1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Naumburg
  6. >
  7. Historie: Historie: Post aus Weißenfels

Historie Historie: Post aus Weißenfels

13.10.2015, 14:21
Ein bisschen verwunschen: Dorfstraße in Dobichau.
Ein bisschen verwunschen: Dorfstraße in Dobichau. Hans-Dieter Speck Lizenz

Wer erinnert sich noch? Bald nach der Wiedervereinigung war Dobichau für kurze Zeit Mittelpunkt nicht nur für junge Leute aus dem Umland, auch Neugierige zog das laute Treiben an. In einem großen Zelt vor dem Dorf war eine Diskothek eröffnet worden. So, wie man sie in dieser Form hierzulande noch nicht gesehen hatte. Zogen doch in der Provinz bislang die Schallplattenunterhalter mit ihren Kassettendecks durch die Säle. Die Übertragungstechnik war eher hausgemacht. Hier in Dobichau zeigte nun der Westen in einem Zelt, was er so alles drauf hatte. Heute mag man darüber lachen, damals erstaunte sogar, dass vor und im Zelt Teppiche ausgelegt waren. Nun, das ist seit 24 Jahren Geschichte, Teppiche aber gibt es noch immer am selben Ort - beim „Teppichfreund, dem guten, dem starken“. Der lockte ebenfalls vor 24 Jahren Käuferscharen an den Ortsrand von Dobichau, wo sich in einer ehemaligen Kartoffelhalle der LPG eine nie zuvor gesehene Welt der Teppiche und Gardinen öffnete. Und seitdem wehen dort die Fahnen und wurden nie eingezogen.

Der Großmarkt in der profanen Lagerhalle dürfte wohl der einzige im weiten Umkreis sein, der alle Umgestaltungen und Neugründungen nach der Wende überstanden hat - von außen unverändert, wie in den Wendejahren. Innen freilich empfängt die Kunden gediegenes Warenambiente auf 1700 Quadratmetern. „Wir haben viele Kunden, die unsere Auswahl und den Kundendienst im Liefer-, Näh- und Montageservice schätzen“, sagt Marktleiter Olaf Albrecht. Der Pödelister hat schon vor 24 Jahren den „Teppichfreund“ mit eröffnet und ist nun nach Tätigkeiten in anderen Filialen wieder nach Dobichau zurückgekehrt.

Die ehemaligen LPG-Hallen haben noch andere Nutzer gefunden. Neben örtlichen Landwirten gehört die Spedition Förster dazu. Mit eigenen Lastfahrzeugen werden deutschlandweit von der Küste bis nach Bayern Transporte durchgeführt sowie Räumungen und Umzüge, es werden Waren aller Art gelagert und vertrieben. „Zehn Beschäftigte haben hier ihren Arbeitsplatz“, sagt Geschäftsführer Alexander Lettau. Nun aber hinein ins Dorf, das von den einstigen großbäuerlichen Gehöften geprägt ist. Da ist dann Platz genug, um Haus- und Kleintiere aller Art zu halten. Ziegen meckern von mancher Wiese gleich hinterm Hof, Enten schnattern, Hühner gackern, und einen Hund hält hier fast jeder. Landwirt Mario Eckart betreibt seit 35 Jahren Geflügelzucht als Hobby. Im Hausflur reihen sich Pokale, Urkunden, Ehrenteller und Wimpel aneinander. Preise und Auszeichnungen von regionalen Ausstellungen bis zur Lipsia-Bundesschau in Leipzig.

