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Chefarztwechsel in Naumburg Einst der letzte Mohikaner

Wolfram Marquardt, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, hat den Ruhestand angetreten. Bewegte Jahre liegen hinter ihm.

Von Jana Kainz Aktualisiert: 14.11.2021, 11:24
Für Wolfram Marquardt, jahrelanger Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie,  ist die Zeit des Ruhestands angebrochen.
Für Wolfram Marquardt, jahrelanger Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, ist die Zeit des Ruhestands angebrochen. (Foto: Torsten Biel)

Naumburg - Wenn sie auch Jahrhunderte trennen, haben Martin Luther, Friedrich Schiller und Wolfram Marquardt etwas gemein: den Tag, an dem sie das Licht der Welt erblickten. Alle drei wurden an einem 10. November geboren. Der Älteste von ihnen, der Reformator Luther, 1483, der Mediziner und Dichter Schiller 1759 und der Naumburger Klinikarzt Marquardt 1955. Folglich feierte der Naumburger diese Woche seinen 66. Geburtstag. Mit diesem brach für ihn auch ein neuer Lebensabschnitt an: der eines Rentners. Um die 40 arbeitsreichen Jahre unterm Dach des Naumburger Krankenhauses liegen hinter ihm.

Arztkittel nicht ganz abgelegt

Als der promovierte Arzt aber seinen Ausstand gab, feierte er lediglich seinen Abschied von der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie. Den Arztkittel streift er sich seither noch an zwei Tagen in der Woche über - für seine Sprechstunde im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ), in dem er bereits seit 2014 einmal wöchentlich praktizierte. Als sein Eintritt in den Ruhestand nahte, fragte die Klinikleitung bei ihm an, ob er weiterhin für Sprechstunden im MVZ zur Verfügung stünde. Marquardt musste nicht lange überlegen: „Über die vielen Jahre haben sich eine Menge Patienten angesammelt und ich bin gesund und noch leistungsfähig genug, dass ich sie betreuen kann“ - zunächst für zwei Jahre. So habe er es vertraglich mit dem Klinikum vereinbart, allerdings mit der Option zu verlängern.

Einfach zu gehen, ist nicht unbedingt Marquardts Naturell. Das zeigte sich schon in der Wendezeit. Kurz vor dem politischen Wendeherbst 1989 hatte der damalige Chefarzt das Land über Ungarn in Richtung Bundesrepublik verlassen. Nach und nach taten es ihm die anderen Ärzte der Station gleich. Diese kehrten Naumburg jedoch nicht auf Umwegen den Rücken. Es war die Zeit der für überraschend eingetretenen Reisefreiheit, von der keiner wusste, wie lange sie und damit die Möglichkeit, das Land zu verlassen, bestehen würde.

Zeiten der Hemdsärmeligkeit

Die Frage, die ihn einst eher beschäftigte, war jedoch, ob das Krankenhaus weiter besten bleiben würde. Plötzlich war „alles offen, was da kommen konnte, nichts war geplant und viel wurde im Klinikum hemdsärmelig entschieden“. In diesen ungewissen Zeiten die Tasche packen, war für ihn, sozusagen den letzten Mohikaner auf der Station, keine Option. Und das aus drei guten Gründen: Er konnte die Patienten nicht im Stich lassen, auch nicht die Stationsschwestern, die alle geblieben waren und zu einem tollen Arbeitsklima mit beigetragen hatten, und letztlich konnte er auch nicht die Station an sich zurücklassen, die er Mitte der 1980er-Jahre als Assistenzarzt mit seinem Chef Dr. Rosenberg aufgebaut hatte. Das war kurz nach dem Abschluss seiner universitären Ausbildung.

