1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Naumburg
  6. >
  7. Historie: Historie: Wichtige Straße

Historie Historie: Wichtige Straße

05.11.2015, 08:56
Wilfried, Matthias und Conrad Frenzel mit ihren Highlandern.
Wilfried, Matthias und Conrad Frenzel mit ihren Highlandern. Speck

Der achtjährige Conrad vom Frenzel-Hof kennt sie alle mit Namen: Adele, Sophie, Sonja, Anke, Anna und Willi, den 16 Zentner schweren Bullen. Sie sind Exoten auf der Finne, Schottische Hochlandrinder, die hier ganzjährig auf dem hügligen Grünland zwischen den kleineren Waldgebieten bei Wischroda weiden. Conrads Vater, Matthias Frenzel, hatte sich vor einigen Jahren für die gutmütigen, robusten Tiere begeistert, die es erst seit 1975 in Deutschland gibt. Die gedrungenen Kolosse mit rot-braunem zotteligem Fell und dem eindrucksvollen Kopf mit den langen symmetrischen Hörnern sind mehr als ein Hingucker. Im Landschaftsschutzgebiet sorgt die kleine Herde, wie auch zehn südafrikanische Dorperschafe bei Wind und Wetter für Ordnung auf den zum Besitz gehörenden 12 Hektar Grünland.

Mit 15 Hektar Land selbstständig

„Exoten sind wir auch“, sagt Wilfried Frenzel und meint, „ein bäuerlicher Betrieb ist heute die Minderheit im Dorf“. 1953, als der alteingesessene Beyer-Hof durch Heirat zu den Frenzels kam, gab es noch 25 Bauernwirtschaften in Wischroda, die größten bis zu 50 Hektar, die Mehrzahl bei 15 Hektar. „Wir waren auch die Letzten, die sich 1960 dem Zwang der Kollektivierung beugten“, erzählt Wilfried Frenzel. 1990 war er dann einer der ersten, die mit 15 Hektar Fläche eigenem Land wieder selbstständig wurden.

Inzwischen ist der Hof mit Pachtland auf 200 Hektar Ackerland angewachsen. Diplomlandwirt Wilfried Frenzel (65) bewirtschaftet ihn mit Sohn Matthias (37), der Landwirtschaft studiert hat, den beiden Frauen und einem Mitarbeiter. Angebaut werden Getreide, Raps, Zuckerrüben und Erbsen. Hinterm Hof steht ein großer moderner Technikpark, der zwar vieles erleichtert, die Anforderungen eines von den Wettereinflüssen abhängigen Gewerbes aber nicht.

Positive Spuren der Dorferneuerung

Schön ist die Landschaft auf dem bis zu 370 Meter hohen und 23 Kilometer langen Höhenzug der Finne. Strukturreiche Mischwälder mit großer Artenvielfalt der Fauna, reichem Wildbesatz wechseln mit Wiesen und Feldern, von Bächen und Bächlein durchzogen. Dazwischen kleine und kleinste Dörfer und abgeschiedene Gehöfte, wie die einsame, aber bewohnte Linznermühle am Gutschbach, der, von mehreren Quellen gespeist, dem Steinbach zuplätschert. Bauer Matthias Frenzel hat darauf einen besonderen Blick aus der Vogelperspektive, nennt er doch ein Ultraleichtflugzeug sein eigen.

Wir bleiben am Boden und schauen, was es so noch alles in Wischroda gibt. Die Dorferneuerung hat nicht nur Sanierung von Dach und Fassaden an kommunalen Grundstücken, wie Gemeindesaal und Kindergarten gebracht, auch viele Hauseigentümer zogen mit, was man an gepflegten Häusern und Toreinfahrten ablesen kann. Ingrid Hesse, in den 1970er Jahren durch Heirat von Braunsroda nach Wischroda gezogen und langjährige Bürgermeisterin, ist 2009 auch als Oberhaupt für die nun neun Dörfer umfassende Gemeinde An der Poststraße gewählt worden.

Mit der Bürgermeisterin gehen wir zum Kindergarten. Ja, das Dorf hat noch einen Kindergarten. „Wir waren im Umkreis die ersten, die 2003 einen Verein als Träger gründeten und so die Existenz der kleinen Tageskinderstätte sicherten“, sagt Hesse. Das sei anfangs umstritten gewesen, aber später hätten auch Herrengosserstedt und Klosterhäseler nachgezogen. Familiär geht es zu in der freundlichen kleinen Einrichtung. Jacqueline Felbier aus Wischroda und Mareike Arnold aus Saubach betreuen derzeit zwölf Kinder und fünf Hortkinder, die aus Wischroda, Braunsroda und Frankroda kommen.

