1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Naumburg
  6. >
  7. Historie: Historie: Grundlos verhaftet

Historie Historie: Grundlos verhaftet

01.04.2013, 13:08
Im Kinderheim von Vitzenburg haben 18 Mädchen und Jungen ihr Zuhause. Geleitet wird es von Susann und Heiko Sander (sitzend). Es ist eines der kleinsten privaten Heime Sachsen-Anhalts. Ortsbürgermeister Carsten Knuhr stattet einen Besuch ab.
Im Kinderheim von Vitzenburg haben 18 Mädchen und Jungen ihr Zuhause. Geleitet wird es von Susann und Heiko Sander (sitzend). Es ist eines der kleinsten privaten Heime Sachsen-Anhalts. Ortsbürgermeister Carsten Knuhr stattet einen Besuch ab. hans-dieter speck Lizenz

Herzlich willkommen in Vitzenburg“, begrüßt eine Informationstafel die Besucher und verrät allerhand Wissenswertes. Besonders vom Schloss, das als Burg und Kloster mittelalterlichen Ursprungs ist, seine heute imposant wirkende Gestaltung jedoch Ende des 19. Jahrhunderts durch die Familie von Schulenburg-Heßler im Stil der Neorenaissance erhielt. Und wirklich stattlich steht das Schloss hoch über der Unstrut auf dem steil abfallenden Ronneberg.
Hätten wir es nur dabei belassen, die Idylle von der Nebraer Seite aus zu betrachten! Oben vor Ort ist Tristesse angesagt. „Der Herr behüte dieses Haus und alle, die gehen ein und aus“, steht über der kleinen Eingangspforte mit dem gräflichen Wappen. Doch die ist ebenso verschlossen, wie die große Einfahrt daneben. Schloss Vitzenburg ist, seit es in Privatbesitz ging, schon lange von allen guten Geistern verlassen. Ein großer Kran, den scheinbar niemand vermisst, kündet seit Jahren vom guten Willen, dort etwas zu machen. Freilich, das Gelände ist groß, gut 3000 Quadratmeter Barock und Neorenaissance, mit der zweiflügeligen Schlossanlage, einem sehr schönen, allerdings stark vom Verfall bedrohten Pavillon mit Wand- und Deckengemälden und Stuckaturen, mit den Gartenplastiken vor dem Hauptgebäude sowie dem Torhaus aus rotem Sandstein - und das alles umschlossen von einer mit Türmchen versehenen Ringmauer.

„Anfangs fing alles recht verheißungsvoll an“, weiß Ortsbürgermeister Carsten Knuhr. „Es wurde restauriert, und es gab sogar Sommerkonzerte im Park, die immer gut besucht waren.“ In letzter Zeit habe man aber von dem neuen Schlossherrn nie wieder etwas gehört, noch gesehen. Um die vor dem Schlossgelände stehende Kirche aus dem 18. Jahrhundert kümmerte sich ein Förderverein „Freunde der Dorfkirche Johannes der Täufer zu Vitzenburg“. Immerhin gelang es, das Kirchendach neu einzudecken und den spitzen Turmaufsatz mit den vier kleinen Ecktürmchen zu erneuern. Saniert wurde auch das Äußere der Kirche. Doch bevor es an die Restaurierung des Inneren gehen konnte, schmissen die meisten Vereinsmitglieder das Handtuch. Nun sind auch hier die Fenster zugenagelt.

Doch Vitzenburg hat auch seine Erfolgsgeschichte - die Sanierung der seit Schulschließung ungenutzten Turnhalle. Ortsbürgermeister Knuhr kommt richtig in Fahrt, wenn er vom Enthusiasmus der Einwohner berichtet, die sich zusammen fanden, allen voran der Faschingsverein, um die Turnhalle zu retten. Sie bekamen Unterstützung aus den einst zur Gemeinde Vitzenburg gehörenden Dörfern, erhielten Fördermittel und Unterstützung von der Stadt Querfurt. Am Ende der gemeinsamen Anstrengungen entstand eine mehrfach nutzbare Veranstaltungshalle. In der präsentiert der rege Faschingsverein seine Programme für ein Publikum weit über Vitzenburg hinaus, hier finden unterschiedliche andere Veranstaltungen statt, und es kann weiter Sport betrieben werden. Volleyball und Hallenfußball werden gespielt, Frauen treffen sich zur Gymnastikrunde, und es turnen die Kinder aus Hort und Kinderhaus.
Jawohl, auch das gibt es in Vitzenburg. Die Schule ist geschlossen, das Gebäude verwaist, aber ein Hort hat überlebt.

