Wenzelspreis 2025 geht nach Flemmingen Kita-Rettung: Was man mit Geld nicht kaufen kann
In 13.000 ehrenamtlichen Arbeitsstunden wurde die Flemminger Kita gerettet und neu aufgebaut. Für diese einmalige Leistung erhält der Dorfgemeinschafts-Verein am Samstag den Wenzelspreis von Naumburger Tageblatt/MZ. Eine Laudatio.

Flemmingen. - Wenn ich am Samstagnachmittag das Sommerfest des Flemminger Kindergartens besuche, werde ich doppelten Grund zur Freude haben. Zum einen, kann ich sehen, wie viel Leben mittlerweile in den An-, Um- und Neubau geflossen ist. Und zum anderen werde ich, da bin ich ganz sicher, spüren, dass Tageblatt/MZ einen würdigen Wenzelspreis-Gewinner für 2025 ausgewählt hat.
Wenn ich am Samstag die Auszeichnung, die wir seit 1994 für besondere Leistungen im Ehrenamt vergeben, an den Verein „Dorfgemeinschaft Flemmingen 2015“ überreiche, gehört es sich, dies mit einer Laudatio zu tun. Doch es wird womöglich regnen, und vor mir werden bestimmt schon diverse Ehrengäste die passenden Worte gefunden haben. Also drucke ich meine Rede einfach ab. So gewinnen unsere Leser gleich einen Eindruck, warum wir sicher sind, in dem Dorfgemeinschaftsverein rund um die Vorsitzende Jacqueline Kühnel und ihre vielen Mitstreiter einen würdigen 2025er Preisträger zu prämieren.
Werter Verein „Dorfgemeinschaft Flemmingen 2015“,Als der Naumburger Gemeinderat im Jahr 2022 kurz davor stand, den städtisch geführten Kindergarten in Flemmingen zu schließen, so konnte man das durchaus verstehen. Warum sollte eine Verwaltung womöglich mehr als eine Million Euro Steuermittel in ein marodes Gebäude stecken, in dem nicht einmal eine Handvoll Kinder betreut wird? Zudem in einer Zeit, in der es sich schon abzeichnete, dass durch sinkende Geburtenzahlen bald weniger Kita-Plätze in der Region gebraucht werden.

Doch Sie, liebe Flemminger, haben an zwei Dinge geglaubt: Daran, dass Sie ein Projekt mit Kosten von weit über 600.000 Euro auch ohne öffentliche Unterstützung gestemmt bekommen und daran, dass die Eltern der Umgebung diesem Projekt, wenn fertiggestellt, ihr Wichtigstes überhaupt anvertrauen, nämlich ihre Kinder.
Aus einer Unterschriftensammlung wurde eine hieb- und stichfeste Planung, aus einem Spatenstich ein Richtfest – und daraus, man glaubt es kaum – eine pünktliche Fertigstellung. Über 13.000 (!) Stunden ehrenamtlicher Arbeit von rund 100 Helfern flossen in den Um- und Neubau. 91 Firmen unterstützten beim Bau durch Arbeits- oder Materialleistungen, über 300 Bürger und Unternehmen spendeten, um die Bausumme von am Ende immerhin 750.000 Euro zu stemmen. „Mancher sagt, dies sei ein Wunder. Ich denke eher, es war viel harte Arbeit“, meinte Naumburgs Oberbürgermeister Armin Müller zur offiziellen Einweihung im Januar. Zehn Kinder nahmen da die neuen Räume in Beschlag. „14 bis 16 Kinder“ erwartet Kita-Leiterin Cecilie Schäfer aufgrund der Anmeldungen für den Herbst.

Der Traum, werte Flemminger Dorfgemeinschaft, an den Sie geglaubt haben, ist Realität geworden. Sie freuen sich über ein schickes Haus und den Erhalt eines großen Stücks Leben im Dorf. Aber ich sehe noch einen dritten Gewinn. Einen, den man für Geld nicht kaufen kann.
Mir kam der Gedanke, als ich im März vergangenen Jahres die Baustelle besuchte. Es wurde weder Spatenstich noch Richtfest gefeiert, einfach ein ganz normaler Vormittag in der Rohbau-Phase. Rentner, zum Teil gerade erst in den Ruhestand gegangen, mischten da Mörtel an oder huckten Steine. Sie hätten auch zu Hause auf der Couch liegen und die Füße hochlegen können. Sie haben nicht einmal eigene Kinder oder Enkel im passenden Alter, für die sie da buckelten. Manch einer, der Arbeit nur als Belastung sieht, wäre mit Sicherheit auf der Couch geblieben. Diese Männer aber mischten Mörtel an – und sahen dabei glücklich aus. So glücklich wie man nun mal ist, wenn man mit seinem Wissen und Können zu etwas beitragen darf, zu etwas, an das man glaubt, zu etwas, was man für sinnvoll hält. Es sind Gebrauchtsein und Glück, die unbezahlbar sind.

