Historisches Historisches: Tischler heißt in einigen Regionen Deutschlands Schreiner

Freyburg - Zwischen Wasserstraße und Graben, nah an der Stadtmauer, lebt das alte Freyburg mit seinen verwinkelten Hinterhöfen, den aneinanderklebenden Häuschen, reichlich Blumenschmuck auf winzigen Balkonen und der Neuenburg, die über der Dachlandschaft thront. In einem dieser Hinterhöfe in der Wasserstraße duftet es würzig nach Holz. Gleich, so glaubt man, müsse Meister Eder aus der legendären Fernsehserie hervortreten. Aber hier hat sich auch der Pumuckl nirgendwo versteckt. Hier wirkt Bernd Tettenborn nicht als Schreiner wie Meister Eder, sondern als Tischlermeister, wie das bei uns heißt.
Seit 1760, so wird vermutet, gibt es die Tischlerei an dieser Stelle schon. Gerhard Tettenborn, der Vater, hatte sie 1950 von seinem Lehrmeister Sasse übernommen, und Bernd, der Sohn, führt sie seit 1984. „Einen anderen Beruf kann ich mir gar nicht vorstellen“, sagt der heute 60-Jährige.
Nicht mehr als ein Lehrling erlaubt
Hier hat er mit Holzklötzchen und Hobelspänen gespielt, später beim Vater gelernt und mit dem Wissen und den Fertigkeiten den Meisterbrief gemacht. Da war noch DDR-Zeit, und der junge Meister bekam die Auflage, nicht mehr als einen Lehrling einzustellen. Sonst wäre er ja ein Ausbeuter, sagte man ihm. Material gab es auf Zuteilung. Weil das Holz meist jung war, mussten auf dem Hof Lagermöglichkeiten geschaffen werden. Entsprechend lang waren die Wartezeiten für die Kunden, manchmal bis zu drei Jahren. Die nahm man auf sich, denn nicht nur für die Freyburger war die Werkstatt in der Wasserstraße eine gute Adresse. Tettenborn hatte sich auf Schrank- und Küchenmöbel nach individuellen Wünschen spezialisiert, baute sogar die begehrten Bauernmöbel.
Das blieb auch nach der Wende so. „Den Neuanfang haben wir gut überstanden“, freut sich der Meister, der jetzt mit drei Gesellen und einem Lehrling arbeitet. Stück für Stück wurde in einen modernen Maschinenpark investiert, und das alles - man glaubt es kaum - hat seinen ordentlichen Platz zwischen Wasserstraße und Graben gefunden. Nach der Wende, erzählt Tettenborn, habe er sich gleich ein Stück Land im Freyburger Gewerbepark gesichert. Aber: „Das habe ich nie bebaut. Ich komme in der alten Werkstatt gut zurecht.“ Sogar die altgediente Hobelbank von Vaters Vorgänger mit ihren Spalten und Schrammen hat als Museumsstück auch noch ihren Platz.
Möbel ganz nach Kundenwunsch
In der Marktwirtschaft ist nun alles möglich. Nach Maß werden Möbel angefertigt und nach Gusto des Kunden behandelt: auf Hochglanz, eingefärbt. Grautöne sind derzeit gefragt. Wer es wünscht, dem besorgt die Werkstatt sogar Bretter, die wie in alten Zeiten handbehauen sind. „Lebendiges Holz wird wieder viel verlangt“, sagt Bernd Tettenborn, der als moderner Meister am Computer die Entwürfe entstehen lässt. „Für die Möbelplanung ist das unentbehrlich“, schmunzelt er und denkt an seine Anfangsjahre zurück: „Das hätte der Vater noch erleben müssen!“
Neben Möbel- beschäftigt sich die Werkstatt mit Fenster- und Türenbau. Oft auch in der Restaurierung. Da war er an der Sanierung der Jahn-Turnhalle beteiligt, an einem Nachbau der Tür des Weinberghäuschens im Schlifter und jüngst beim Fensterbau nach Vorgaben der Denkmalpflege für die Sanierung des Eckhauses Markt 14. Schauräume der Sektkellerei hat die Werkstatt angefertigt und für eine Mühle eine runde Küche.
Hoffnung auf einen Tischler-Enkel
„Ohne Tischlerei kann ich mir meinen Mann gar nicht vorstellen“, ist sich Ehefrau Birgit sicher. Sie ist Kindergärtnerin in Laucha, hat aber immer ein Herz für die Werkstatt und ihrem Mann oft den Rücken gestärkt, wenn es mal nicht so gut lief. Beide wohnen auch in der Wasserstraße, wo man von der Terrasse über den Werkstatträumen einen prächtigen Blick zur Neuenburg und viel Grün um sich hat.
Zwei Töchter sind außer Haus und verheiratet. Von den drei Enkeln kommen zwei gern zum Spielen auf den Hof der Großeltern. Holzspielzeug - wer zweifelt daran - gibt es hier jede Menge, und für den Dreijährigen hat der Opa eine Ritterburg gebaut. Jonas, der Dritte im Enkelbunde, wurde erst vorigen Sonntag geboren - am Geburtstag von Bernd Tettenborn. Der hat für den neuen Erdenbürger einen Wickeltisch gebaut. „Einer der Enkel wird bestimmt mal Tischler“, sind sich beide Großeltern sicher.