Kapitel einer wechselvollen Geschichte aufgeblättert
NAUMBURG. - "Diese Ausbildungschance für Zeitsoldaten ist einmalig in der Welt", so Kissel. Mit Hilfe des Berufsförderungsdienstes (BFD) der Bundeswehr können sich diese zwei Jahre vor Ablauf oder drei Jahre nach der Dienstzeit auf dem zweiten Bildungsweg für den anschließenden Beruf vorbereiten. Grundlegendes Ziel ist die Fachhochschulreife. Neben den allgemeinen Schulfächern stehen indes je nach Profil - die drei Bereiche Wirtschaft, Technik und Sozialpädagogik werden angeboten - weitere Kurse auf dem Stundenplan mit seinen insgesamt 36 Lerneinheiten, die meist im Blockunterricht stattfinden. "Es geht auch darum, wieder das Lernen zu lernen. Viele Kenntnisse sind verschüttet", sagt der 57-Jährige, der selbst Wirtschaft, Geschichte und Soziologie unterrichtet. Dabei sei der Druck auf die Soldaten enorm - auf der Suche nach einer neuen Perspektive und vor einem erfolgreichen Start auf dem regulären Arbeitsmarkt, dem erhofften sozialen Aufstieg.
Dabei kann der Abschluss, der bundesweit anerkannt wird, Ansporn für eine weiterführende Ausbildung sein, wie Kissel betont: "Viele beginnen nachfolgend ein Bachelorstudium." Besonders begehrt sei derzeit der Bereich Sozialpädagogik, auch wenn alle drei Profile auf Wunsch der Lehrgangsteilnehmer ausgewogen genutzt werden. "Männliche Erzieher - das ist eine Marktlücke", betont der Schuldirektor. Pro Halbjahr nehmen rund 300 Soldaten die Ausbildung auf. Sie stammen aus den drei Bundesländern Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und dem Raum Hochfranken und werden von 16 fest angestellten Lehrern sowie zwölf Honorardozenten unterrichtet. "Sie sind engagiert, in der Erwachsenenbildung kompetent und geben auch ein Stück Lebenshilfe", bemerkt Kissel.
Dessen Stellvertreterin, Monika Müller, Lehrerin für Deutsch, Pädagogik und Soziologie, zollt indes auch der "Schülerschaft" ihren Respekt: "Sie sind ehrgeizig und motiviert." Neben Unterricht nach Stundenplan gibt es weitere Hilfe. Schon zu Beginn können sich die Soldaten bei Informationstagen von der Fortbildung ein Bild machen, gibt es zudem Vorkurse, Förderunterricht und Bewerbungstraining. In all dieser Zeit werden sie sowohl von BWD-Mitarbeiterin Yvonne Rühlemann als auch dem Kasernenkommandanten Hauptmann Volker Grimm betreut. Der gewünschte Übergang in das zivile Leben wird indes bereits in den einzelnen Klassenräumen deutlich - hier werden keine Uniformen getragen. Während ein Teil der Lehrgangsteilnehmer das Internat auf dem Gelände in der Kösener Straße nutzt, wohnt der andere in der Stadt. Laut Schuldirektor erbringen die Fachschüler eine nicht unwesentliche Kaufkraft. Jährlich eine Million Euro stehen hier als Wirtschaftskraft zu Buche.
Reinhard Kissel ist im Übrigen ebenfalls ein Zeitzeuge. Er hat seit 1994 nahezu die gesamte bisherige Historie der Fachschule miterlebt. "Wir haben damals klein angefangen. Zu Beginn konnten sich ehemalige NVA-Soldaten zu geprüften Betriebswirten weiterbilden, später gab es Lehrgänge für Grundwehrdienstleistende", blickt er zurück. Und die Geschichte der Kadette spielt auch in seinem Unterricht eine große Rolle, erzählen doch darin manchmal Zeitzeugen von ihren Erlebnissen. "Das ist gelebter Unterricht", sagt er.