Und wenn ich gerade von Männern sprach, dann wird es Zeit, endlich die Frauen zu würdigen, die schon in der Küche standen, um das gemeinsame Frühstück vorzubereiten, als ihre Gatten die Maurerkelle noch gar nicht in der Hand hielten.
Für manchen mag das sexistisch klingen, der Mann, der anpackt, und die Frau, die Brötchen schmiert. Aber mit Fragen von Sexismus und Gleichstellung, mit all den theoretischen Problemen, die zwar nicht unwichtig sind, aber beim Hochziehen eines Rohbaus nun wirklich nicht gebraucht werden, damit haben sich die Flemminger nicht aufgehalten. Es ging Ihnen stets um die Sache, um Ihren Kindergarten.
Überhaupt hatten die meisten von Ihnen das Glück, sich mit den vielen theoretischen Problemen und den endlosen Mühen der Bürokratie nicht herumschlagen zu müssen. Nicht, dass es diese nicht gab (wenngleich sicherlich deutlich weniger, als wenn die öffentliche Hand gebaut hätte). Nein, sie hatten das Glück, in Ihrem Verein ein paar nicht nur engagierte, sondern als professionelle Planer auch überaus versierte Köpfe zu haben, die sich hier ehrenamtlich eingebracht haben.
Werter Verein „Dorfgemeinschaft Flemmingen 2015“,wenn wir als Tageblatt/MZ den diesjährigen Wenzelspreis, der von der Naumburger Künstlerin Betty Wirtz passend als Puppe gestaltet wurde, heute an Sie übergeben, müssen Sie ihn gedanklich aber auch ein wenig teilen – und zwar mit all den externen Unterstützern und Firmen, die hier unentgeltlich gearbeitet oder kostenfrei/verbilligt Material zur Verfügung gestellt haben.
Wobei: Auch so etwas fällt nicht vom Himmel. Wie immer im Leben schallt eine solche Unterstützung nur dann aus dem Wald heraus, wenn man selbst mit Überzeugungskraft, mit Fleiß und mit einem zuvor erarbeiteten Vertrauen in den Wald hineingerufen hat. Dass Sie dieses Vertrauen verdient haben, konnten Sie mehr als eindrücklich beweisen.
Werter Verein „Dorfgemeinschaft Flemmingen 2015“,wenn ich so auf den fertiggestellten Kindergarten blicke, kommen mir aber auch zwei Fragen in den Sinn. Zum einen: Werden die Flemminger nun plötzlich vormittags doch auf der Couch liegen und sich vornehmlich darum kümmern, ob sie lieber zu Kaufland oder zum Edeka fahren? Oder werden sie ein neues Projekt auf die Beine stellen (ich hörte, die einzige Kneipe im Dorf sucht einen neuen Betreiber, und sollte sich keiner finden, gibt es deutschlandweit ja Vorbilder, wie Vereine...ich erwähn’s ja nur).

Zum anderen: Ist ein solches Projekt auf andere Gemeinden übertragbar? Es hätte natürlich Charme! Auch anderswo gibt es fleißige und engagierte Menschen. Auch anderswo könnte viel Geld gespart werden, wenn nicht die Kommunen in elendig lange und teure Ausschreibungen gehen müssten. Aber, erstens darf man den Staat natürlich nicht aus seinen Pflichten nehmen, zweitens gibt es nicht in jedem Dorf professionelle Planer, die sich ein solches Projekt ehrenamtlich auf die Fahne schreiben, und drittens ist ein Kindergarten ein Ziel, auf das sich alle einigen können.
Sie hatten also ganz gute Voraussetzungen, liebe Flemminger. Etwas daraus zu machen, ist aber die andere Sache – und zwar eine anerkennenswerte, einmalige und preiswürdige!
Hintergrund: Seit 1994 vergibt Naumburger Tageblatt/Mitteldeutsche Zeitung den Wenzelspreis als Anerkennung für besondere ehrenamtliche Leistungen. Die Ehrung ist undotiert. Zuletzt erhielten die Auszeichnung die Zscheiplitzer Klosterbrüder sowie die Schleberodaerin Karin Reglich. Die ersten Preisträger waren der Naumburger Kunsterzieher Werner Löffler sowie der heute noch aktive Kulturschaffende Ralph Steinmeyer.