Forum im "Euroville" "Forum im ""Euroville"" : Ein Abend der Visionen für 2028"
Naumburg - Es war ein Abend zum Fremdschämen und ein Abend des sachlichen Austauschs über die Zukunft Naumburgs. Und auch wenn das Fremdschämen am Montag im Euroville immer wieder die Oberhand gewann, so soll aus Respekt vor dem Amt und der Demokratie an dieser Stelle zunächst auf die Sachebene eingegangen ...
Es war ein Abend zum Fremdschämen und ein Abend des sachlichen Austauschs über die Zukunft Naumburgs. Und auch wenn das Fremdschämen am Montag im „Euroville“ immer wieder die Oberhand gewann, so soll aus Respekt vor dem Amt und der Demokratie an dieser Stelle zunächst auf die Sachebene eingegangen werden.
Sieben Bewerber hatte der Gemeindewahl-Ausschuss als Kandidaten für die Naumburger Oberbürgermeisterwahl am 11. April zugelassen. Alle sieben nutzten am Montagabend die Chance, sich auf dem offiziellen Wahlforum der Stadt den Bürgern zu präsentieren. Und diese waren reichlich erschienen. Fast alle der 250 in der Sporthalle aufgestellten Stühle waren besetzt. Mit Abstand und Masken wurde der Pandemie Rechnung getragen.
Moderator Holger Schumann, zugleich stellvertretender Gemeindewahlleiter, gab den Bewerbern zunächst acht Minuten, um sich vorzustellen.
Benjamin Bossone, aus Bayern stammend und dort wohnend, zeigte sich als jüngster Kandidat unter dem Credo „Modern denken, modern handeln“. Er habe bereits mehrere Führungspositionen in Verwaltungen innegehabt und wolle nun in der Heimatstadt seiner Frau etwas bewegen. Dazu gehöre es, den Haushalt zu sanieren, ohne aber Steuern zu erhöhen. Stefan Bouillon (FDP), der neben Armin Müller als einziger Kandidat für eine Partei antritt, vermittelte dem Publikum zunächst, welche Kompetenzen er als Landtagsreferent in Nordrhein-Westfalen sowie Rechtsanwalt in der Bewältigung von großen Infrastrukturprojekten erworben hat. Wie Bossone wolle auch er für „frischen Wind“ sorgen und hat ebenfalls familiäre Wurzeln in Naumburg, wo einst seine Mutter zur Welt kam, ehe die Familie 1952 an den Rhein zog.
Lautstarker Kandidat mit Liste
Als Nächster in der alphabetischen Reihe stellte sich Mark Kipper dem Publikum als Barkeeper (laut Eigenaussage „einer der besten Europas“) vor. Er verlas sehr lautstark eine Reihe von Forderungen, die Bürger an ihn herangetragen hatten. Dies reichte von kostenlosen Angeboten für Kinder wie Schulessen, Busfahrten, Kita-Plätze und Internetzugang, bis zu einer bürgernaheren und digitaleren Verwaltung. Mika Holm, selbstständiger Bootsbauer aus Schönburg, zeigte zunächst Wahlplakate von sich mit den Slogans „Hier geboren, für Naumburg da“ sowie „Mehr miteinander“. Er prangerte zugleich Seilschaften an, die im politischen Betrieb Naumburgs existieren würden.
Seinen „Naumburg-Plan 2028“ präsentierte Armin Müller (CDU). Der derzeitige Stellvertreter des OB redete von vielem, das erreicht worden sei, aber auch von notwendigen Veränderungen. Es gebe mit ihm also kein „Weiter so“. Er sprach sich unter anderem für die Ortsumgehung, bessere Radwege, die Sanierung des Gradierwerks, den Bau einer Drei-Felder-Turnhalle auf dem neuen Schulcampus (Schönburger Straße) und die Stärkung des innerstädtischen Einzelhandels aus.
Kritik an schlechtem Breitbandausbau und Busverkehr
Das Wort „gemeinsam“ betonte Marcus Runge in seiner Selbstvorstellung, die für ihn eine Premiere sei. Mit Aktionen wie etwa einem Frühjahrsputz könnten viele Dinge „unter der Hand“ und ohne bürokratischen Aufwand gelöst werden. Runge plädierte für ein Anlocken von Industrie, monierte zugleich den schlechten Breitbandausbau und den unzureichenden Busverkehr. Auch einen Mangel an Jugend-Freizeiteinrichtungen sieht er und als Folge Vandalismus und Gewalt.
Als Letzter in der Vorstellungsreihe hielt Henrik Schumann zunächst den städtischen Haushalt in die Luft und bezeichnete ihn als „unsere Bibel“, in Anspielung auf die Zwänge der schlechten Finanzlage der Stadt. Er sei ein neugieriger und hartnäckiger Mensch, der sich nach einer ersten OB-Kandidatur 2014 durch ein Fernstudium im Bereich Stadtentwicklung fortgebildet habe. Sollte er gewählt werden, werde er sofort das Gespräch mit den neuen Kollegen suchen, um die Verwaltung umzuorganisieren.
Das Jahr 2028 als roter Faden
Ein roter Faden, der sich durch viele Vorstellungen zog: die Vision, wie Naumburg im Jahr 2028, zum „1000-Jährigen“ und zugleich dem Ende der kommenden OB-Amtszeit, aussieht. Im zweiten Teil der Veranstaltung hatten dann Bürger die Chance, Fragen an alle Bewerber oder an Einzelne zu stellen, wodurch diese unterschiedlich zu Wort kamen. Angesprochen wurde da zum Beispiel das Thema „mehr Bürgerbeteiligung“, was von allen Bewerbern unterstützt wurde.