Eckart ist mit seiner Frau 1998 aus Pörsten nach Dobichau gekommen und gehört zum Rassegeflügelzuchtverein Lösau. Seine aktuellen Tiere zu sehen, heißt schwarz sehen. Die Tauben, Kölner Tümmler, sind schwarz, und schwarz sind auch seine Zuchtenten, eine hierzulande seltene Rasse - Amerikanische Cayugaenten. Da weht Wildwest durch Dobichau. Die Cayuga-Indianer hielten die Schnattertiere am Cayugasee, lange ehe die weißen Siedler kamen. Die staunten und begannen um 1840 mit einer gezielten Selektion, elf Jahre später wurden sie im Crystal Palace New York erstmals ausgestellt, und heute sind die eleganten schwarzen Vögel mit ordentlich viel Grünlack im samtenen Gefieder ein echter Hingucker. Mario Eckart ist mit Recht stolz auf seine „Indianer“. Nun hofft er für einen Stamm von sechs Tieren auf der „Lipsia 2015“ vom 4. bis 6. Dezember wieder einen der begehrten Preise zu bekommen.

Mit Ralf Kögel und Uwe Georgi haben zwei bäuerliche Betriebe ihren Sitz in Dobichau. Beide sind Landwirte mit langer Familientradition im Dorf. Sie betreiben Ackerbau mit Schwerpunkt Getreide.

Gleich am Dorfeingang macht ein Schild am Toreingang eines grün gestrichenen Hauses neugierig. Hier hat die Revierförsterei Naumburg ihren Sitz. Revierförster Reinhard Naumann betreut und berät die Waldbesitzer in den Altkreisen Naumburg, Nebra, Weißenfels und Zeitz, ein wahrhaft großes Gebiet. Wir schauen uns im Kleinen um, und Naumann bringt uns auf die Spur fast vergessener alter Steinkreuze. Dort, wo heute am Kreuzweg der Landstraßen Markröhlitz-Freyburg und Pödelist-Dobichau noch ein Steinkreuz steht, sollen sich früher an jeder der vier Eckpunkte Steinkreuze befunden haben. Drei dieser Zeugnisse von Sühneopfern aus dem 14. und 15. Jahrhundert von denen manche Sage berichtet, fand der Ortschronist und Förster Hans Ritter (1926-1992) noch an der Südseite der alten Schule.

Nun da sind sie nicht mehr. Aber nicht weit davon entfernt in einem Garten. Doch es sind nur noch zwei. Sabine Kaiser erinnert sich noch genau: „Das waren mal drei.“ Die Dobichauerin muss es wissen, denn sie ging noch in die alte Schule. „Olaf Schönstedt war damals eine in Naumburg sehr bekannte Lehrerpersönlichkeit. Der kam mit dem Motorrad samt Beiwagen täglich aus der Kreisstadt. „Die erste, zweite und dritte Klasse, wir wurden alle in einem Raum unterrichtet.“ Heute wohnt Sabine Kaiser mit ihrer Familie im oberen Stockwerk der Schule. Das Erdgeschoss steht leer. Für wenige Jahre hatte man hier nach der Wende einen Kindergarten eingerichtet. Der wurde 2010 aufgelöst.

Die Dobichauer erinnern sich gern an diese Zeiten. „Da spielten Kinder im Dorf und erfreuten mit Liedern zu manchem Dorffest.“ Heute ist es in Dobichau, wie in vielen Dörfern: Die Dorfstraßen sind leer und beleben sich nur etwas, wenn der Wurstmann oder Bäcker mit dem Verkaufswagen kommt.

Mit Rolf Franz gehen wir in die kleine Dorfkirche. Die drohte in der DDR-Zeit zu verfallen. Mitte der 1960er Jahre wurde der baufällige Turm abgebrochen. Damit haben sich die Dobichauer nie abgefunden. Rolf Franz, lange Zeit Kirchenratsmitglied, erzählt, wie nach der Wende zunächst Dach- und Dachkonstruktion erneuert und das Innere renoviert wurden. Dabei ging man auch unorthodoxe Wege und verwendete Möbelplatten aus dem einstigen Naumburger Wi-We-Na-Werk für die Kirchendecke. 31 von 35 Haushalten konnte Franz zur Mithilfe mobilisieren, als man unter Leitung des einheimischen Bauingenieurs Rolf Kraft gemeinsam daran ging, den Kirchturm wieder aufzubauen. 2009 konnte er schließlich eingeweiht werden. Nun hatte das Dorf wieder sein Wahrzeichen zurück erhalten.