Hochschule Merseburg Zwei junge Frauen gründen eigenes Bildungsinstitut für inklusive Vielfalt
Julika Prantner-Weber und Pauline Seuß haben festgestellt, dass es Lehrern heute oft an Wissen zu sexuellen Themen fehlt. Das wollen sie mit ihrer neuen Firma ändern – dafür erhalten sie Geld vom Bund.

Merseburg/MZ. - Pauline Seuß sieht einen Widerspruch: Auf der einen Seite gebe es gerade in den Medien ein bunt gemaltes Bild, da habe die Bundesregierung einen Queer-Beauftragten und eine nicht-binäre Person gewinne den Eurovision Song Contest. Auf der anderen Seite habe man für queere Personen aber einen gefährlichen Ist-Zustand. Seuß verweist auf die Leipziger Autoritarismus-Studie, wonach jeder dritte Mann und jede fünfte Frau im Land ein Anti-Gender-Weltbild habe, während eine Jugendstudie zeige, dass heute fast jeder fünfte Jugendliche oder junge Erwachsene sich selbst als queer bezeichne. Das heißt entweder, sich nicht (nur) mit seinem biologischen Geschlecht zu identifizieren oder eine sexuelle Orientierung zu haben, die nicht rein hetero ist.
Seuß und Julika Prantner-Weber haben noch etwas anderes festgestellt: Der Umgang mit sexueller, romantischer oder geschlechtlicher Vielfalt spiele bisher in der Ausbildung von Lehrern kaum eine Rolle. Auf der Überlegung, dies ändern zu wollen, basiert das Geschäftsmodell, mit dem sich die jungen Frauen gerade selbstständig machen. Seit vier Monaten arbeiten sie an der Gründung des Bildungsinstituts für inklusive Vielfalt, kurz BIV, – unterstützt vom Gründerservice der Hochschule Merseburg und nun auch einem Exist-Gründungsstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums.
Während Seuß in Wien und Leipzig studiert hat und dann über das Projekt Fem-Power und Seminaraufträge mit der Hochschule in Kontakt kam, ist Prantner-Weber ein Eigengewächs. Sie hat in Merseburg erst Soziale Arbeit und dann Angewandte Sexualwissenschaften studiert. Die Geschäftsidee für das BIV basiert auf ihrer Masterarbeit. „Ohne das Stipendium hätten wir uns die Gründung in dem Umfang nicht getraut“, sagt sie.
Idee aus der Masterarbeit
Die beiden Jungunternehmerinnen erhalten nun vom Bund Mittel für Sachausgaben, Coaching und vor allem für ein Jahr monatlich Geld, damit sie nebenbei nicht arbeiten gehen müssen, sondern sich auf ihre Firma konzentrieren können. Das ermöglicht es ihnen gerade, sich um die anstehenden betriebswirtschaftlichen Fragen zu kümmern, Marketing zu betreiben und Geschäftspartner zu finden. Seuß berichtet: „Unser Pilotmaterial ist jetzt erstmals im Praxistest.“ Ihr Geschäft soll aus drei Säulen bestehen. Die erste ist die Erstellung von Bildungsmaterialien, die zweite sind Schulungen und Vorträge und die dritte Beratungen, etwa wenn sich etwa Schulen queerfreundlich aufstellen wollen. Die Zielgruppe sind dabei zunächst Lehrerinnen und andere Pädagogen. Das Adjektiv „inklusiv“ im Firmennamen erklärt Prantner-Weber so: „Es ist auffällig, dass bei Bildungsmaterial oft von homogenen Gruppen ausgegangen wird.“ Also Klassen mit Gleichaltrigen, die gleiche Lernvoraussetzung mitbringen.
Das sei in der Realität aber nicht so: „Durchs Raster fallen dann oft Förderschulen, auch Klassen mit höheren Migrantenanteilen.“ Das Material des BIV soll deshalb für ein möglichst breites Publikum zugänglich sein. „Wir benutzen wenig Schrift, viel Bildsprache“, erläutert Prantner-Weber das Wie. Man setze auch auf leichte Sprache, die Materialien sollten möglichst analog, digital und auch hybrid funktionieren.
Annette Henn, Leiterin des Gründerservice der Hochschule, lobte die Zielstrebigkeit der beiden Frauen. Dass sie ein Exist-Stipendium einwerben konnten, sei ein Meilenstein für die Hochschule: „Es ist so etwas wie der Ritterschlag für Start-ups.“ Dass das Ministerium es an eine Gründung eines Unternehmens im Sozialbereich vergeben habe, sieht Henn zugleich als Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels. In der bisherigen Praxis seien bisher meist neue Technologien gefördert worden. „Natürlich wollt auch ihr beide wachsen und wirtschaftlich erfolgreich sein, aber ihr wollt zugleich einen Wandel in der Gesellschaft anstoßen.“
Internet wird wichtiger für Aufklärung
Den hält auch Gründungsmentor und Prorektor Heinz-Jürgen Voß mit Blick auf die sexuelle Aufklärung an Schulen für notwendig. „Da spielt immer noch ein Negativbild die Hauptrolle. Es geht vor allem um Schwangerschaftsverhütung und Geschlechtskrankheiten.“ Vielfalt und Medien spielten kaum eine Rolle. Dabei gewönnen in der sexuellen Bildung von Jugendlichen Internet und Influencer immer mehr an Bedeutung. „Das heißt, wir brauchen da qualitativ hochwertiges Material.“
An dem arbeiten Seuß und Prantner-Weber nun mit Hilfe des Gründungsstipendiums in den kommenden Monaten weiter. Anfang 2025, lautet ihr Ziel, soll es mit dem BIV dann richtig losgehen.