Henrik Schumann merkte an, dass die Vorschläge in diese Richtung seiner Vereinten Bürgerliste, für die er im Gemeinderat sitzt, bisher keine Mehrheiten gefunden hätten. Marcus Runge sprach sich für namentliche Abstimmungen im Rat aus, Mark Kipper für Volksentscheide wie in der Schweiz, Benjamin Bossone für Live-Streams von Ratsversammlungen. Armin Müller kündigte an, sich als OB immer mittwochs auf den Wochenmarkt stellen zu wollen, um für Bürger ansprechbar zu sein.
Tourismus als Schlüssel für Entwicklung
Ein weiteres Thema, nach dem gefragt wurde: der Tourismus. Stefan Bouillon sieht diesen als „Schlüssel“ für Naumburgs Entwicklung, er vermisst aber die Begeisterung, wie dieser von der Stadt gefördert wird. Dass es diese Begeisterung brauche, habe er als Reiseleiter, womit er sich einst sein Studium finanzierte, begriffen. Holm Mika indes sieht „Massentourismus“ und „durch die Stadt rammelnde Menschenmassen“ kritisch. Auf eine gezielte Nachfrage zum Blütengrund, vor allem zur brachliegenden Schifffahrt, antwortete Henrik Schumann, dass ein ausverhandelter Vertrag für eine Rückkehr von Fährmann Manfred Schmidt vorliegt, die er unterstützt. Er befürchte aber, dass es dafür im Rat keine Mehrheit gibt.
Armin Müller indes stellte die Frage in den Raum, ob Schiffe mit Tiefgang bei Niedrigwasser, wie in den letzten Sommern gesehen, überhaupt eine Zukunft haben. Eine solche sieht Benjamin Bossone für den Schiffsverkehr im Blütengrund nicht, „da es sich nicht rechnet“. Stefan Bouillon betrachtet das Thema indes als Naumburger „Herzensangelegenheit“ ähnlich der Straßenbahn.
Eine weitere Frage aus dem Publikum zielte auf Maßnahmen ab, die dazu führen, „dass sich die Menschen in den Ortsteilen nicht noch mehr abgehängt“ fühlen. Mehrere Kandidaten sprachen sich für einen besseren Nahverkehr, für besseres Internet und eine Unterstützung der Vereine aus. Marcus Runge schlug vor, dass die Verwaltung auch mal „zu Oma Hilde nach Hassenhausen“ kommen könne, wenn diese einen neuen Personalausweis braucht.
Neue Baugebiete in Dörfern?
Einen seltenen interessanten Dissens gab es in der Frage, ob Dörfer durch neue Baugebiete unterstützt werden sollten. Armin Müller und Stefan Bouillon vertraten diese These, auch zur Stärkung des hiesigen Wohnstandorts und dessen Attraktivität für Menschen aus Leipzig oder Jena. Henrik Schumann indes wehrt sich gegen neue Wohngebiete. Das wachsende in Bad Kösen sei ein trauriges Beispiel. Er strebe indes eine „Innenverdichtung“ an.
Ein wichtiges Thema des Forums: die städtischen Finanzen. Zur Erinnerung: Der noch nicht beschlossene Plan für 2021 sieht ein Defizit von über drei Millionen Euro vor, die aus Rücklagen ausgeglichen werden sollen. Armin Müller aber wehrte sich gegen den Eindruck, dass „deswegen in Naumburg nichts mehr geht“. Man habe Investitionen von 13,6 Millionen Euro vor, wolle zudem 6,8 Millionen Euro in freiwillige Aufgaben stecken. Diese freiwilligen Aufgaben, die ja zur Lebensqualität der Stadt beitragen, zu kürzen, dafür sprach sich kein Kandidat aus. Henrik Schumann plädierte aber dafür, den Bürgern „reinen Wein“ einzuschenken. Man müsse auch an „heilige Kühe“ ran und zum Beispiel Friedhofsgebühren erhöhen. Andererseits gelte es, Investoren nach Naumburg zu holen, die durch die bisherige Stadtspitze verschreckt wurden. Diese Investoren, so Schumann, habe er bei der Hand. Über ebensolche Kontakte verfügt laut eigener Aussage Stefan Bouillon, der auf ein „Wirtschafts- und Wachstumskonzept“ setzt.
Harmonisch dann zum Schluss
Interessant war das Thema „Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat“. Gefragt, wie er damit umgeht, im Rat durch sein Verhalten für Unmut gesorgt zu haben, sagte Henrik Schumann: „Ich mache Fehler, stehe dazu und lerne daraus.“ Es sei aber spannender, wenn ein OB nicht von vornherein den Rat hinter sich wüsste, sondern mit guten Argumenten Mehrheiten in den anderen Fraktionen beschaffen muss.
Zum Abschluss der fast dreistündigen Veranstaltung wurde es harmonisch. Henrik Schumann erklärte, dass er das Wahlprogramm von Armin Müller unterschreiben und mit diesem gut zusammenarbeiten könne, dass Müller aber schon dort sitze, wo Schumann jetzt erst noch hin will, nämlich im Rathaus.