aus der Gemeinde, aber auch aus umliegenden Dörfern werden hier trainiert. Erste Erfolge bleiben nicht aus. Mit dem zehnjährigen Vincent Rost haben die Karsdorfer inzwischen auch ihren ersten Jugendlandesmeister.
Auf kurzem Weg in die Domstadt
Was sonst noch auffällt: Teils sehr schön und farbenfreudig sanierte Häuser, auch große Portale, die in teilweise nicht mehr gewartete Vierseitenhöfe führen, die Kirche des Heiligen Laurentius, in der 1767 die Mutter des Komponisten Robert Schumann getauft wurde. Naja, und auch putzige Namen. „Zum Strumpf“ heißt die Imbisswirtschaft der Familie Liebart und eine Gasse „Kleine Naumburg“. Das sorgt immer wieder für Verwunderung. Die Dorfbewohner seien einst, als noch Schusters Rappen das Hauptverkehrsmittel waren, über diese Gasse auf kürzestem Weg zu den Märkten nach Naumburg gekommen, hat Bürgermeister Schumann dafür eine Erklärung. Dass mit dem Strumpf dagegen bleibt weiter im Dunkeln.