Täglich bringt der Schulbus die Kinder aus der Grundschule Schmon in den Hort und holt sie am späten Nachmittag wieder ab. Nicht weit des Wegs vom Hort ist es zum Kinderhaus. Eigentlich sind das drei kleine Häuser, die in einer Eigenheimsiedlung an der Straße nach Pretitz und Weißenschirmbach stehen. Eine lachende Sonne weist den Weg. So viele Kinder wie hier sieht man selten in einem Dorf auf einem Fleck. 18 Mädchen und Jungen von drei bis 18 Jahren haben hier ihr Zuhause. Es ist eine Erfolgsgeschichte. 1997 gründeten die Sozialpädagogin Susann Sander und ihr Ehemann Heiko (44) eines der kleinsten privaten Kinderheime Sachsen-Anhalts. Zunächst mit zwei Häusern, das dritte kam später noch hinzu. Die Kinder wohnen in kleinen, familienähnlichen Gruppen mit ihren Erzieherinnen und werden bei allen Aufgaben und Problemen des täglichen Lebens begleitet und auf ihr späteres Leben vorbereitet. Sie werden nicht zentral versorgt, sondern erleben und gestalten alle im Haus notwendigen Arbeiten vom Einkauf bis zum Kochen, vom Putzen bis zur Gartenarbeit. „Aufgenommen werden Kinder mit psychischen, sozialen, psychosomatischen und familiären Problemen. Gern auch Geschwister“, sagt Heiko Sander. Die Sanders leben ebenfalls auf dem Gelände des Kinderheims. Wen wundert es da, dass alle zusammen längst in das Dorfleben integriert sind, das sie auch selbst mit gestalten. „Die Sommerfeste und der Weihnachtsmarkt sind Feste für das ganze Dorf“, sagt der Ortsbürgermeister, der auch im Heim offene Türen findet, wenn er mal Unterstützung braucht.

Heiko Sander hat zudem noch eine besondere Attraktion ins Dorf gebracht, die es weithin bekannt machte. Auf 5000 Quadratmeter Gelände steht seit sieben Jahren einer der größten Hochseilgärten Sachsen-Anhalts. Firmenteams, Schulklassen, Wandergruppen kommen mitunter von weither. Betriebgruppen schulen Teamgeist, Durchsetzungsvermögen, Ausdauer und Hilfsbereitschaft, andere wollen einfach nur Spaß haben auf dem Geschicklichkeitsparcours hoch über dem festen Boden. Für Übernachtungen stehen Zelte, kleine Hütten und ein Bauwagen bereit. „Eigentlich sollte es schon los gehen, die ersten Merseburger Schulklassen stehen schon in den Startlöchern“, weiß Sander, der sehnlich auf den Frühling wartet.

Von dem sangen bei unserem Besuch eine Schar fröhliche Rentnerinnen: „Alle Vögel sind schon da“ zur Gitarre. Jeden Dienstag treffen sich die Frauen aus Vitzenburg und Zingst bei Rommee und „Mensch ärgere dich nicht“ und gemeinsamen Singen im „Schweizerhaus“. Die Gaststätte mit der der rührigen Wirtin Simone Bornschein ist das gastliche Zentrum des Dorfes mit gut bürgerlicher Küche, gemütlichen Gasträumen und einer Suite, sechs Doppel- und zwei Einzelzimmern. Natürlich gibt es eine Weinstube. Vitzenburg besitzt mit die ältesten Rebanlagen an der Unstrut. Die Einzellage Vitzenburger Schlossberg gehört zu den Besten. Doch das „Schweizerhaus“ hat seine besondere Spezialität. Wirtin Bornschein schenkt gern auch mal den hauseigenen Tropfen aus. Diese Spezialität wird aus den Trauben von fünf Stöcken Spalierwein, Müller-Thurgau und Dornfelder, selbst gekeltert. Probieren lohnt!
Zum Abschluss hat Ortsbürgermeister Knuhr noch eine gute Nachricht. Ein Enkel des letzten Rittergutsbesitzers und Herrn auf Vitzenburg, Rempert Freiherr von Münchhausen, hat den im Neo-Stil errichteten Schaftstall und ein ehemaliges Wohnhaus im Vorgelände des Schlosses gekauft und mit der Sanierung der bislang leer stehenden Gebäude begonnen. So könnte künftig der Dorfeingang wieder freundlicher aussehen. Denn mit dem Schloss wird es wohl in absehbarer Zeit nichts werden.