Entsetzen an Landesschule Pforta „Einen wie dich hätte man damals vergast“ - Gruppe beschimpft zwei Jugendliche schwulenfeindlich
Zwei Schüler der Landesschule Pforta werden in Bad Kösen von einer Gruppe jüngerer Jugendlicher mit schwulenfeindlichen Äußerungen bepöbelt. Die beiden suchen das weitere Gespräch, doch das nimmt weit drastischere Züge an.

Bad Kösen/Schulpforte - Es ist kein normaler Montag in der Landesschule Pforta. Er beginnt mit einer Schulversammlung. In der Klosterkirche – die Aula ist wegen der Bauarbeiten derzeit nicht nutzbar – kommen Schüler und Lehrer zusammen. Die Projektwoche zum Abschluss des Schuljahrs wird eingeläutet.
Nachdem Rektorin Kathrin Volkmann und einige Lehrer gesprochen haben, treten zwei Schüler an Mikrofon und Rednerpult, die über einen Vorfall berichten, der in diesen Minuten für eine Totenstille und noch Tage später für Bestürzung sorgt. „So etwas ist in dieser Form in meiner Amtszeit noch nicht passiert“, sagt Kathrin Volkmann in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Sie und die betroffenen Schüler sind sich sicher: Dieses Geschehen muss an die Öffentlichkeit. Die Eltern der betroffenen Schüler haben ihr Einverständnis für das Presseinterview gegeben.
Totenstille zur Schulversammlung: Geschockt nach Worten der Jugendlichen
Doch was ist passiert: Zwei Jugendliche der zehnten Klasse, 16 und 15 Jahre alt, beide heißen Heinrich, beide sind aus Sachsen-Anhalt, kehren am Abend des 19. Juni von einer Reise aus Köthen zurück. Dort waren sie mit dem zweiten und dritten Landespreis im Bundeswettbewerb Informatik geehrt wurden. Auf der Heimfahrt steigen sie in Bad Kösen aus dem Zug, wollen weiter den Bus nach Schulpforte nehmen.
Doch dann kommt es zu einer folgenschweren Begegnung: Sie werden von einer Gruppe Jugendlicher angesprochen. „Sie waren zu viert, drei Jungen und ein Mädchen, etwa zwischen zwölf und 14 Jahren alt“, erzählt der 16-jährige Heinrich. „Sie fragten mich, was falsch mit mir lief, ich sähe schwul aus. Mutter Natur habe eben nur Mann und Frau eingerichtet. Ich antwortete darauf, wie man schwul aussehen könne und ob das ein Problem sei. Ich war geschockt, und wir sind weiter gegangen.“
Doch im Kurpark kommt es wieder zu einer Begegnung. Jetzt sind es die Landesschüler, die den Kontakt suchen. „Für mich war es wichtig und sinnvoll, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, da sie auch keine Aggressionen zeigten, und ich keine Angst hatte“, schildert der 16-Jährige weiter. Allerdings entwickelt sich das Gespräch über die homophoben Äußerungen in eine noch drastischere Richtung.
Eine Verschärfung von Debatten ist in den vergangenen Jahren definitiv spürbar geworden.
Antje Weiser, Koordinierungs- und Fachstelle „Demokratie leben!“ im Burgenlandkreis
Angesprochen auf das Grundgesetz und die Menschenrechte äußern sich die Jugendlichen in der Gruppe abfällig über die Demokratie – und es fällt ein grauenhafter Satz: „Einen wie dich hätte man damals vergast.“ Daraufhin bestreiten und verleugnen die Mitglieder der Gruppe die Zahl der Todesopfer des Holocaust – von sechs Millionen Juden sowie mehrere Millionen weiterer Opfer wie Sinti und Roma, Menschen mit Handicap, politischen Gegnern und Homosexuellen gehen Historiker heute aus –, sahen allerdings die Anzahl der Opfer als durchaus gerechtfertigt an und drückten ihre Zustimmung aus. Die beiden Landesschüler nehmen später nicht den Bus, sondern laufen nach Schulpforte zurück. Am darauffolgenden Montag berichten sie in der Schulversammlung von diesem Vorfall.
Dass die Hemmschwelle für demokratieskeptische und extreme Äußerungen gesunken ist, beobachtet auch Antje Weiser von der Koordinierungs- und Fachstelle des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ mit Sitz im Konrad-Martin-Haus in Bad Kösen. „Eine Verschärfung von Debatten ist in den vergangenen Jahren definitiv spürbar geworden. Die Gründe dafür sind vielschichtig: gesellschaftliche Unsicherheiten, globale Krisen, mediale Überforderung. Häufig werden Informationen aus den Medien nicht kritisch hinterfragt, und sogenannte ,Fake News’ sind nicht mehr leicht als solche erkennbar. Die Bereitschaft, Inhalte zu prüfen und Fakten zu checken, ist leider gering“, sagt Antje Weiser. Im Burgenlandkreis befasse sich der Regionale Arbeitskreis Bildung gerade mit der Frage, wie politische Bildung im schulischen Kontext gestärkt werden kann, so die Koordinatorin weiter.
Die Antidiskriminierungsstellen in Sachsen-Anhalt verzeichnen anhand ihrer Fälle eine wachsende Zahl an unverhohlen in der Öffentlichkeit geäußerten Abwertungen gegenüber bestimmten Gruppen. „Diskriminierung wird sichtbarer, aber gleichzeitig von gesellschaftlichen wie politischen Strukturen zunehmend toleriert und verharmlost“, so Projektleiterin Janine Weidanz in einer Presseinformation.
Schülersprecherinnen: politischer Ton wird rauer
Während der Projektwoche beschäftigen sich die Landesschüler ebenfalls mit dem Thema Demokratie. „Auch im Sozialkunde reden wir über aktuelle Ereignisse und Themen und werten diese aus“, erzählt Schülersprecherin Stella, die mit Schülersprecherin Helene an dem Gespräch mit unserer Zeitung teilnimmt. Beide Elftklässlerinnen sagen, dass aus ihrer Erfahrung heraus noch kein Mitschüler in dieser Art und Weise außerhalb der Schule angesprochen und angegriffen wurde, wenngleich beide bemerken, dass in Bussen und der Bahn der politische Ton rauer werde – auch bei Jugendlichen. „Wir hätten allerdings nie erwartet, dass so etwas passiert“, sagt Stella.
Die Begegnung in Bad Kösen hat Heinrich zu denken gegeben. „Mich beschäftigt und erschreckt, wie offen die Jugendlichen darüber sprechen“, sagt der Landesschüler, der nun auch bekennt, dass er Angst habe. Für Rektorin Kathrin Volkmann ist eines klar: „Wir denken nach, wie wir uns darauf einstellen.“ Wichtig für sie sei, dass betroffene Schüler nicht allein sind und offen darüber reden können.
Volksverhetzung und die Verleugnung des Holocaust sind in Deutschland strafbar. Jugendliche gelten erst ab dem vollendeten 14. Lebensjahr als strafmündig.