Dass er einmal als Orthopäde praktizieren würde, war noch nicht abzusehen, als sich der gebürtige Naumburger nach dem Abitur 1972 fürs Medizinstudium bewarb. Der erste Anlauf schlug fehl. Marquardt ließ sich nicht entmutigen. Das Jahr bis zur nächsten Bewerbungsrunde überbrückte er als pflegerische Hilfskraft in der Klinik für Chirurgie in Naumburg. Der zweite Anlauf glückte und er ging zum Medizinstudium nach Halle an die Martin-Luther-Universität und das Uni-Klinikum Kröllwitz. Einige Praktika absolvierte er in dieser Zeit in Naumburg. Nach dem Studium und der Armeezeit fragte der Kreisarzt seiner Heimatregion an, ob er sich vorstellen könne, in Naumburg eine orthopädische Station mit aufzubauen. Marquardt, der ursprünglich Kinderarzt werden wollte, willigte ein. „Man wurde damals gelenkt und ich wollte arbeiten und etwas machen“, erzählt der Mittsechziger.

Also hieß fortan die große Aufgabe: Aufbau. Konkret sah dies so aus, dass er und Dr. Rosenberg in der Poliklinik Sprechstunden anboten, bis ein halbes Jahr später im Mai 1984 die erste Station, die Orthopädie I, eröffnet werden konnte - mit einer Verzögerung, da parallel dazu der neue Operationstrakt gebaut worden war. In der Nachbarschaft zur neuen Wachstation lagen die 16 „orthopädischen“ Betten. Ein Jahr später folgte die zweite Station, die in einer Steinbaracke untergebracht wurde und von der Inneren Medizin etwa 18 Betten abgetreten bekam. Zugleich wurden Assistenz-und Oberärzte eingestellt.

Doch kurz nach dem politischen Umbruch 1989 fand sich Marquardt als einziger Arzt auf den Stationsfluren wieder. „Die Wendezeit war nicht so wahnsinnig gut“, gesteht er. In der medizinischen Behandlung musste man sich personellbedingt einschränken, konnte nur machen, was ging. So waren beispielsweise eine Zeit lang nur Not-Operationen möglich. Ein Dreivierteljahr lang schrubbte er durchweg Bereitschaftsdienste. „Da habe ich schon neidisch geschaut, wenn andere nach Bayern gefahren und einkaufen gegangen sind. Das konnte ich mir nicht erlauben“, erzählt er. Unterstützung erfuhr er in diesen besonders arbeitsintensiven Jahren von einem Assistenzarzt, der ihm zur Seite gestellt wurde, und der halleschen Uni-Klinik. „Die dortigen Kollegen haben mir regelmäßig Ober- und Assistenzärzte zur, wie man damals noch sagte, sozialistischen Hilfe geschickt“, so der Mediziner.

In geregelterem Fahrwasser

In den folgenden Jahren füllte sich seine Station auch wieder mit eigenem klinischen Personal. Auf seiner Agenda stand fortan auch die Ärzteausbildung. Über 25 Mediziner bildete er zu Fachärzten aus. Mit den neuen Kollegen erweiterte er 2005 mit der Unfallchirurgie das Behandlungsspektrum. Dafür musste Marquardt über die Ärztekammer noch die entsprechende Facharztprüfung ablegen. 2014 wurde seine Station, auf der bereits seit 1985 endoprothetische Operationen durchgeführt wurden, erstmals als Endoprothetisches Zentrum zertifiziert. 140 Qualitätskriterien galt es zu erfüllt. Das gelang Marquardts Team, das jährlich meist über 400 solcher Operationen pro Jahr durchgeführt hat, ebenso für die darauffolgenden jährlichen Rezertifizierungen.

Auch wenn das Bleiben eher Marquardts Natur entspricht, trat er, wenn auch mit einem komischen Gefühl, entspannt in den Ruhestand. „Mit 70 sollte man keine Klinik mehr leiten“, meint er. Außerdem sei es für ihn nach Jahren, die von Arbeit bestimmt waren, an der Zeit, sich mehr der Familie, zu der Ehefrau, zwei Kinder und ein siebenjähriger Enkel gehören, zu widmen und vermehrt auf Reisen zu gehen. Loslassen könne er auch dank der Gewissheit, dass die Station und das Wohl der Patienten bei seinen Kollegen in guten Händen sind. Das gelte wohl auch für seinen Nachfolger Michael Wurlitzer.