In Sichtweite des Kindergartens stehen die in den 1950er Jahren gebauten zwei Wohnblöcke mit jeweils zwölf Wohnungen, heute privatisiert, saniert und von jungen und alten Mietern bewohnt, meistens die Kinder und Urenkel der Erstbewohner. Ausgebaut und erweitert sind ebenfalls Hinterlassenschaften aus dem vorigen Jahrhundert - die Landarbeiter - und Neubauernhäuser am Dorfrand. Wer hier wohnt, hat Bezug zur Region, Zuzug von Städtern ist eher selten. Arbeitsplätze sind in Apolda, Weimar, Naumburg und bei Henglein in Klosterhäseler.

Wischroda ist ein Reihendorf. Wichtiges liegt rechts und links der Straße. In der alten Schmiede hat Thomas Herold einen Betrieb Werteverarbeitung, An- und Verkauf von Schrott eingerichtet. Gemeinschaftssaal und Gemeindebüro sind hier zu finden, die kleine Gaststätte „Bauernstube“ und die Feuerwehr, die auch für Kirmesfeste und das Maienbirkensetzen sorgt. Längst Geschichte sind Dorfkonsum, die Gemeindeschwesternstation mit Arztsprechstunde von Dr. Jung aus Eckartsberga und die Bibliothek mit - sage und schreibe - über 500 Ausleihen im halben Jahr.

Wischroda war zu DDR-Zeiten ein Zentrum genossenschaftlicher Tierproduktion. 264 Beschäftigte versorgten 2990 Rinder, 10850 Schweine, 1200 Schafe und jährlich zwischen 26000 und 30000 Puten, bis zu 12000 Mastgänse und 3000 Hühner. Ganz ist dies alles allerdings nicht verschwunden. In den umgebauten und modernisierten Stallanlagen betreiben Paul Wellen eine Ferkelaufzucht sowie Harald und Christina Scholl mit fünf Angestellten seit 1994 eine Putenmast. Das Ehepaar aus der hiesigen Landwirtschaft. Christina Scholl hat im Schweinestall der LPG gearbeitet, Harald Scholl (55), von Beruf Schäfer, hat zu DDR-Zeiten bereits in der Putenanlage in Marienthal gearbeitet. Christina Scholl erwartet uns schon am Tor der ehemaligen Rinderanlage. Heute ist diese modern für die Kükenaufzucht eingerichtet. Hier tummeln sich Tausende von Junghühnern in Bodenhaltung auf Einstreu, so dass die Tiere ihren natürlichen Beschäftigungen wie Picken und Scharren nachgehen können. Nach einer Aufzuchtzeit von fünf bis sechs Wochen kommen die Puten in Stallanlagen in Niederholzhausen und Lindenberg, wo sie in 20 bis 21 Wochen auf ein Schlachtgewicht von 20,5 bis 21 Kilogramm gemästet werden. Jährlich werden 20000 Küken aufgezogen und 9000 Puten zur Mast geführt.

Wasser gehört den Apoldaern

Auf der Fahrt von Wischroda zur Bundesstraße 250 Eckartsberga-BadBibra fällt rechtsseitig ein Gebäudekomplex ins Auge. Außenstehende wissen es kaum: Hier schlägt das Herz der Apoldaer Wasser GmbH. 24 Tiefbrunnen auf einem Gebiet von 40 Quadratmetern Fläche und 150 Meter unter den Finne-Wäldern fördern das lebensnotwendige Nass. Das klare Trinkwasser mit einer Temperatur von 17,8 Grad Celsius durchfließt von Wischroda aus ein 600 Kilometer langes Leitungsnetz und versorgt mit Apolda vier Städte und 16 Kommunen mit insgesamt 52000 Einwohnern sowie Gewerbe und Industrie zwischen Bad Bibra und Mellingen. „47 Mitarbeiter“, so Geschäftsführer Jens Baumbach, „sorgen dafür, dass einwandfreie Qualität aus dem Hahn kommt.“

Und darauf lässt sich zum Abschluss unseres Dorfbesuchs schon mal mit einem Glas klarem Finne-Wassers anstoßen.