Zukunft der Arbeit Zukunft der Arbeit: "Der Mensch ist vorerst nicht ersetzbar"

Merseburg - Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Rechentechnik durchdringt viele Bereiche. Eine Konferenz in Merseburg beschäftigte sich deshalb mit der Frage, wie Ausbildung in Zukunft aussehen muss. Referent war der hallesche Bildungsforscher Lothar Abicht. Im Interview mit Robert Briest wirft der einen Blick in die Zukunft der Arbeit.
Sie sprechen regelmäßig von „Wirtschaft 4.0“. Was meinen Sie damit?
Abicht: Durch die Entwicklung der Informationstechnologien werden sich viele Abläufe in Unternehmen ändern und damit die Tätigkeiten der Angestellten.
Die werden aber weiter benötigt?
Abicht: Auf absehbare Zeit ist der Mensch nicht ersetzbar. Er wird aber sicherlich in bestimmten Bereichen Arbeit an die IT abgeben, auch in solchen mit hohen Qualifikationsanforderungen, die dafür bisher nicht geeignet waren. Das betrifft etwa Teiltätigkeiten von Juristen, Ärzten oder Journalisten.
Sind die für den Menschen verbleibenden Tätigkeiten dann noch anspruchsvoller?
Abicht: Auf der einen Seite ja. Vor allem werden Arbeiten übrig bleiben, die etwa menschliche Empathie oder Kreativität erfordern, die werden Rechner in den nächsten 15, 20 Jahren nicht ersetzen können. Hier geht es etwa um den Dienstleistungsbereich.
Ausbildung heißt heute meist Studium oder Lehre und dann ab in dem Job. Werden wir uns künftig von diesem Muster verabschieden?
Abicht: Nein, gerade in Deutschland, wo Zertifikate eine große Rolle spielen und Grundqualifikationen wichtig sind, werden die klassischen Bildungswege durchaus beibehalten werden. Sie werden aber stärker durch alternative Wege ergänzt: Weiterbildungen oder durch die Möglichkeit, die Zertifikate auf anderen Wegen als bisher, zum Beispiel online, zu erwerben.
In der technologisierten Berufswelt muss sich der Mensch ständig anpassen.
Warum werden Weiterbildungen wichtiger?
Abicht: Weil sich die technologische Entwicklung und damit die Anforderungen in der Berufswelt so rasant entwickeln, dass man sich auf der einmal erworbenen Grundqualifikation nicht ausruhen kann, sondern sich ständig anpassen muss. Das kann so weit gehen, dass ganze Berufsfelder wegfallen und man sich umorientieren muss.
Nehmen wir als Beispiel die Chemiebranche: Wie äußert sich das dort?
Abicht: Hier werden etwa Erkenntnisse aus der Nanotechnik eine größere Rolle spielen. Für fast alle Berufe gilt die Informatisierung. Klassische Berufe werden von IT durchdrungen, erhalten neue Anforderungen und Funktionen.
Im Umgang mit IT sind Jüngere oft geübter. Im südlichen Sachsen-Anhalt ist das Durchschnittsalter jedoch hoch. Wie kann man da auch die älteren Arbeitnehmer mitnehmen?
Abicht: Das Durchschnittsalter in den Betrieben wird sich sogar noch erhöhen. Für die Unternehmen gibt es daher keine Alternative, als sich gleichermaßen um Junge und Alte zu bemühen. Für beide Gruppen sollte man angepasste, etwa arbeitsintegrierte Formen der Weiterbildung nutzen, die auf die jeweiligen Lernerfahrungen abgestimmt sind. Die Lerngeschwindigkeit sollte individualisiert werden. Es wird stärker um Selbsterarbeitung von Inhalten gehen und auch die Nutzung von neuen Medien, Lernangebote aus dem Internet, wird in die Lernabläufe integriert.
Wie können die Unternehmen junge Fachkräfte in der Region halten?
Fachkräftemangel ist hier schon jetzt ein Problem. In den kommenden Jahren wird die Zahl der verfügbaren Erwerbstätigen noch weiter sinken. Auch weil junge Leute abwandern. Wie können die Unternehmen junge Fachkräfte in der Region halten?
Abicht: Sie müssen attraktiv sein. Der Arbeitsmarkt verschiebt sich in Richtung eines Arbeitnehmermarktes. Die Unternehmen haben deshalb keine andere Möglichkeit, als auf die Wünsche der Arbeitnehmer einzugehen. Vieles, was vor fünf Jahren noch undenkbar war, geschieht heute oder morgen, etwa Zugeständnisse bei Arbeitszeiten oder eine stärkere Selbstorganisation. Wichtig ist auch die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Da gibt es gerade bei den Jüngeren und inzwischen auch bei vielen Älteren klare Prioritäten.
Funktioniert das auch in Industriebetrieben?
Abicht: Ja. Da kann man viel über Monats- und Jahresarbeitszeitkonten machen. Es ist faktisch in fast allen Industriebereichen möglich, das zeigen die großen Konzerne. (mz)
